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Die Herausforderungen von Kindern mit Schwerhörigkeit und Gleichgewichtsstörungen: Eine Perspektive
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Published: | August 20, 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Kinder mit Schwerhörigkeiten und Gleichgewichtsstörungen sind bereits aufgrund der Hörstörung Bedingungen ausgesetzt, die ihre sprachliche und allgemeine Entwicklung, Bildung und Lebensqualität beeinflussen können. Während sich für die Früherkennung von Schwerhörigkeiten mit dem Neugeborenen-Hörscreening ein Standard etabliert hat, werden Gleichgewichtsstörungen bei Kindern nur sehr selten diagnostiziert. Dabei haben Kinder mit einer Innenschwerhörigkeit ein höheres Risiko für eine Funktionsstörung der Gleichgewichtsorgane. Um die bestmögliche Unterstützung für betroffene Kinder zu ermöglichen, ist eine ganzheitliche Bewertung und Behandlung anzustreben.
Material und Methoden: Zwischen dem 01.01.2023 und dem 31.12.2023 wurden 124 schwerhörige Kinder im Alter von 6 Monaten bis 17 Jahren (Median 6 Jahre) im Rahmen der stationären Hördiagnostik neurootologisch auf eine peripher-vestibuläre Läsion hin untersucht. Neben einer fundierten Anamnese zur motorischen Entwicklung fand eine Leuchtbrillentestung (Spontan- und Provokationsnystagmus) statt und es erfolgte die Ableitung von vestibulär evozierte myogene Potenzialen (cVEMP und/oder oVEMP) sowie ein Video-Kopf-Impulstest. Die Auswertung erfolgte retrospektiv.
Ergebnisse: Bei den 124 schwerhörigen Kindern war bei allen eine orientierende Einschätzung im Rahmen der Gleichgewichtsdiagnostik möglich. Bei der apparativen Testung war bei 110 Kinder die Ableitung von VEMP möglich und bei 110 Kindern konnte ein Video-Kopf-Impulstest durchgeführt werden. Lediglich bei 2 Kindern konnte keine apparative Untersuchung durchgeführt werden, hier erfolgte klinisch ein Kopf-Impuls-Test. Bei 52% der 122 apparativ untersuchten Kinder konnte eine Auffälligkeit gefunden werden (n=63). Bei 4% zeigte sich eine isolierte pathologische Bogengangsfunktion. Bei 31% konnte eine gestörte Otolithenfunktion nachgewiesen werden. Pathologische Befunde bei beiden Untersuchungen waren bei 16% zu finden.
Fazit: Aufgrund des vermehrten Auftretens peripher-vestibulärer Störungen bei schwerhörigen Kindern erscheint eine routinemäßige Diagnostik mittels gut tolerierter Tests wie dem Video-Kopfimpulstest und der Ableitung vestibulär evozierter myogener Potenziale sinnvoll. Diese Untersuchungen lassen sich gut in den klinischen Alltag integrieren. Die Eltern der betroffenen Kinder sollten über die Bedeutung einer vestibulären Läsion aufgeklärt und zu intensivem Gleichgewichtstraining ermutigt werden.
Text
Hintergrund
Kinder mit Schwerhörigkeiten und Gleichgewichtsstörungen sind bereits aufgrund der Hörstörung Bedingungen ausgesetzt, die ihre sprachliche und allgemeine Entwicklung, Bildung und Lebensqualität beeinflussen können [1], [2]. Während sich für die Früherkennung von Schwerhörigkeiten mit dem Neugeborenen-Hörscreening ein Standard etabliert hat, werden Gleichgewichtsstörungen bei Kindern nur sehr selten diagnostiziert. Dabei haben Kinder mit einer Innenschwerhörigkeit ein höheres Risiko für eine Funktionsstörung der Gleichgewichtsorgane [3]. Um die bestmögliche Unterstützung für betroffene Kinder zu ermöglich, ist eine ganzheitliche Bewertung und Behandlung anzustreben.
Material und Methoden
Zwischen dem 01.01.2023 und dem 31.12.2023 wurden 124 schwerhörige Kinder im Alter von 6 Monaten bis 17 Jahren (Median 6 Jahre) im Rahmen der stationären Hördiagnostik neurootologisch auf eine peripher-vestibuläre Läsion hin untersucht. Die pädaudiologische Untersuchung fand entsprechend des Lebens- und Entwicklungsalters des Kindes statt (subjektive und objektive Verfahren). Neben einer fundierten Anamnese zur motorischen Entwicklung fanden eine Leuchtbrillentestung (Spontan- und Provokationsnystagmus), die Ableitung von vestibulär evozierte myogene Potenzialen (cVEMP und/oder oVEMP) sowie ein Video-Kopf-Impulstest statt. Spielerisch wurde jedes Kind individuell zur Mitarbeit motiviert. Der durchschnittliche Zeitaufwand wurde mit 30 Minuten angegeben. Die Auswertung erfolgte retrospektiv.
Ergebnisse
Bei den 124 schwerhörigen Kindern war bei allen mindestens eine orientierende Einschätzung im Rahmen der Gleichgewichtsdiagnostik möglich. Bei der apparativen Testung war bei 110 Kinder die Ableitung von VEMP möglich und bei 110 Kindern konnte ein Video-Kopf-Impulstest durchgeführt werden. Lediglich bei 2 Kindern (2 und 6 Jahre alt) konnte keine apparative Untersuchung durchgeführt werden, da diese nicht toleriert wurde. Hier erfolgte klinisch ein Kopf-Impuls-Test. Bei 52% der 122 apparativ untersuchten Kinder konnte eine Auffälligkeit gefunden werden (n=63). Bei 4% zeigte sich eine isolierte pathologische Bogengangsfunktion. Bei 31% konnte eine gestörte Otolithenfunktion nachgewiesen werden. Pathologische Befunde bei beiden Untersuchungen waren bei 16% zu finden.
Abbildung 1 [Abb. 1] zeigt exemplarisch den Befund eines Video-Kopf-Impulstestes einer 9-jährigen Patientin, welche beidseits mit einem Cochlea-Implantat versorgt ist. Durch die Untersuchung wurde die Erstdiagnose einer bilateralen Vestibulopathie gestellt.
Diskussion und Fazit
Die Prävalenz von 52% für vestibuläre Auffälligkeiten bei schwerhörigen Kindern in unserer Studienkohorte ist hoch und liegt deutlich über der allgemeinen Prävalenz, die in der Literatur mit 30,4% bei Kindern und Jugendlichen angegeben wird [4]. In einer Arbeit von Wiener-Vacher et al. [5] konnte gezeigt werden, dass bei Kindern mit schwerem Hörverlust vestibuläre Beeinträchtigungen häufig sind und diese je nach Ursache des Hörverlustes variierten und Einfluss auf die Meilensteine der Entwicklung haben. Aufgrund des vermehrten Auftretens peripher-vestibulärer Störungen bei schwerhörigen Kindern erscheint eine routinemäßige Diagnostik mittels gut tolerierter Tests wie dem Video-Kopfimpulstest und der Ableitung vestibulär evozierter myogener Potenziale sinnvoll. Diese Untersuchungen lassen sich gut in den klinischen Alltag integrieren. Die Eltern der betroffenen Kinder sollten über die Bedeutung einer vestibulären Läsion aufgeklärt und zu intensivem Gleichgewichtstraining ermutigt werden.
Literatur
- 1.
- Lieu JEC, Kenna M, Anne S, Davidson L. Hearing Loss in Children: A Review. JAMA. 2020 Dec 1;324(21):2195-2205. DOI: 10.1001/jama.2020.17647
- 2.
- Ronner EA, Benchetrit L, Levesque P, Basonbul RA, Cohen MS. Quality of Life in Children with Sensorineural Hearing Loss. Otolaryngol Head Neck Surg. 2020 Jan;162(1):129-36. DOI: 10.1177/0194599819886122
- 3.
- Gadsbøll E, Erbs AW, Hougaard DD. Prevalence of abnormal vestibular responses in children with sensorineural hearing loss. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2022 Oct;279(10):4695-4707. DOI: 10.1007/s00405-021-07241-2
- 4.
- Saniasiaya J, Islam MA, Salim R. The global prevalence of vestibular dysfunction in children and adolescents: a systematic review and meta-analysis. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2023 Jun;280(6):2663-74. DOI: 10.1007/s00405-23-07842-z
- 5.
- Wiener-Vacher SR, Campi M, Caldani S, Thai-Van H. Vestibular Impairment and Postural Development in Children With Bilateral Profound Hearing Loss. JAMA Netw Open. 2024 May 1;7(5):e2412846. DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.12846