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Deutscher Rheumatologiekongress 2021, 49. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), Wissenschaftliche Herbsttagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR)

15.09. - 18.09.2021, virtuell

Alles nur Kopfsache? Gründe für frühe Berentung bei Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom

Meeting Abstract

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  • Sonja Beider - Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Hannover
  • Torsten Witte - Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Hannover
  • Diana Ernst - Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Klinik für Rheumatologie und Immunologie, Hannover

Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. Deutsche Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie. Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie. Deutscher Rheumatologiekongress 2021, 49. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh), 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh), Wissenschaftliche Herbsttagung der Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR). sine loco [digital], 15.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocEV.08

doi: 10.3205/21dgrh058, urn:nbn:de:0183-21dgrh0587

Published: September 14, 2021

© 2021 Beider et al.
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Text

Einleitung: Patienten mit primärem Sjögren-Syndrom (pSS) leiden unter Sicca Symptomatik sowie häufig zusätzlich an extraglandulären Manifestationen wie Fatigue, Schmerzen oder Organmanifestationen. Psychische Störungen wurden ebenfalls häufig bei Patienten mit pSS beschrieben [1]. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen und können zur Erwerbsunfähigkeit führen [2]. Ziel dieser Studie war es, pSS-Patienten auf Faktoren zu untersuchen, die mit vorzeitiger Erwerbsunfähigkeit assoziiert sind.

Methoden: Im Zeitraum vom Januar 2019 bis zum März 2020 wurden 102 pSS-Patienten im Alter < 65 Jahre in der rheumatologischen Ambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) auf Organbeteiligung, Depression, Fatigue, körperliche Inaktivität und Funktionsbeeinträchtigung mittels folgender standardisierter Fragebögen untersucht: Becker’s Depression Inventory II (BDI II), Multidimension Assessment of Fatigue (MAF), Funktionsfragebogen Hannover (FFbH), Short Form Gesundheitsfragebogen (SF-36), EULAR Sjögren’s Syndrome Disease Activity Index (ESSDAI), EULAR Sjögren’s Syndrome Patient Reported Index (ESSPRI) und International Physical Activity Questionnaire Short Form (IPAQ-SF). Außerdem wurde soziale Anamnese mit Bildungs-, Berufs- bzw. Berentungsstatus erhoben. Vorzeitig berentete Patienten wurden mit einer Kontrollgruppe aus den alters- und geschlechtsadjustierten pSS-Patienten (1:1) verglichen.

Ergebnisse: Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 49,2 Jahre, zu 85,3 % waren die Patienten weiblich (87/102). Die durchschnittliche Dauer seit der Diagnosestellung betrug 61 Monate. Unter Fatigue litten 68/102 Patienten (MAF > 20, 66,7 %), 41/102 (40,2 %) zeigten eine Depression (BDI II > 14). Vorzeitig berentet waren 29/102 Patienten (28,4 %). Im Vergleich mit, nach Alter und Geschlecht gematchten, berufstätigen pSS-Patienten, zeigten sich signifikante Unterschiede in der Prävalenz von Fatigue (69 % vs. 41,4 %, p = 0,030), in der Funktionsbeeinträchtigung (FFbH < 80 %, 72 % vs. 13,8 %, p < 0,001) und in der körperlichen Inaktivität (MET < 500, 62 % vs. 41,4 %, p = 0,048). Die vorzeitig berenteten Patienten zeigten signifikant häufiger Kernsymptome einer Depression wie Pessimismus (48,3 % vs. 17,2 %, p = 0,009) und Energieverlust (89,7 % vs. 65,5 %, p = 0,018). Unterschiede zeigten sich auch in der Bewertung des eigenen Gesundheitszustandes (p = 0,022) und der Schmerzintensität (p < 0,001), beides wurde von den frühberenteten Patienten schlechter bewertet. Die Organbeteiligung war bei beiden Gruppen identisch, nur eine Polyneuropathie war bei den vorzeitig berenteten Patienten signifikant häufiger (24,1 % vs. 3,4 %, p = 0,002). Außerdem waren vor allem artikuläre und hämatologische Manifestationen im gesamten Patientenkollektiv häufig vertreten. In beiden Patientengruppen war die Anzahl der Patienten mit einem ESSDAI ≥ 5 gleich (je 48,3 %), die Krankheitsaktivität nach ESSPRI war höher in der Frührentner-Gruppe (ESSPRI ≥ 5 bei 55,2 % vs. 41,4 %, p = 0,021). Die noch erwerbstätigen Patienten wiesen einen höheren Bildungsstatus auf (Abitur 31,0 % vs. 10,3 %, p = 0,037).

Schlussfolgerung: Die vorzeitig berenteten pSS-Patienten zeigten keinen signifikanten Unterschied bezüglich Sicca-Symptomatik oder übriger Organbeteiligung mit Ausnahme der Polyneuropathie im Vergleich zu berufstätigen pSS-Patienten. Hingegen zeigte sich ein starker Zusammenhang der vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit von pSS-Patienten mit niedrigerer Funktionskapazität, Fatigue, Depression und körperlicher Inaktivität. Ob diese Faktoren auch der Grund zur vorzeitigen Berentung sind, sollte wie die Frage, ob eine stabile psychische Verfassung und eine Steigerung der körperlichen Aktivität bei pSS-Patienten die Erwerbsfähigkeit positiv beeinflussen können, in weiteren Untersuchungen geklärt werden.

Menschen mit einem höheren Schulabschluss sind häufiger zufriedener mit ihrem Beruf [3], dies könnte ein zusätzlicher Faktor sein, warum auch pSS Patienten mit niedrigerem Bildungsniveau eher berentet werden. Sowohl ein niedriges Bildungsniveau als auch psychische Störungen werden mit der vorzeitigen Berentung in der Gesamtpopulation assoziiert [4], [5]. Die psychische Gesundheit der pSS Patienten ist ein erheblicher Faktor für eine frühe Berentung. Bei Zeichen von Depression und hoher Fatigue sollte dies offen angesprochen werden, um ein Konzept zur Verbesserung der psychischen Gesundheit zu entwickeln.

Disclosures: Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Literatur

1.
Cui Y, Xia L, Ii L, Zhao Q, Chen S, Gu Z. Anxiety and depression in primary Sjögren’s syndrome: a cross-sectional study. BMC Psychiatry. 2018;18(1):131.
2.
Westhoff G, Dörner T, Zink A. Fatigue and depression predict physician visits and work disability in women with primary Sjögren’s syndrome: results from a cohort study. Rheumatology (Oxford). 2012 Feb;51(2):262-9. DOI: 10.1093/rheumatology/ker208 External link
3.
Ilies R, Yao J, Curseu PL, Liang AX. Educated and happy: A four-year study explaining the links between education, job fit, and life satisfaction. Appl Psychol Int Rev. 2019;68(1):150-76. DOI: 10.1111/apps.12158 External link
4.
Seifert W. Wer geht vorzeitig in den Ruhestand? Eine Analyse des betroffenen Personenkreises im Vergleich zuälteren Erwerbstätigen in NRW. Düsseldorf: Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW), Geschäftsbereich Statistik; 2014. (Statistik kompakt; 08/14). Available from: https://webshop.it.nrw.de/download.php?id=19233 External link
5.
Karolaakso T, Autio R, Näppilä T, Nurmela K, Pirkola S. Socioeconomic factors in disability retirement due to mental disorders in Finland. Eur J Public Health. 2020 Sep;30(6):1218-24. DOI: 10.1093/eurpub/ckaa132 External link