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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Eine ausführliche objektive Hörprüfung ist bei Hinweis auf Aggravation einer Hörstörung essentiell

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  • corresponding author presenting/speaker Antonia Nolte - Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie, Bonn, Deutschland
  • author Peggy Herrmann - Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie, Bonn, Deutschland

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP16

doi: 10.3205/24dgpp46, urn:nbn:de:0183-24dgpp463

Published: August 20, 2024

© 2024 Nolte et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Hochgradige, steil ansteigende Schwerhörigkeiten, die nur auf den Tieftonbereich beschränkt sind, sind in unserem klinischen Alltag eher eine Seltenheit. Die subjektive Hörprüfung kann in diesen Fällen für den Untersucher eine Herausforderung sein, um die sichere Hörschwelle zu bestimmen.

Material und Methoden: Es stellte sich erstmalig ein 9-Jähriges Mädchen in unserer Pädaudiologie bei subjektiv progredienter Hörstörung vor. Bei ihr wurde bereits extern im Alter von 7 Jahren eine Schwerhörigkeit diagnostiziert und eine Hörgeräteversorgung eingeleitet. In der Tonaudiometrie gab sie eine lineare an Taubheit grenzende Hörminderung beidseits an. Der Hörverlust für Zahlen lag rechts bei 60 dB und links bei 45 dB. Im Sprachaudiogramm lag ein 0% Einsilberverstehen bei 65 dB bds., rechts ein 20% und links ein 90% Einsilberverstehen bei 80 dB vor. Da einerseits die otoakustischen Emissionen (OAE) in einzelnen hohen Frequenzen nachweisbar und das Einsilberverstehen mit dem Hörverlust nicht kongruent war, sodass wir eine objektive Diagnostik ergänzten.

Ergebnisse: In der BERA ergab sich eine Click-Schwelle (2–4 kHz) bei 20–30 dB HL bds., weitere Frequenzen konnten bei Unruhe nicht gemessen werden. Die OAE waren beidseits ab 3 kHz nachweisbar. Ergänzend zeigte ein MRT Felsenbein keinen pathologischen Befund im Bereich der Cochlea und des N. vestibulocochlearis beidseits. Auch in der BERA gab es keine Hinweise auf eine retrocochleäre Hörstörung. In der Tonaudiometrie machte sie weiterhin mehrfach nicht reproduzierbare Angaben und gab einen linearen hochgradigen Hörverlust an. Zunächst wurde die Verdachtsdiagnose einer geringgradigen Schwerhörigkeit mit Aggravation der Hörstörung gestellt und eine Kinder- und Jugendpsychologische Anbindung empfohlen. Wir entschieden uns dennoch eine Low-Chirp (500 Hz) BERA, welche rechts eine Schwelle bei 60 bis 70 dB HL und links bei 50 bis 60 dB HL und eine High-Chirp (4 kHz) BERA mit einer Schwelle von 10–20 dB HL ergab, zu ergänzen. Eine ASSR ergab rechts die Schwellen 55 dB HL bei 500 Hz, 60 dB HL bei 1kHz, 55 dB HL bei 2 kHz, 20 dB HL bei 4 kHz und links 75 dB HL bei 500 Hz, 65 dB HL bei 1 kHz, 55 dB HL bei 2 kHz und 20 dB HL bei 4 kHz.

Wir stellten die Diagnose einer hochgradigen Tieftonschwerhörigkeit.

Fazit: Bei inkongruenter subjektiver und objektiver Hörprüfung sollte nicht sofort auf eine Aggravation einer Hörstörung geschlossen werden. Eine ausführliche objektive Diagnostik inklusive Messung einer Low- und High-Chirp BERA bzw. ASSR ist für eine optimale Hörgeräteeinstellung obligat.


Text

Hintergrund

Hochgradige, steil ansteigende Schwerhörigkeiten, die nur auf den Tieftonbereich beschränkt sind, sind in unserem klinischen Alltag eher eine Seltenheit. Die subjektive Hörprüfung kann in diesen Fällen für den Untersucher eine Herausforderung sein, um die sichere Hörschwelle zu bestimmen.

Material und Methoden

Es stellte sich erstmalig ein 9-Jähriges Mädchen in unserer Pädaudiologie bei subjektiv progredienter Hörstörung vor. Bei ihr wurde bereits extern im Alter von 7 Jahren eine mittelgradige Schwerhörigkeit diagnostiziert und eine Hörgeräteversorgung eingeleitet. Das Neugeborenenhörscreening sei unauffällig gewesen und die Sprachentwicklung sei altersentsprechend verlaufen. In der Tonaudiometrie gab sie eine lineare an Taubheit grenzende Hörminderung beidseits an. Der Hörverlust für Zahlen lag rechts bei 60 dB und links bei 45 dB. Im Sprachaudiogramm lag ein 0% Einsilberverstehen bei 65 dB bds., rechts ein 20% und links ein 90% Einsilberverstehen bei 80 dB vor. Die TEOAE waren beidseits nicht nachweisbar. Da einerseits die DPOAE rechts bei 4 bis 6 kHz und links bei 6 bis 8 kHz nachweisbar und das Einsilberverstehen mit dem Hörverlust nicht kongruent war, ergänzten wir eine objektive Diagnostik.

Abbildung 1 [Abb. 1]

Ergebnisse

In der BERA ergab sich eine Click-Schwelle (2–4 kHz) bei 20–30 dB HL bds. mit normwertigen Latenzen und Interpeaklatenzen, weitere Frequenzen konnten bei Unruhe nicht gemessen werden. Die DPOAE waren beidseits ab 3 kHz nachweisbar. Ergänzend zeigte ein MRT Felsenbein keinen pathologischen Befund im Bereich der Cochlea und des N. vestibulocochlearis beidseits. Auch in der BERA gab es keine Hinweise auf eine retrocochleäre Hörstörung. In der Tonaudiometrie machte sie weiterhin mehrfach nicht reproduzierbare Angaben und gab einen linearen Hörverlust rechts bei 100 dB und links bei 60 bis 70 dB an. Zunächst wurde die Verdachtsdiagnose einer geringgradigen Schwerhörigkeit mit Aggravation der Hörstörung gestellt und eine Kinder- und Jugendpsychologische Anbindung empfohlen. Wir entschieden uns dennoch eine Low-Chirp (500 Hz) BERA, welche rechts eine Schwelle bei 60 bis 70 dB HL und links bei 50 bis 60 dB HL ergab, als auch eine High-Chirp (4 kHz) BERA, welche eine Schwelle von 10–20 dB HL ergab, zu ergänzen. Eine ASSR ergab rechts die Schwellen 55 dB HL bei 500 Hz, 60 dB HL bei 1 kHz, 55 dB HL bei 2 kHz, 20 dB HL bei 4 kHz und links 75 dB HL bei 500 Hz, 65 dB HL bei 1 kHz, 55 dB HL bei 2 kHz und 20 dB HL bei 4 kHz. Die Stapediusreflexe waren rechts ipsi- und kontralateral nicht nachweisbar, links waren sie ipsilateral in allen Frequenzen und kontralateral zwischen 1 und 4 kHz nachweisbar.

Abbildung 2 [Abb. 2]

Wir stellten die Diagnose einer hochgradigen Tieftonschwerhörigkeit.

Diskussion

Im Rahmen einer audiologischen Messung ist es wichtig darauf zu achten, dass der Hörverlust für Zahlen als auch das Einsilberverstehen mit dem vorliegenden Hörverlust übereinstimmt. Sollte der Hörverlust für Zahlen über dem der Tonschwelle liegen, ist die gemessene Hörschwelle in Frage zu stellen. Hier sollte aber nicht unmittelbar auf eine Aggravation geschlossen werden, sondern insbesondere an eine Tieftonschwerhörigkeit oder auch eine retrocochleäre bzw. zentrale Hörstörung gedacht werden.

Im Rahmen der möglichen Messmethoden gibt es verschiedene Möglichkeiten im Tonaudiogramm die sichere Hörschwelle zu bestimmen. Nach Niemeyer kann bei feststehender Lautstärke die Tonhöhe über den ganzen Frequenzbereich geändert werden. Eine langsame Messung mit langsamer Intensitätssteigerung ist zu empfehlen. Im Sprachaudiogramm sollte mit geringen Sprachschallpegeln begonnen und langsam in 5 dB Schritten gesteigert werden. Weitere Messmethoden, um eine Aggravation einer beidseitigen Hörstörung zu bestimmen sind die automatische Békésy-Audiometrie, der Lombard Leseversuch, Sprachverzögerungstest nach Lee, als auch der binaurale Wörtertest nach Doerfler-Steward. Von diesen Messmethoden ist man jedoch bei sehr hohem Zeitaufwand abgekommen, da zudem mit objektiven Messmethoden in der Regel ein valides Ergebnis erzielt wird. Da auch erfahrene Untersucher nicht immer die wahre Hörschwelle im Tonaudiogramm sicher bestimmen können, ist es umso wichtiger, dass eine ausführliche objektive Hörprüfung über die verschiedenen Frequenzen zur weiteren Verifizierung erfolgt. Dennoch sollte mit o.g. subjektiven Messmethoden versucht werden eine sichere Hörschwelle für ein Arbeitsaudiogramm zu erstellen, um eine optimale Hörgeräteversorgung zu gewährleisten [1].

Fazit

Bei inkongruenter subjektiver und objektiver Hörprüfung sollte nicht sofort auf eine Aggravation einer Hörstörung geschlossen werden. Eine ausführliche subjektive und objektive Diagnostik inklusive Messung einer Low- und High-Chirp BERA bzw. ASSR ist für eine optimale Hörgeräteeinstellung obligat.


Literatur

1.
Lehnardt E, Laszig R. Praxis der Audiometrie. 9. Aufl. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2009.