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EEG-Studie zur Verarbeitung der Satzprosodie bei Kindern im Grundschulalter
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Published: | August 20, 2024 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Kinder greifen schon früh auf prosodische Informationen zurück, die ihnen helfen, die syntaktische Regelhaftigkeit der Sprache zu erschließen. Prosodische Merkmale, wie Intonationsphrasengrenzen, unterstützen beim prosodic bootstrapping den Erwerb grammatikalischer Grundregeln, da prosodische Einheiten häufig syntaktischen Segmenten entsprechen. Das Sprachverarbeitungssystem nutzt diese prosodischen Hinweise, um eine initiale Satzstruktur zu erstellen und integriert lexiko-semantische Inhalte in diese Struktur. Folgende Studie untersucht, wie normalhörende Kinder prosodische Informationen nutzen, um syntaktische Strukturen zu analysieren und zu verstehen.
Material und Methoden: In einem EEG-Experiment wurden die semantischen, syntaktischen und prosodischen Aspekte der Satzverarbeitung bei 29 normalhörenden Kindern mit einem Durchschnittsalter von 8;8 Jahren untersucht. Als experimentelles Material dienten Sätze mit ein oder zwei Intonationsphrasengrenzen, deren Verarbeitung mit einer Positivierung im ereigniskorrelierten Potential (EKP) einhergeht, dem Closure Positive Shift (CPS). Einige der Sätze enthielten zudem eine prosodisch induzierte Argumentstrukturverletzung, die im EEG bei Erwachsenen einen N4/P6-EKP-Effekt hervorruft.
Ergebnisse: Die Analyse der EEG-Daten ergab, dass am Ende jeder Intonationsphrase ein CPS zu beobachten war. Die topografische Verteilung des CPS-Effekts im EEG war jedoch im Gegensatz zu Erwachsenen eher frontal verteilt. Zudem zeigte sich bei der prosodisch induzierten Argumentstrukturverletzung ein signifikantes N4/P6-Muster.
Diskussion: Grundschulkinder verarbeiten prosodische Informationen wie Intonationsphrasengrenzen bereits auf sehr ähnliche Weise wie Erwachsene. Die Ergebnisse verdeutlichen darüber hinaus, dass Kinder prosodische Hinweise effizient nutzen, um syntaktische Strukturen zu analysieren. Die prosodischen Effekte traten robust auf, was auf eine gute Integration prosodischer und syntaktischer Informationen hinweist. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für die Verarbeitung komplexer Sätze und den fortschreitenden Spracherwerb.
Fazit: Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren die Verarbeitung von prosodischen Informationen in den auch für Erwachsene typischen EEG-Mustern abbildet. Das Untersuchungsparadigma scheint auch für klinische Gruppen, wie z.B. hörgeschädigte Kinder, geeignet.
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Hintergrund
Kinder greifen schon früh auf prosodische Informationen zurück, die ihnen helfen, die syntaktische Regelhaftigkeit der Sprache zu erschließen. Prosodische Merkmale wie Intonationsphrasengrenzen unterstützen beim prosodic bootstrapping den Erwerb grammatikalischer Grundregeln, da prosodische Einheiten häufig syntaktischen Segmenten entsprechen [1]. Das Sprachverarbeitungssystem (Parser) nutzt diese prosodischen Hinweise, um eine initiale Satzstruktur zu erstellen und integriert lexiko-semantische Inhalte in diese Struktur [2]. Dies ermöglicht es, komplexe sprachliche Strukturen schneller zu verstehen und zu verarbeiten. Im folgenden Experiment wurden zwei zugrundeliegende Fragestellungen untersucht: Erstens, wie werden prosodische Informationen wie Intonationsphrasengrenzen von normalhörenden Kindern verarbeitet und zweitens, nutzen Kinder diese Informationen, um syntaktische Strukturen zu analysieren und zu verstehen. Die Studie beleuchtet sowohl neuronale als auch behaviorale Aspekte der Sprachverarbeitung.
Material und Methoden
In einem EEG-Experiment wurden die semantischen, syntaktischen und prosodischen Aspekte der Satzverarbeitung bei 29 normalhörenden Kindern mit einem Durchschnittsalter von 8;8 Jahren (7;1–10;10) untersucht. Als experimentelles Material dienten transitive und intransitive Sätze mit ein bzw. zwei Intonationsphrasengrenzen (IPG), deren Verarbeitung mit einer Positivierung im ereigniskorrelierten Potential (EKP) einhergeht, dem Closure Positive Shift (CPS).
In einer dritten Bedingung enthielten die Sätze eine prosodisch induzierte Argumentstrukturverletzung (garden-path), die mithilfe der Cross-Splicing-Technik erzeugt wurde: Der erste Teil aus dem Satz der Bedingung A wurde mit dem zweiten Teil aus dem Satz der Bedingung B zusammengefügt.
Diese ruft im EEG bei Erwachsenen einen biphasischen N400/P600-EKP-Effekt hervor [3]. Dabei steht die N400-Komponente im Zusammenhang mit vermehrten semantischen Verarbeitungskosten, während die P600-Komponente die notwendige syntaktische Reanalyse widerspiegelt. Die Sätze wurden akustisch präsentiert, während die Kinder eine Probe-Verification-Task bearbeiteten, um ihre Aufmerksamkeit zu gewährleisten.
Ergebnisse
Die Analyse der EEG-Daten ergab, dass am Ende jeder Intonationsphrase ein CPS zu beobachten war. Die topografische Verteilung des CPS-Effekts im EEG war jedoch im Gegensatz zu Erwachsenen eher frontal verteilt. Zudem zeigte sich bei der prosodisch induzierten Argumentstrukturverletzung ein signifikantes N400/P600-Muster, wobei sowohl die Negativierung als auch die Positivierung etwas später auftraten als bei den Erwachsenen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass normalhörende Kinder prosodische Informationen effizient nutzen, um syntaktische Strukturen zu analysieren und zu verstehen.
Diskussion
Grundschulkinder verarbeiten prosodische Informationen wie Intonationsphrasengrenzen bereits auf sehr ähnliche Weise wie Erwachsene. Wenn auch im Vergleich zu EKP-Daten bei Erwachsenen etwas spätere Onsetlatenzen der beiden Komponenten N400 und P600 zu beobachten waren, traten die prosodischen Effekte robust auf, was auf eine gute Integration prosodischer und syntaktischer Informationen hinweist. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für die Verarbeitung komplexer Sätze und den fortschreitenden Spracherwerb. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die prosodischen Hinweise eine zentrale Rolle im Spracherwerb und der Entwicklung syntaktischer Fähigkeiten spielen.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich in der vorliegenden Studie mit Kindern im Alter von sieben bis zehn Jahren die typischen EEG-Muster zeigten, die zuvor bereits bei Erwachsenen beobachtet wurden [3]. Die Verarbeitung von prosodischen Informationen äußert sich in Form des CPS. Außerdem nutzen die Kinder die prosodischen Markierungen zur syntaktischen Disambiguierung, was sich in einem biphasischen N400/P600-Muster widerspiegelt. Das Untersuchungsparadigma scheint auch für klinische Gruppen, wie z.B. hörgeschädigte Kinder, geeignet. Die Ergebnisse dieser Studie liefern wertvolle Einblicke in die Entwicklung der Sprachverarbeitungsmechanismen bei Kindern und unterstreichen die Bedeutung der Prosodie im Spracherwerb.
Literatur
- 1.
- Männel C, Friederici AD. Intonational phrase structure processing at different stages of syntax acquisition: ERP studies in 2-, 3-, and 6-year-old children. Developmental Science. 2011;14(4):786-98.
- 2.
- Friederici AD, Frisch S. Verb Argument Structure Processing: The Role of Verb-Specific and Argument-Specific Information. Journal of Memory and Language. 2000 Oct;43(3):476-507.
- 3.
- Steinhauer K, Alter K, Friederici AD. Brain potentials indicate immediate use of prosodic cues in natural speech processing. Nature Neuroscience. 1999 Feb;2(2):191-6.