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40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

12.09. - 15.09.2024, Berlin

Der Einfluss der Tiefenhirnstimulation auf das Schluckvermögen von Parkinsonpatienten

Vortrag

40. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Berlin, 12.-15.09.2024. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2024. DocV27

doi: 10.3205/24dgpp35, urn:nbn:de:0183-24dgpp350

Published: August 20, 2024

© 2024 Pflug et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Dysphagie ist ein häufiges Symptom vieler Parkinson (PD)-Patienten, das mit hoher Morbidität und Mortalität einhergeht. Am häufigsten sind Residuen von festen Konsistenzen und stille Aspirationen von Wasser beschrieben. Es existiert keine medikamentöse Therapie der Dysphagie. Die tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus (STN-THS), die zur Verbesserung der motorischen und nicht–motorischen Symptome bei PD-Patienten eingesetzt wird, zeigte unterschiedliche Einflüsse auf das Schluckvermögen. In der vorgestellten Studie wird der Einfluss der THS-STN auf die Schluckfunktion von PD-Patienten präoperativ sowie im Verlauf von 12 Mon. untersucht.

Material und Methoden: In dieser prospektiven, longitudinalen Interventionsstudie wurden 51 PD-Patienten präop. (Tpre) sowie 3 (T1) und 12 Mon. (T2) nach bilateraler STN-THS-Operation mittels FEES und mit 3 Konsistenzen (Wasser, Püree, Brot) und Placebos untersucht. Dabei wurden Penetration/Aspiration, Residuen, Leaking und pharyngeales Speichelmanagement bewertet.

Ergebnisse: Das mittlere Alter betrug 62 J (36 m). An Tpre wiesen 4 Pat. eine Aspiration auf. Der mediane PAS betrug an Tpre, T1 und T2 jeweils 1. Je 3 Patienten zeigten bei T1 und T2 eine Aspiration. Es bestanden keine Veränderung der medianen PAS-Werte von Tpre zu T1, wohingegen die PAS-Werte an T2 tendenziell höher waren. Die mittleren Residuen-Scores unterschieden sich nicht signifikant (Tpre: 1,65; T1: 2,48; T2: 2,32). Ein build-up von Brot wurde an Tpre, T1 und T2 bei 31% (16/51), 43% (9/21) bzw. 35% (11/31) der Pat. festgestellt. Das Tablettenschluckvermögen war bei 33% (17/51) der Pat. an mind. einem der 3 Zeitpunkte bei mind. einer Tablette path. (keine Signifikanz für die 3 Zeitpunkte).

Diskussion: Die STN-THS zeigt keine Auswirkungen auf eine präop. bestehende Dysphagie oder das Schluckvermögen zu haben. Innerhalb von 12 Mon. kam es bei vielen Patienten zu einer leichten (nicht signifikanten) Verschlechterung des Schluckvermögens. Im Allgemeinen war die hier vorgestellte Kohorte geringer von Dysphagie betroffen als eine frühere „real-life“ PD-Kohorte, die älter und stärker von der Parkinson-Krankheit betroffen war, was auf die Selektionskriterien für die THS-Operation zurückzuführen sein könnte.

Fazit: In dieser Studie konnte keine positive Wirkung der STN-THS auf die Dysphagie nachgewiesen werden. Andererseits führte die STN-THS nicht zu einer Verschlechterung der Schluckfunktion. Bei einer bestehenden Dypshagie stellt eine STN-THS, die zur Verbesserung der motorischen Symptome bei Parkinson-Patienten indiziert ist, keine Kontraindikation dar.


Text

Einleitung

Die oropharyngeale Dysphagie ist ein häufiges und klinisch äußerst relevantes Symptom vieler Patienten mit der Parkinson-Krankheit, das mit einer herabgesetzten Lebensqualität sowie einer hohen Morbidität und Mortalität, insbesondere durch Aspirationspneumonien, einhergeht [1], [2]. Die häufigsten endoskopischen Pathologien sind Residuen vor allem von festen Konsistenzen, gefolgt von Aspirationen von Flüssigkeit, welche weit überwiegend still ablaufen [2]. Therapeutisch existiert bis dato keine geeignete medikamentöse Therapie der Dysphagie und die Wirkung von L-Dopa auf das Schluckvermögen ist sehr gering [3]. Die tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus (STN-THS), die ansonsten zur Verbesserung der motorischen und nicht–motorischen Symptome bei Patienten mit der PK gut wirksam ist [4], zeigte in den wenigen existierenden Studien unterschiedliche Einflüsse auf das Schluckvermögen [5]. In der vorgestellten Studie wird der Einfluss der STN-THS auf die Schluckfunktion von Patienten mit der Parkinson-Krankheit präoperativ sowie nach drei und abschließend nach 12 Monaten untersucht.

Methodik

In dieser prospektiven, longitudinalen Interventionsstudie wurden 51 Patienten mit der Parkinson-Krankheit präoperativ (Tpre) sowie drei Monate (T1) und 12 Monate (T2) nach einer bilateralen STN-THS-Operation evaluiert. Die Patienten wurden klinisch-neurologisch sowie mittels der flexibel endoskopische Schluckuntersuchung (FEES) untersucht, um die Schluckfunktion von drei verschiedenen Konsistenzen (Wasser, Püree, Brot) und vier Placebo-Tabletten bzw. -Kapseln zu beurteilen. Typische Dysphagie-Befunde wie Penetration und Aspiration (PAS nach Rosenbek), Residuen (UDC (University Dysphagia Center Hamburg)-Score), Leaking und das pharyngeale Sekretmanagement (nach Murray) wurde von einer in der Dysphagiediagnostik erfahrenen, verblindeten Ärztin anhand der Videoaufzeichnung bewertet.

Ergebnisse

Das mittlere Alter der 36 Männer und 14 Frauen betrug 62 Jahre. Präoperativ (Tpre) wiesen nur vier Patienten eine Aspiration (PAS 6-8) auf. Der mediane PAS für Wasser lag präoperativ bei 1 (MW 1,8; 1-8). An T1 und T2 betrug der PAS ebenfalls 1 (MW 1,86; 1-8) bzw. 1 (MW; 2,65 1-8). Je drei Patienten zeigten an T1 und T2 eine Aspiration; dies waren aber nicht dieselben wie präoperativ. Es zeigten sich keine Veränderung der medianen und mittleren PAS-Werte von Tpre zu T1, wohingegen die PAS-Werte an T2 tendenziell höherwaren, was aber nicht signifikant war.

Die mittleren Residuen-Scores (Brot) unterschieden sich ebenfalls nicht signifikant (Tpre: 1,65; T1: 2,48; T2: 2,32). Ein Build-up von Brot wurde an Tpre, T1 und T2 bei 31% (16/51), 43% (9/21) bzw. 35% (11/31) der Patienten festgestellt (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Das Tablettenschluckvermögen war bei 33% (17/51) der Patienten an mindestens einem der drei Zeitpunkte bei mindestens einer Tablette pathologisch (keine Signifikanz für die drei Zeitpunkte; siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Leaking und ein pathologisches Sekretmanagement (Murray) waren in unserer Kohorte zu allen drei Messzeitpunkten selten.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die STN-THS keinen positiven oder negativen Einfluss auf eine präoperativ objektiv bestehende Dysphagie oder das Schluckvermögen an sich hat. Während des Nachbeobachtungszeitraums von 12 Monaten kam es bei vielen Patienten mit der Parkinson-Krankheit zu einer leichten, aber nicht signifikanten Verschlechterung des Schluckvermögens, was möglichweise der „üblichen“ Verschlechterung der Schluckfunktion entspricht, die im Verlauf der Parkinson-Krankheit oft festzustellen ist.

Im Allgemeinen war die hier vorgestellte Kohorte von Patienten mit der Parkinson-Krankheit weniger stark und häufig von einer Dysphagie betroffen, als eine „real-life“ Kohorte einer vorausgegangenen Querschnittsstudie, die durchschnittlich älter und stärker von der Parkinson-Krankheit betroffen war (gemessen mittels Hoehn & Yahr und dem UPDRS Teil III, der die motorischen Symptome bewertet) [2]. Grund dafür könnte sein, dass die OP-Kriterien für eine THS-Operation jüngere und kognitiv weniger eingeschränkte Patienten selektiert.

Fazit

In dieser Studie konnte kein positiver Einfluss der STN-THS auf die Dysphagie nachgewiesen werden. Andererseits führte die STN-THS auch nicht zu einer Verschlechterung der Schluckfunktion wie es für die Dysarthrie bekannt ist [6]. Wenn also eine STN-THS zur Verbesserung der motorischen Symptome bei Patienten mit der Parkinson-Krankheit vorgesehen ist, stellt sie den Ergebnissen dieser Studie zufolge keine Kontraindikation dar.


Literatur

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Kalf JG, de Swart BJ, Bloem BR, Munneke M. Prevalence of oropharyngeal dysphagia in Parkinson's disease: a meta-analysis. Parkinsonism Relat Disord. 2012 May;18(4):311-5. DOI: 10.1016/j.parkreldis.2011.11.006 External link
2.
Pflug C, Bihler M, Emich K, Niessen A, Nienstedt JC, Flügel T, Koseki JC, Plaetke R, Hidding U, Gerloff C, Buhmann C. Critical Dysphagia is Common in Parkinson Disease and Occurs Even in Early Stages: A Prospective Cohort Study. Dysphagia. 2018 Feb;33(1):41-50. DOI: 10.1007/s00455-017-9831-1 External link
3.
Menezes C, Melo A. Does levodopa improve swallowing dysfunction in Parkinson's disease patients? J Clin Pharm Ther. 2009 Dec;34(6):673-6. DOI: 10.1111/j.1365-2710.2009.01031.x External link
4.
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5.
Chang MC, Park JS, Lee BJ, Park D. The Effect of Deep Brain Stimulation on Swallowing Function in Parkinson's Disease: A Narrative Review. Dysphagia. 2021 Oct;36(5):786-99. DOI: 10.1007/s00455-020-10214-y External link
6.
Dashtipour K, Tafreshi A, Lee J, Crawley B. Speech disorders in Parkinson's disease: pathophysiology, medical management and surgical approaches. Neurodegener Dis Manag. 2018 Oct;8(5):337-48. DOI: 10.2217/nmt-2018-0021 External link