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Neurowissenschaftliche Befunde zur Entwicklung des Sprachverstehens bei erwachsenen CI-Tragenden: Eine longitudinale Studie über die ersten 12 Monate nach Versorgung
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Published: | August 20, 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Ein gutes Sprachverstehen mit Cochlea-Implantat (CI) bedarf bei Erwachsenen zunächst einiger Lern- und Adaptationsprozesse. Der ungewohnte und reduzierte Input kann nicht unmittelbar auf die im mentalen Lexikon gespeicherten Einträge abgebildet werden. Insbesondere das Verstehen im Störlärm bleibt auch für langjährig Versorgte eine Herausforderung. Über die neuro-kognitiven Grundlagen dieser Prozesse ist jedoch wenig bekannt (vgl. Hahne et al. 2024). Ziel der Studie war es, diese Lernprozesse mittels objektiver Messverfahren genauer zu untersuchen.
Material und Methoden: In die Studie eingeschlossen wurden 23 postlinguale CI-Tragende, die auch auf der Gegenseite stark schwerhörig waren. Ihnen wurden Bilder einfacher Objekte in Kombination mit gesprochenen Wörtern präsentiert. Die Wörter bezeichneten entweder das abgebildete Objekt (kongruente Bedingung) oder ein anderes Objekt (inkongruente Bedingung). Die Wörter wurden entweder in Ruhe oder mit einem Rauschen unterlegt dargeboten. Während der Präsentation wurde das EEG abgeleitet. Die Untersuchungen fanden zu vier verschiedenen Zeitpunkten relativ zur Erstaktivierung des Prozessors statt: 3 Tage, 6 Wochen, 3 Monate und 12 Monate. Außerdem wurde eine normalhörende Kontrollgruppe (KG) untersucht.
Ergebnisse: In Ruhe zeigte die CI-Gruppe bereits nach 3 Tagen einen signifikanten Unterschied in der Verarbeitung der kongruenten und inkongruenten Wörter, der jedoch wesentlich später begann und länger andauerte als in der Kontrollgruppe. Die Wortverarbeitung glich sich über das erste Jahr der CI-Versorgung bezüglich Latenz und Dauer der bei der KG beobachteten Effekte an, wenngleich auch nach 12 Monaten noch Unterschiede zwischen den Gruppen existierten. Wenn die Wörter jedoch mit einem Rauschen unterlegt waren, zeigte sich zu den ersten beiden Testzeitpunkten kein Unterschied zwischen kongruenten und inkongruenten Wörtern. Auch zum letzten Messzeitpunkt war die Verarbeitung noch deutlich verändert im Vergleich zur KG.
Diskussion: Es zeigte sich in den EEG-Daten eine deutliche Entwicklung des Wortverstehens über das erste Jahr der CI-Versorgung hin zu einer schnelleren und Verarbeitung von Wörtern. Das verwendete Paradigma bietet die Möglichkeit, die Verarbeitung gesprochener Wörter bei CI-Trägern bereits kurz nach Implantataktivierung objektiv und zeitgenau zu erfassen und den weiteren Lernverlauf systematisch zu verfolgen.
Fazit: EEG-Messungen können detaillierte Einblicke in sprachliche Verarbeitungsprozesse mit CI geben und bieten wertvolle Grundlagen für die Rehabilitation.
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Hintergrund
Ein gutes Sprachverstehen mit Cochlea-Implantat (CI) bedarf bei Erwachsenen zunächst einiger Lern- und Adaptationsprozesse. Der ungewohnte und reduzierte Input kann nicht unmittelbar auf die im mentalen Lexikon gespeicherten Einträge abgebildet werden. Insbesondere das Verstehen im Störlärm bleibt auch für langjährig Versorgte eine Herausforderung. Über die neuro-kognitiven Grundlagen dieser Prozesse ist jedoch wenig bekannt [1]. Ziel der Studie war es, diese Lernprozesse mittels objektiver Messverfahren genauer zu untersuchen. Dazu wurde eine Längsschnittstudie durchgeführt, bei der CI-Tragende zu 4 verschiedenen Zeitpunkten innerhalb des ersten Jahres der Versorgung untersucht wurden.
Material und Methoden
In die Studie eingeschlossen wurden 23 postlinguale, monaural mit CI versorgte Personen (Median des Alters 66 Jahre; Range 36–81 Jahre; 13 weiblich, 10 männlich), die auch auf der Gegenseite stark schwerhörig waren (mittlerer PTA4-Wert der Gegenseite = 78 dB). Des Weiteren wurde zum Vergleich eine Kontrollgruppe altersgerecht normalhörender Proband:innen getestet (Median des Alters 66 Jahre; Range 33–80 Jahre; 13 weiblich, 10 männlich; PTA4-Wert = 19 dB).
Es wurde ein bimodales Priming-Paradigma verwendet, bei dem Bilder von einfachen Objekten in Kombination mit gesprochenen Wörtern präsentiert wurden. Die Wörter bezeichneten entweder das abgebildete Objekt (kongruente Bedingung) oder ein anderes Objekt (inkongruente Bedingung). Die Wörter wurden entweder in Ruhe oder mit einem Rauschen (ICRA1 mit SNR 5 dB) unterlegt dargeboten. Während der Präsentation wurde das EEG abgeleitet, im Anschluss wurden die ereigniskorrelierten Potentiale auf die akustisch präsentierten Wörter berechnet. Die Untersuchungen fanden für die CI-Träger:innen zu vier verschiedenen Zeitpunkten relativ zur Erstaktivierung des Prozessors statt: 3 Tage, 6 Wochen, 3 Monate und 12 Monate. Die Kontrollgruppe (KG) wurde nur zu einem Zeitpunkt untersucht. Während der EEG-Messung wurde in den Pausen die Höranstrengung erfasst [2].
Ergebnisse
In Ruhe zeigte die Kontrollgruppe ein deutlich negativeres Potential für die inkongruente im Vergleich zur kongruenten Bedingung. Dieser Effekt (N400-Effekt) war erwartet worden und entspricht den Befunden aus der Literatur. In der CI-Gruppe konnte bereits 3 Tage nach Implantataktivierung ein signifikanter Unterschied in der Verarbeitung der kongruenten und inkongruenten Wörter beobachtet werden, der jedoch wesentlich später begann und länger andauerte als in der Kontrollgruppe. Die Wortverarbeitung glich sich über das erste Jahr der CI-Versorgung bezüglich Latenz und Dauer der bei der Kontrollgruppe beobachteten Effekte an, wenngleich auch nach 12 Monaten noch Unterschiede zwischen den Gruppen existierten.
Wenn die Wörter jedoch mit einem Rauschen unterlegt waren, wurden sie deutlich anders verarbeitet. Auch in der Kontrollgruppe war ein Einfluss des Rauschens auf die kognitive Verarbeitung festzustellen: der N400-Effekt hatte zwar eine vergleichbare Onsetlatenz, hielt jedoch wesentlich länger an als in der Bedingung ohne Störgeräusch.
Für die CI-Gruppe konnte in der Störgeräuschbedingung zu den ersten beiden Testzeitpunkten kein signifikanter Unterschied zwischen kongruenten und inkongruenten Wörtern nachweisbar. Erst 3 Monate nach Erstanpassung war eine schwache und späte Negativierung zu beobachten, die deskriptiv der Negatierung zum ersten Zeitpunkt in der Bedingung ohne Rauschen ähnelte. Zu diesem Zeitpunkt schien ein erstes Verstehen einzelner Wörter bzw. bei einzelnen Probanden einzusetzen. Auch zum letzten Messzeitpunkt war die Verarbeitung noch deutlich verändert im Vergleich zur Kontrollgruppe.
Die Ergebnisse der Beurteilung der Höranstrengung zeigten, dass die Werte für die Kontrollgruppe niedriger waren als für die CI-Gruppe. Zudem war in beiden Gruppen ein Anstieg der Höranstrengung für die Präsentation der Wörter im Rauschen im Gegensatz zu der Situation in Ruhe zu beobachten. Dieser Unterschied war in der CI-Gruppe jedoch überproportional stärker als in der Kontrollgruppe und blieb über das erste Jahr der CI-Versorgung annähernd konstant.
Diskussion
In dieser Studie wurde mittels objektiver Methoden der Nachweis erbracht, dass nach nur 3 Tagen CI-Erfahrung eine valide Wortdifferenzierung möglich ist, da ein signifikanter Unterschied zwischen unterschiedlich voraktivierten Wörtern nachweisbar war. Im längsschnittlichen Verlauf über das erste Jahr der Versorgung zeigte sich eine deutliche Entwicklung der Wortverarbeitung mit CI hin zu einer schnelleren und effektiveren Verarbeitung von Wörtern. Diese glich sich tendenziell immer mehr der Wortverarbeitung der Kontrollgruppe an.
Die beginnende Wortdifferenzierung im Rauschen zeigte sich etwa 3 Monate später als in der Ruhe-Bedingung und wies nach 12 Monaten CI-Versorgung immer noch deutlich Unterschiede auf. Insbesondere die größere Dauer der Negativierung in der CI-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe in beiden Bedingungen (Ruhe und Rauschen) ist als Zeichen für einen erhöhten Verarbeitungsaufwand interpretierbar.
Das verwendete Paradigma bietet die Möglichkeit, die Verarbeitung gesprochener Wörter bei CI-Trägern bereits kurz nach Implantataktivierung objektiv und zeitgenau zu erfassen und den weiteren Lernverlauf systematisch zu verfolgen.
Fazit/Schlussfolgerung
EEG-Messungen können detaillierte Einblicke in sprachliche Verarbeitungsprozesse mit CI geben und bieten wertvolle Grundlagen für die Rehabilitation.
Literatur
- 1.
- Hahne A, Vavatzanidis NK, Zahnert T. Die N400-Komponente im EEG als Marker für Spracherwerb und Wortverarbeitung nach CI-Versorgung [The EEG N400 component as a marker of language acquisition and processing in cochlear implant users]. Laryngorhinootologie. 2024 Apr;103(4):252-60. DOI: 10.1055/a-2246-2494
- 2.
- Krueger M, Schulte M, Brand T, Holube I. Development of an adaptive scaling method for subjective listening effort. J Acoust Soc Am. 2017 Jun;141(6):4680. DOI: 10.1121/1.4986938