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Effektivität von Online-Therapie für Sprachentwicklungsstörungen verglichen mit Standard-Präsenz-Therapie – Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Studie THESES
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Published: | August 20, 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: In der Therapieforschung gewinnt das Empowerment der Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (SES) zunehmend an Bedeutung (Roberts et al. 2019). Neben Elterntrainings bietet auch die Online-Therapie durch die Anwesenheit der Eltern eine Möglichkeit dazu. Aktuell dürfen laut Heilmittelrichtlinien nur 30% der logopädischen Therapien online erbracht werden, Wirksamkeitsnachweise für Online-Therapie fehlen weitestgehend. Als Teil der randomisiert-kontrollierten Studie THESES wurde die Wirksamkeit von SES-Online-Therapie vs. Standard-Präsenz-Therapie überprüft.
Material und Methoden: Einhundertzwei Kinder (3;0-6;11 Jahre) mit mindestens mittelschwerer SES erhielten nach randomisierter Zuteilung zu 2 Gruppen à 51 Kinder je 20 Sprachtherapieeinheiten einer Online-Therapie oder einer Standard-Präsenz-Therapie. Durch eine zweite, gruppeninterne Randomisierung wurde ein Warte-Kontrast-Design etabliert. Sprachtestwerte (Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis, phonologisches Arbeitsgedächtnis) und der Anteil korrekt gebildeter Konsonanten wurden bei Studieneintritt (T0), 12 Wochen später (T1) und ein Jahr nach Therapiebeginn (T2) erhoben.
Ergebnisse: Der Gesamtscore aller Sprachtests zeigt kurz- und langfristig eine Überlegenheit der Online-Therapie über die Standard-Präsenztherapie.
Diskussion: Die Auswertung der kurzfristigen Wirksamkeit (T0-T1) zeigt in allen sprachlichen Domänen, bis auf Sprachverstehen, eine höhere Effektivität der Online-Therapie (n=45) im Vergleich zur Standard-Präsenz-Therapie (n=43). Für die Differenz (T0-T1) des Gesamtscores aller Sprachtests ergab sich eine Effektstärke Cohen’s d von 1,01 für die Online-Therapie im Vergleich zu d=0,64 für die Standard-Präsenz-Therapie. Die Langzeitergebnisse deuten auf ein ähnliches Ergebnis hin. Die Elternanwesenheit in der Online-Therapie ist als positiver Einflussfaktor auf den Therapieerfolg anzunehmen.
Fazit: Online-Therapien bei SES sollten häufiger Anwendung in der sprachtherapeutischenPraxis finden; Begrenzungen ihres Anteils in den Heilmittelrichtlinien erscheinen nicht sinnvoll. Die Elternanwesenheit während der Online-Therapie stärkt diese in der Kommunikation mit ihren Kindern und verbessert deren Sprachleistungen.
Förderung: Studienförderung durch die Albert und Barbara von Metzler-Stiftung und die Leopold-Klinge-Stiftung.
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Hintergrund
In der Therapieforschung gewinnt das Empowerment der Eltern von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (SES) zunehmend an Bedeutung [1]. Neben Elterntrainings bietet auch die Online-Therapie durch die Anwesenheit der Eltern eine Möglichkeit dazu. Aktuell dürfen laut Heilmittelrichtlinien nur 30% der logopädischen Therapien online erbracht werden, Wirksamkeitsnachweise für Online-Therapie fehlen weitestgehend. Als Teil der randomisiert kontrollierten Studie THESES wurde die Wirksamkeit von SES-Online-Therapie vs. Standard-Präsenz-Therapie überprüft.
Material und Methoden
Einhundertzwei Kinder (3;1-6;9 Jahre, durchschnittlich 4;4 Jahre) mit mindestens mittelschwerer SES erhielten nach randomisierter Zuteilung zu 2 Gruppen à 51 Kinder je 20 Sprachtherapieeinheiten einer Online-Therapie oder einer Standard-Präsenz-Therapie. Durch eine zweite, gruppeninterne Randomisierung wurde zudem ein 12-wöchiges Warte-Kontrast-Design etabliert. Sprachtestwerte (Wortschatz, Grammatik, Sprachverständnis, phonologisches Arbeitsgedächtnis) und der Anteil korrekt gebildeter Konsonanten wurden bei Studieneintritt (T0), 12 Wochen später (T1) und ein Jahr nach Therapiebeginn (T2) erhoben.
Ergebnisse
Der Gesamtscore aller Sprachtests zeigt kurz- und langfristig eine Überlegenheit der Online-Therapie über die Standard-Präsenztherapie. Nachfolgend und in Abbildung 1 [Abb. 1] sind die Einzel- und Gesamt-Sprachtestergebnisse der kurz- und langfristigen Zwischengruppenvergleiche dargestellt.
Kurzfristiger Vergleich für einen zwölfwöchigen Beobachtungszeitraum
Im Tukey post-hoc Paarvergleiche-Test der gepoolten Gesamt-Testwerte aller Sprachtestmaße war die Online-Therapie-Gruppe sowohl der Warte-Kontrollgruppe (geschätzte mittlere Differenz 5.02, 95%-Konfidenzintervall (95%-CI) [1.74, 8.3], p<.001, Cohen’s d=0,767) als auch der Standard-Therapie-Gruppe (geschätzte mittlere Differenz 6.17, 95%-CI [2.54, 9.8], p<.001, d=1,05) signifikant überlegen. Im Bereich Aussprache, gemessen am prozentualen Anteil korrekter Konsonanten (PCC), zeigte die Online-Therapie-Gruppe signifikant größere Fortschritte als die Warte-Kontrollgruppe (geschätzte mittlere Differenz 9.40, 95%-Konfidenzintervall (95%-CI) [3.93, 14,9], p<.001, d=0,8870) und die Standard-Therapie (geschätzte mittlere Differenz 9.54, 95%-CI [3.49, 15.6], p<.001, d=0,9360), mit großen Effektstärken. Auch im Bereich Syntax wies die Online-Therapie-Gruppe signifikant größere Fortschritte als die Kontrollgruppe auf (geschätzte mittlere Differenz 3.89, 95%-CI [0.22, 7.56], p=.033, d=0,512).
Es fanden sich keine kurzfristigen signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen und der Kontrollgruppe sowie zwischen beiden Behandlungsgruppen in den Bereichen Semantik-Lexikon, Sprachverstehen, Morphologie und phonologisches Arbeitsgedächtnis. Weiterhin bestanden keine kurzfristigen signifikanten Unterschiede zwischen Standard-Therapiegruppe und Warte-Kontrollgruppe sowie zwischen beiden Behandlungsgruppen im Bereich der Syntax.
Langfristiger Vergleich für einen einjährigen Beobachtungszeitraum
Der Tukey post-hoc Paarvergleiche-Test zeigte langfristig einen signifikanten Unterschied für die Gesamt-Sprachtestwerte zugunsten der Online-Therapie gegenüber der Standard-Therapie (geschätzte mittlere Differenz 5.77, 95%-CI [1.85, 9.69], p=.002, d=0.646). Insbesondere im Bereich Semantik-Lexikon war die Online-Therapie-Gruppe der Standard-Therapie-Gruppe signifikant überlegen (geschätzte mittlere Differenz 6.52, 95%-CI [2, 11], p=.002, d=0,681).
Es bestanden keine langfristigen signifikanten Unterschiede zwischen Online- und Standard-Therapiegruppen in den Bereichen Sprachverstehen, Aussprache, Morphologie und Syntax sowie phonologisches Arbeitsgedächtnis.
Diskussion
In unserer randomisiert-kontrollierten Studie (RCT) zeigte sich die SES-Online-Therapie der SES-Standard-Präsenz-Therapie langfristig insgesamt überlegen, insbesondere im Bereich Wortschatz und Wortbedeutung. Gründe hierfür sehen wir insbesondere in der Elternanwesenheit während der Online-Therapie. Offensichtlich stärkt diese Therapieform die Eltern in der Kommunikation mit ihrem Kind und verhilft diesem zu besseren Sprachleistungen als ohne elterliche Beteiligung, wie auch aus einem systematischen Review mit Metaanalyse bekannt ist [1].
Fazit
Online-Therapien bei SES sollten häufiger Anwendung in der sprachtherapeutischen Praxis finden. Begrenzungen ihres Anteils in den Heilmittelrichtlinien erscheinen nicht sinnvoll.
Förderung
Studienförderung durch die Albert und Barbara von Metzler-Stiftung und die Leopold-Klinge-Stiftung.