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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Heterogene klinische Profile bei Kindern mit Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen: Eine retrospektive Studie

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Nora-Sophie Minaschek - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Dörte Pollex - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Dirk Mürbe - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Anke Hirschfelder - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
  • Claudia Männel - Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP17

doi: 10.3205/24dgpp51, urn:nbn:de:0183-24dgpp510

Published: August 20, 2024

© 2024 Minaschek et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kinder mit einer Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) leiden unter einer erschwerten zentralen Verarbeitung auditiver Signale, vorrangig bei der Filterung der Signale aus Störgeräuschen. Zusätzlich können die Geräuschlokalisation, die Unterscheidung von Tonhöhen oder Sprachlauten oder das auditive Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt sein. Auf internationaler Ebene herrscht bisher keine Übereinstimmung hinsichtlich der Bereiche, in denen für eine Diagnose Auffälligkeiten vorliegen müssen. Die aktuelle Studie verfolgt das Ziel, die klinischen Profile von Kindern mit einer AVWS hinsichtlich der Art und des Schweregrades der Beeinträchtigungen in Abhängigkeit von komorbiden Entwicklungsstörungen zu untersuchen.

Material und Methoden: Anhand deskriptiver und Inferenzstatistik wurden retrospektiv die klinischen Daten von n=103 Kindern evaluiert, bei denen zwischen Mai 2012 und Juli 2021 eine AVWS diagnostiziert wurde. Es wurden die Anzahl betroffener Kinder in den vier diagnostischen Bereichen (Hören im Störgeräusch, dichotisches Hören, phonologische Bewusstheit und sprachlich-auditives Kurzzeitgedächtnis) und der Schweregrad der Beeinträchtigung (Anzahl beeinträchtigter Bereiche) in Abhängigkeit von komorbiden Entwicklungsstörungen ausgewertet.

Ergebnisse: Alle der untersuchten Kinder zeigten phonologische Auffälligkeiten, während 82% Schwierigkeiten beim Hören im Störgeräusch, 74% beim dichotischen Hören und 51% beim sprachlich-auditiven Kurzzeitgedächtnis zeigten. Bezüglich der Anzahl betroffener Bereiche, wiesen die Kinder jeweils zu 33.3% Auffälligkeiten in zwei, drei und vier diagnostischen Bereichen auf. Darüber hinaus wurden bei 25% der Kinder eine alleinige AVWS diagnostiziert, bei 47% wurde eine komorbide Lese-Rechtschreibstörung (LRS) festgestellt, bei 13% eine komorbide Sprachentwicklungsstörung (SES) und bei 15% eine komorbide LRS und SES. Chi-Quadrat-Tests für die Komorbiditätengruppen zeigten, dass diese zwar den Schweregrad der Beeinträchtigung beeinflussen, sich jedoch nicht hinsichtlich der Fälle in den diagnostischen Bereichen unterscheiden.

Diskussion/Fazit: Die Beobachtung heterogener klinischer Profile bei Kindern mit AVWS ist nicht durch komorbide Entwicklungsstörungen per se erklärbar. Diese Ergebnisse stützen den Vorschlag, AVWS nicht als uniforme Störung zu betrachten, sondern als Spektrum an multiplen Beeinträchtigungen, welches differenzierter Diagnostik- und Behandlungsansätze bedarf.


Text

Hintergrund

Kinder mit einer Auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) leiden unter einer erschwerten zentralen Verarbeitung auditiver Signale, vorrangig bei der Filterung der Signale aus Störgeräuschen. Zusätzlich können die Geräuschlokalisation, die Unterscheidung von Tonhöhen oder Sprachlauten oder das auditive Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt sein [1]. Auf internationaler Ebene herrscht bisher keine Übereinstimmung hinsichtlich der Bereiche, in denen für eine Diagnose Auffälligkeiten vorliegen müssen [2], [3], [4], [5]. Die aktuelle Studie verfolgt das Ziel, die klinischen Profile von Kindern mit einer AVWS hinsichtlich der Art und des Schweregrades der Beeinträchtigungen in Abhängigkeit von komorbiden Entwicklungsstörungen zu untersuchen.

Material und Methoden

Anhand deskriptiver und Inferenzstatistik wurden retrospektiv die klinischen Daten von n=103 Kindern evaluiert, bei denen zwischen Mai 2012 und Juli 2021 eine AVWS diagnostiziert wurde. Es wurden die Anzahl betroffener Kinder in den vier diagnostischen Bereichen (Hören im Störgeräusch, dichotisches Hören, phonologische Bewusstheit und sprachlich-auditives Kurzzeitgedächtnis) und der Schweregrad der Beeinträchtigung (Anzahl beeinträchtigter Bereiche) in Abhängigkeit von komorbiden Entwicklungsstörungen ausgewertet.

Ergebnisse

Alle der untersuchten Kinder zeigten phonologische Auffälligkeiten, während 82% Schwierigkeiten beim Hören im Störgeräusch, 74% beim dichotischen Hören und 51% beim sprachlich-auditiven Kurzzeitgedächtnis zeigten. Bezüglich der Anzahl betroffener Bereiche, wiesen die Kinder jeweils zu 33.3% Auffälligkeiten in zwei, drei und vier diagnostischen Bereichen auf. Darüber hinaus wurden bei 25% der Kinder eine alleinige AVWS diagnostiziert, bei 47% wurde eine komorbide Lese-Rechtschreibstörung (LRS) festgestellt, bei 13% eine komorbide Sprachentwicklungsstörung (SES) und bei 15% eine komorbide LRS und SES. Chi-Quadrat-Tests für die Komorbiditätengruppen zeigten, dass diese zwar den Schweregrad der Beeinträchtigung beeinflussen, sich jedoch nicht hinsichtlich der Fälle in den diagnostischen Bereichen unterscheiden.

Diskussion/Fazit

Die Beobachtung heterogener klinischer Profile bei Kindern mit AVWS ist nicht durch komorbide Entwicklungsstörungen per se erklärbar. Diese Ergebnisse stützen den Vorschlag, AVWS nicht als uniforme Störung zu betrachten, sondern als Spektrum an multiplen Beeinträchtigungen, welches differenzierter Diagnostik- und Behandlungsansätze bedarf [4], [6], [7], [8], [9].


Literatur

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Ptok M, Kiese-Himmel C, Nickisch A. Leitlinie „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen“: Definition: S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie [Guideline: Auditive Processing and Perception Disorders: Definition: Guideline of the German Society of Phoniatrics and Pediatric Audiology]. HNO. 2019 Jan;67(1):8-14. DOI: 10.1007/s00106-018-0598-y External link
2.
British Society of Audiology. Position Statement and Practice Guidance Auditory Processing Disorder (APD). 2018.
3.
American Academy of Audiology. Diagnosis, treatment and management of children and adults with central auditory processing disorder. 2010. (American Academy of Audiology Clinical Practice Guidelines).
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Tabone N, Grech H, Bamiou D. Contentious issues related to Auditory Processing Disorder. Malta Journal of Health Sciences. 2020:7-18. DOI: 10.14614/AUDPROCDIS/6/20 External link
5.
American Speech-Language Hearing Association. Central auditory processing. Curr Opin Otolaryngol Head Neck Surg. 2005;7:274-81. DOI: 10.1097/00020840-199910000-00011 External link
6.
Schönweiler R, Kiese-Himmel C, Plotz K, Nickisch A, Am Zehnhoff-Dinnesen A. Leitlinie „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen“: Vorschlag für Behandlung und Management bei AVWS: S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie [Guideline: Auditory processing and perception disorders: Proposal for treatment and management of APD: S1 guideline of the German Society of Phoniatrics and Pediatric Audiology]. HNO. 2020 Aug;68(8):598-612. DOI: 10.1007/s00106-020-00825-0 External link
7.
Wilson WJ. Evolving the concept of APD. Int J Audiol. 2018 Apr;57(4):240-8. DOI: 10.1080/14992027.2017.1409438 External link
8.
Sharma M, Purdy SC, Humburg P. Cluster Analyses Reveals Subgroups of Children With Suspected Auditory Processing Disorders. Front Psychol. 2019;10:2481. DOI: 10.3389/fpsyg.2019.02481 External link
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de Wit E, van Dijk P, Hanekamp S, Visser-Bochane MI, Steenbergen B, van der Schans CP, Luinge MR. Same or Different: The Overlap Between Children With Auditory Processing Disorders and Children With Other Developmental Disorders: A Systematic Review. Ear Hear. 2018;39(1):1-19. DOI: 10.1097/AUD.0000000000000479 External link