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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Einfluss des binauralen Hörens mit Cochlea-Implantaten auf die Korrelation zwischen Richtungshören und Sprachverstehen in Ruhe sowie Störschall

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Justus Schücke - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland
  • Karl-Ludwig Bruchhage - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Sektion für HNO-Heilkunde und plastische Chirurgie, Lübeck, Deutschland
  • Rainer Schönweiler - Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, Sektion für Phoniatrie und Pädaudiologie, Lübeck, Deutschland

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocP14

doi: 10.3205/24dgpp40, urn:nbn:de:0183-24dgpp401

Published: August 20, 2024

© 2024 Schücke et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Bekanntermaßen gilt eine möglichst gleiche binaurale Lautheitswahrnehmung als großen Vorteil für die Schalllokalisierung und das Sprachverstehen im Störschall (Rana et al. 2017). Jedoch ist bisher unklar, wie der Grad binauraler Lautheitswahrnehmung das Richtungshören und das Sprachverstehen in Ruhe sowie Störschall beeinflusst und ob ein Zusammenhang zwischen den Parametern besteht. Bei schwerhörenden Menschen mit Cochlea-Implantaten gilt es als schwierig, den Einfluss des binauralen Hörens auf das Sprachverstehen zu untersuchen und daher es gibt bisher wenige Untersuchungen dazu.

Material und Methoden: Deshalb wurden für die vorliegende Studie 31 CI-Patienten mit einer durchschnittlichen Tragedauer von 22 Monaten und unterschiedlichen Versorgungsarten, d.h. bilateral, bimodal und unilateral, hinsichtlich des binauralen Hörens und deren Nutzen untersucht. Zur Ermittlung der Schwellendifferenzen beider Ohren wurden Tonschwellenaudiogramme erhoben und die Patienten nach der 4-Frequenztabelle nach Röser (1973) in Hinblick auf den prozentualen Hörverlust in drei Stufen kategorisiert (Feldmann et al. 2012). Das Sprachverstehen in Ruhe und Störschall wurde mittels des Freiburger Einsilbertests (Sprechpegel 65 dB, Störgeräuschpegel 60 dB) erhoben. Für die Ermittlung des Richtungshörens wurde das inzwischen etablierte ERKI-Verfahren (Stimulus 65 dB für 300 ms) verwendet.

Ergebnisse: Beim Gesamtkollektiv gab es einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Richtungshören und Sprachverstehen in Ruhe (p=0,011). In der Analyse der Untergruppen zeigte ausschließlich die Gruppe mit überwiegend monauralem Hören (Differenz ≥45%) einen signifikanten Zusammenhang (p=0,004). In der linearen Regressionsanalyse konnte bei Ausschluss von 17 Non-Respondern, welche kein Sprachverstehen im Störschall besaßen, kein signifikanter Zusammenhang (p=0,860) für das Verstehen im Störschall aufgezeigt werden.

Fazit: Die Untersuchungen zeigen einen signifikanten positiven Zusammenhang zwischen dem Richtungshören und dem Sprachverstehen in Ruhe. Dieser Zusammenhang nimmt mit sinkender Schwellendifferenz ab, was auf einen Einfluss der fehlenden AGC-Synchronisation (Automatic Gain Control) bei bilateralen CI-Trägern hinweist. In der Praxis bedeuten die Ergebnisse, dass bei CI-Trägern mit unzuverlässiger Mitarbeit in der Sprachaudiometrie durch Messung des Richtungshörens ein Sprachverstehen in Ruhe prognostiziert werden kann, bevor eine für Sprachaudiometrie ausreichende Kompetenz erreicht wurde.


Text

Hintergrund

Bekanntermaßen gilt eine ähnliche binaurale Lautheitswahrnehmung als großer Vorteil für die Schalllokalisierung sowie das Sprachverstehen im Störschall [1]. Bisher ist jedoch unzureichend untersucht worden, inwieweit der Grad binauraler Lautheitswahrnehmung bei Trägern mit Cochlea-Implantaten (CI) die Zielgrößen beeinflusst und ob eine Korrelation zwischen dem Richtungshören und dem Sprachverstehen in Ruhe sowie Störschall besteht. Wäre eine solche Korrelation nachweisbar, könnte man bei Patienten, die eine unzureichende Kooperation in der Sprachaudiometrie aufzeigen, mithilfe eines Schalllokalisationstests, einem non-verbalen Verfahren, die Chance auf das Sprachverstehen schätzen. Eine solche Schätzung würde als Outcome-Parameter einer CI-Versorgung (Wirksamkeitsnachweis, Qualitätssicherung, Kostenübernahme) hochwillkommen sein. Des Weiteren könnte es ein Indikator für die Erfolgsaussichten der Sprachentwicklung von Kindern, den Bedarf an postoperativer Sprachtherapie, die Chance auf und den Zeitpunkt einer Wiedereingliederung bei Erwachsenen werden.

Material und Methoden

Es erfolgte eine klinische Datenerhebung mit 31 CI-Probanden, davon 18 weiblich und 13 männlich mit einem Durchschnittsalter von 62 Jahren sowie einer mittleren Tragedauer von 22 Monaten in der Klinik für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie, UKSH Lübeck. Mittels erhobener Tonschwellenaudiogramme wurden die Schwellendifferenzen beider Ohren gemäß der 4-Frequenztabelle nach Röser (1973) ermittelt [2]. Dabei ergab sich der prozentuale Hörverlust durch die Addition der von den Dezibel spezifisch zugewiesenen Werten bei den Frequenzen 0,5 kHz, 1 kHz, 2 kHz und 4 kHz. Gemäß der ermittelten Binauralität wurden die Probanden nach ihrer prozentualen Differenz beider Ohren in drei Gruppen kategorisiert:

  • Gruppe 1: Überwiegend monaurales Hören mit einer Differenz von ≥45%
  • Gruppe 2: Binaurales Hören mit einer Differenz von 21 bis 44%
  • Gruppe 3: Binaurales Hören mit einer Differenz von ≤20%

Das Sprachverstehen in Ruhe und Störschall wurde mittels der Freiburger Einsilbertests FBE und FBE-S (Sprechpegel 65 dB, Störgeräuschpegel 60 dB) ermittelt. Für die Ermittlung des Richtungshörens fand das neu etablierte ERKI-Verfahren (rosa Rauschen bei 65 dB für 300 ms) Anwendung.

Ergebnisse

Beim Gesamtkollektiv zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Richtungshören und Sprachverstehen in Ruhe (p=0,011). In der Analyse der Untergruppen wies ausschließlich die Gruppe 1 mit überwiegend monauralem Hören einen signifikanten Zusammenhang (p=0,004) auf. Die übrigen Gruppen lagen mit einem p-Wert von 0,485 für Gruppe 2 und p=0,971 für Gruppe 3 außerhalb des Signifikanzniveaus.

Abbildung 1 [Abb. 1]

In der linearen Regressionsanalyse konnte bei Ausschluss von 19 Non-Respondern, die zu lange unterversorgt waren und im Beobachtungszeitraum kein Sprachverstehen im Störschall erreichten, kein signifikanter Zusammenhang (p=0,860) zwischen Verstehen im Störschall und Richtungshören aufgezeigt werden. In den jeweiligen Hörtests wies die Gruppe 3 mit der geringsten Lautheitsdifferenz durchschnittlich die besten Testergebnisse auf.

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen einen signifikant positiven Zusammenhang zwischen dem Richtungshören und dem Sprachverstehen in Ruhe. Dieser Zusammenhang nimmt mit sinkender Lautheitsdifferenz ab, was auf einen Einfluss der unabhängigen automatischen Verstärkungsregelungen (engl. automatic gain control, AGC) bei bilateralen CI-Trägern hinweist. Nachweislich gelten die Hinweise der interauralen Pegeldifferenzen bei CI-Trägern als der dominierende Hinweis für die räumliche Wahrnehmung und Studien belegen die Auswirkungen asynchroner AGCs auf die dynamische Lokalisierungsleistung [3], [4]. So kann eine AGC-Synchronisation eine statistisch signifikante Verbesserung auf das Richtungshören nehmen und liefert eine mögliche Erklärung dafür, dass in dieser Studie eine insignifikante Korrelation beider Parameter bei geringeren Schwellendifferenzen nachweisbar war. Hingegen konnte beim Gesamtkollektiv eine Korrelation im Störschall nicht bestätigt werden und zeigt den Einfluss der Tragedauer auf die Testergebnisse, da Hintergrundgeräusche, vor allem zu Beginn, für viele CI-Träger eine sehr große Herausforderung darstellen und es viel Hörtraining bedarf. Ferner haben die Ergebnisse gezeigt, dass eine annähernd gleiche Lautheitsdifferenz, was vor allem bilaterale CI-Träger erreichen, im Vergleich zu durchschnittlich besseren Testergebnissen im Richtungshören sowie Sprachverstehen führt und einen positiven Einfluss auf die Hörfähigkeit hat.

Fazit

Für die klinische Praxis bedeuten die Ergebnisse, dass bei CI-Trägern mit unzuverlässiger Mitarbeit in der Sprachaudiometrie durch die Messung des Richtungshörens ein Sprachverstehen in Ruhe prognostiziert werden kann, bevor eine für Sprachaudiometrie ausreichende Kompetenz erreicht wurde. Zudem sollte bei CI-Trägern eine annähernd gleiche Lautheit angestrebt werden, da sie nachweislich zu einer durchschnittlich besseren Hörfähigkeit führt.


Literatur

1.
Rana B, Buchholz JM, Morgan C, Sharma M, Weller T, Konganda SA, Shirai K, Kawano A. Bilateral Versus Unilateral Cochlear Implantation in Adult Listeners: Speech-On-Speech Masking and Multitalker Localization. Trends Hear. 2017 Jan-Dec;21:2331216517722106. DOI: 10.1177/2331216517722106 External link
2.
Feldmann H, Brusis T, Alberty J, Deitmer T, Delank KW, Hüttenbrink KB, et al. Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. 7., vollständig überarbeitete Aufl. Stuttgart: Thieme Verlag; 2012. DOI: 10.1055/b-002-35705 External link
3.
Thomas M, Galvin JJ 3rd, Fu QJ. Importance of ipsilateral residual hearing for spatial hearing by bimodal cochlear implant users. Sci Rep. 2023 Mar 27;13(1):4960. DOI: 10.1038/s41598-023-32135-0 External link
4.
Pastore MT, Pulling KR, Chen C, Yost WA, Dorman MF. Synchronizing Automatic Gain Control in Bilateral Cochlear Implants Mitigates Dynamic Localization Deficits Introduced by Independent Bilateral Compression. Ear Hear. 2024 Mar 13.