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AVWS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – Versorgung und Handlungsbedarf aus Sicht der Betroffenen
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Published: | August 20, 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) werden vor allem im Kindesalter diagnostiziert, können aber auch im Jugend- und Erwachsenenalter fortbestehen. Während für Kinder pädaudiologische und pädagogisch-audiologische Anlaufstellen existieren, gibt es für Jugendliche und Erwachsenen kaum Anlaufstellen für Diagnostik bzw. Hilfs- und Heilmittel-Versorgung. Die subjektive Bewertung der Versorgungssituation von einerseits Kindern und andererseits Jugendlichen und Erwachsenen wurden in zwei Erhebungen mit unterschiedlichen Methoden erhoben.
Material und Methoden: Zunächst wurden im Projekt SL.AVWS die Versorgungssituation und der Versorgungsbedarf von Jugendlichen und Erwachsenen mit Hörverarbeitungsproblemen in einer Online-Befragung (N=130) erfasst. Darauf aufbauend erfolgte für die Jahre 2019–2021 eine inhaltsanalytische Systematisierung aller Beiträge der größten Social Media Gruppe „AVWS – Was ist Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung?“ (2.400 Mitglieder).
Ergebnisse: In der Analyse der Social Media Beiträge zeigte sich der größte Informationsbedarf beim (Zugang zu) guter Diagnostik, Komorbiditäten, Hilfs- und Heilmitteln und sozialrechtlichen Fragen (GdB, Nachteilsausgleiche). „Mehr Informationen zu Diagnostik und Therapie“ wurde auch in der Online-Umfrage unter Jugendlichen und Erwachsenen als besonders wichtig bewertetet (95 von 100 Punkten auf einer Skala von 0 [überhaupt nicht wichtig] bis 100 [absolut wichtig]. Zusätzlich wurde hier als wichtig benannt: „Anerkennung von AVWS als offizielle Diagnose“ (96 von 100) und dass sowohl Fachkräfte als die Öffentlichkeit besser zu AVWS informiert sein sollten (97 bzw. 92 von 100).
Diskussion: In der analysierten Social Media Gruppe werden vor allem Erfahrungen über das bestehende Angebot zur Versorgung bei kindlicher AVWS ausgetauscht. Grundsätzliche Probleme mit dem Zugang zur Diagnostik und mit der Anerkennung der Diagnose AVWS zeigen sich hier nicht. Die Situation stellt sich bei Jugend und Erwachsene anders dar, hier zeigt sich grundsätzlicher Handlungsbedarf.
Fazit: Die Daten zeigen: Die Versorgung von Jugendlichen und Erwachsenen mit AVWS sollte verbessert werden. Vor allem diagnostische Möglichkeiten sind zentral, da sie den Zugang zu Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten eröffnen. Für alle Altersgruppen zeigt sich großer Informations- und Beratungsbedarf. Hilfreich wären allgemein zugängliche Informationsangebote und Selbsthilfestrukturen.
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Hintergrund
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) werden vor allem im Kindesalter diagnostiziert, können aber auch im Jugend- und Erwachsenenalter fortbestehen. Während für Kinder pädaudiologische und pädagogisch-audiologischen Anlaufstellen existieren, gibt es für Jugendliche und Erwachsenen kaum Anlaufstellen für Diagnostik bzw. Hilfs- und Heilmittel-Versorgung. Die subjektive Bewertung der Versorgungssituation von einerseits Kindern und andererseits Jugendlichen und Erwachsenen wurde in zwei Erhebungen mit unterschiedlichen Methoden erhoben.
Material und Methoden
Zunächst wurden im Projekt SL.AVWS die Versorgungssituation und der Versorgungsbedarf von Jugendlichen und Erwachsenen mit Hörverarbeitungsproblemen in einer Online-Befragung (N=130) erfasst. Darauf aufbauend erfolgte für die Jahre 2019–2021 eine inhaltsanalytische Systematisierung aller Beiträge der größten Social Media Gruppe „AVWS – Was ist Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung?“ (2.400 Mitglieder). In dieser Gruppe sind hauptsächlich Angehörige von Kindern mit AVWS vertreten, Jugendliche und Erwachsene mit AVWS sind ebenfalls vertreten, jedoch in der Minderzahl.
Ergebnisse
Bei der Analyse der Social Media Beiträge zeigt sich – wie in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt – der größte Informationsbedarf (= Anzahl der eingebrachten Fragen) zu den Themenkomplexen Hilfsmitteln (=136 eingebrachte Fragen), Diagnostik (n=112 eingebrachte Fragen) und Sozialrechtliches, wie GdB, Nachteilsausgleiche (n=110 eingebrachten Fragen). Insgesamt wurden 692 Fragen analysiert, wovon 52% auf diese drei Themenschwerpunkte entfallen. Ähnlich verhält es sich mit den auf diese Fragen abgegebenen Antworten und Kommentaren. Hier entfallen von den insgesamt 10125 abgegeben Kommentaren/Antworten: n=2104 auf Hilfsmittel; n=1562 auf Diagnostik und n=1700 auf die Kategorie Sozialrechtliches.
Aus Abbildung 2 [Abb. 2] ist weiterer Handlungsbedarf zu entnehmen, der mittels eines Online-Fragebogens erhoben wurde, diesmal speziell bei der Zielgruppe der Erwachsenen und Jugendlichen mit Hörverarbeitungsstörungen (Selbstauskunft). So priorisierten die Befragten „Mehr Informationen zu Diagnostik und Therapie“ als absolut wichtig (mit 95 von 100 Punkten auf einer Skala von 0 [überhaupt nicht wichtig] bis 100 [absolut wichtig]. Ebenso wurde hier als absolut wichtig benannt: „Anerkennung von AVWS als offizielle Diagnose“ (96 von 100) und dass sowohl Fachkräfte als die Öffentlichkeit besser zu AVWS informiert sein sollten (97 bzw. 92 von 100).
Diskussion
In der analysierten Social Media Gruppe werden vor allem Erfahrungen und Empfehlungen zur Auswahl und zum Zugang zu Versorgungsangeboten für Kinder mit AVWS ausgetauscht. Grundsätzliche Probleme mit dem Zugang zur Diagnostik und mit der Anerkennung der Diagnose AVWS zeigen sich hier nicht. Die Situation stellt sich für Jugendliche und Erwachsene anders dar, hier zeigt sich nach wie vor grundsätzlicher Handlungsbedarf. Die bereits 2018 aufgezeigten priorisierten Verbesserungsbedarfe sind nach wie vor aktuell.
Fazit
Die Daten zeigen: Die Versorgung von Jugendlichen und Erwachsenen mit AVWS sollte verbessert werden. Vor allem diagnostische Möglichkeiten sind zentral, da sie den Zugang zu Unterstützungs- und Fördermöglichkeiten wie Zugang zu Hilfs- und Heilsmitteln, Nachteilsausgleichen, Leistungen des Integrationsamtes oder der Arbeitsagenturen eröffnen. Für alle Altersgruppen zeigt sich großer Informations- und Beratungsbedarf. Hilfreich wären allgemein zugängliche Informationsangebote und Selbsthilfestrukturen. Dazu wurde als ein neues Angebot die avws.selbsthilfe.plus-Plattform entwickelt und vielfältige Informationsangebote zur Verfügung gestellt. Außerdem besteht dort die Möglichkeit, sich interdisziplinär unter Fachkräften und Betroffenen auszutauschen.
Literatur
- 1.
- Meiland S, Rinneberg-Schmidt L, Wagner S, Zetsche O. AVWS - Eine lebensweltliche Herausforderung für Jugendliche und Erwachsene. Hörgeschädigten-Pädagogik. 2019;73(4):200-11.
- 2.
- Rinneberg-Schmidt L, Meiland S, Wagner S, Zetsche O. Leben mit AVWS: Ergebnis-Website des Forschungs-Projekts SL.AVWS. Verfügbar unter: https://leben-mit-avws.de
- 3.
- Leipziger AVWS-Board. Übersicht zu Projekten/Medien und Informationsmaterialien rund um AVWS. Verfügbar unter: https://leipziger-avws-board.de/
- 4.
- AVWS.Selbsthilfe.plus. Empowerment-Plattform für Menschen mit AVWS, Angehörige und Fachkräfte. Verfügbar unter: https://avws.selbsthilfe.plus