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Beeinflussen Parameter der Persönlichkeit sowie der physischen und mentalen Gesundheit die Befunde des Stimmumfangsprofils?
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Published: | September 20, 2023 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Bei der Messung des Stimmumfangsprofils (SUP) nehmen mehrere Faktoren Einfluss auf die erhobenen Werte: die Messmethodik, die Untersuchenden und die Untersuchten selbst. Insbesondere Charakteristika der Untersuchten wurden bisher nur wenig bezüglich ihrer Effekte auf die Messung beschrieben. Ziel der explorativen Studie war daher die Untersuchung von Assoziationen zwischen Stimmparametern aus dem SUP und der Persönlichkeit sowie der physischen und mentalen Gesundheit der Untersuchten.
Material und Methoden: In einer cross-sectionalen Populationsstudie (Teil der LIFE-Adult-Studie) wurden 2.639 Personen (46,5% Männer, 53,5% Frauen) im Alter zwischen 18 und 80 Jahren zufällig aus einer mitteldeutschen Allgemeinpopulation rekrutiert. Sie beantworteten Fragebögen zur Depression (CES-D), Ängstlichkeit (GAD-7), Lebenszufriedenheit (SWLS), Persönlichkeit (NEO16-AM) und Lebensqualität (SF-8). Bei allen wurde das SUP mit der Software DiVAS gemäß UEP-Empfehlungen gemessen. Ausgewertet wurden Frequenz- und Dynamikumfänge und die Tonhaltedauer. Die statistische Analyse erfolgte mit Korrelations- und Regressionsanalysen.
Ergebnisse: Größere Frequenz- und Dynamikumfänge sowie eine längere Tonhaltedauer (THD) korrelierten in beiden Geschlechtern mit höherer Extraversion und Lebensqualität, bei den Frauen auch mit größerer Offenheit und Verträglichkeit, kleine Umfänge und kürzere THD dagegen mit Depression. Zudem fand sich bei Männern eine negative Korrelation zwischen Neurotizismus und THD. Im Sprechstimmprofil zeigten sich stärkere Korrelationen zu den Dynamik-Werten, im Singstimmprofil zu den Frequenz-Werten. Nur schwache Assoziationen fanden sich zur Ängstlichkeit, Lebenszufriedenheit und Gewissenhaftigkeit.
Diskussion: Obgleich die Korrelationen auf individueller Ebene nicht stark waren, fanden sich bei der Analyse aller 2.693 Individuen typische Muster. Dabei waren positive Korrelationen mit Extraversion und physischer Gesundheit sowie negative Korrelationen mit Depression erwartungskonform, differierten aber zum Teil von anderen Ergebnissen aus der Literatur. Für die Befundinterpretation und Diagnosestellung sind die Effekte aber als gering zu bewerten.
Fazit: Die gefundenen Assoziationen für die Frequenz- und Dynamikbereiche und auf die THD zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale auf die Messung der Grenzbereiche der Stimme Effekte haben können, diese aber die klinische Interpretation insgesamt wenig beeinflussen. Daher stellt das Stimmumfangsprofil diesbezüglich eine robuste diagnostische Methode dar.
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Hintergrund
Bei der Messung des Stimmumfangsprofils nehmen mehrere Faktoren Einfluss auf die erhobenen Werte: die Messmethodik, die Untersuchenden und die Untersuchten selbst. Charakteristika der Untersuchten wurden bisher nur wenig bezüglich ihrer Effekte auf die Messung beschrieben. Insbesondere Persönlichkeitsparameter und Parameter der physischen und mentalen Gesundheit könnten die Ergebnisse beeinflussen und müssten dann bei der Interpretation der Befunde berücksichtigt werden. Eine Querschnittsstudie in der US-amerikanischen Allgemeinbevölkerung mit der Stichprobengröße von über 52 Mio. Menschen zeigt im Vergleich von Personen mit Stimmproblemen zu Stimmgesunden ein fast doppelt so häufiges Auftreten von depressiven Symptomen bei den Personen mit Stimmproblemen mit negativen Konsequenzen für die Inanspruchnahme und die Effektivität von Stimmtherapie [1]. Es ist bekannt, dass bei depressiven Personen eine Einschränkung der Prosodie [2] mit reduzierter Grundfrequenz, Steigerungsfähigkeit und geringeren Tonhöhenumfängen bestehen kann [3], [4], [5]. Ebenso wurden Assoziationen zwischen der Grundfrequenz der Stimme und Ängstlichkeit beschrieben [6], [7]. Bei Personen mit Dysphonien sind die physische und mentale Gesundheit als Parameter der Lebensqualität häufiger beeinträchtigt [8], [6], [9], [10].
Ziel der explorativen Studie war daher die Untersuchung von Assoziationen zwischen Stimmparametern aus dem Stimmumfangsprofil und der Persönlichkeit sowie der physischen und mentalen Gesundheit der Untersuchten.
Material und Methoden
In einer cross-sectionalen Populationsstudie (Teil der LIFE-Adult-Studie [11]) wurden 2.639 Personen (46,5% Männer, 53,5% Frauen) im Alter zwischen 18 und 80 Jahren zufällig aus einer mitteldeutschen Allgemeinpopulation rekrutiert. Sie beantworteten Fragebögen zur Depression (Center for Epidemiologic Studies Depression Scale), Ängstlichkeit (Generalizied Anxiety Disorder Scale-7), Lebenszufriedenheit (Satisfaction With Life Scale), Persönlichkeit (Persönlichkeitsinventar NEO16-AM) und Lebensqualität (Short-Form Health Survey 8). Bei allen wurde ein Sprech- und Singstimmprofil mit der Software DiVAS gemäß UEP-Empfehlungen gemessen. Ausgewertet wurden im Sprechstimmprofil (Zählen von 21 aufwärts) die Datenpaare zu Frequenz und Schalldruckpegel bei folgenden Steigerungsstufen: so leise wie möglich, Gesprächslautstärke, Vortragslautstärke, Rufen. Bei der Messung der Singstimme erfolgte die Auswertung der jeweiligen Maximal- und Minimalwerte für Frequenz und Schalldruckpegel. Anschließend erfolgte die Berechnung von Frequenz- und Dynamikumfängen. Zusätzlich wurde die maximale Tonhaltedauer (THD) ermittelt. Die statistische Analyse erfolgte mit Korrelations- und Regressionsanalysen.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Messung des Sprech- und Singstimmstimmprofils sind in Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2] zusammengestellt.
Größere Frequenz- und Dynamikumfänge sowie eine längere Tonhaltedauer (THD) korrelierten in beiden Geschlechtern mit höherer Extraversion und Lebensqualität, bei den Frauen auch mit größerer Offenheit und Verträglichkeit, kleine Umfänge und kürzere THD dagegen mit Depression. Zudem fand sich bei Männern eine negative Korrelation zwischen Neurotizismus und THD. Im Sprechstimmprofil zeigten sich stärkere Korrelationen zu den Dynamik-Werten, im Singstimmprofil zu den Frequenz-Werten. Nur schwache Assoziationen fanden sich zur Ängstlichkeit, Lebenszufriedenheit und Gewissenhaftigkeit.
Diskussion
Obgleich die Korrelationen auf individueller Ebene nicht stark waren, fanden sich bei der Analyse aller 2.693 Individuen typische Muster. Dabei waren positive Korrelationen mit Extraversion und physischer Gesundheit sowie negative Korrelationen mit Depression erwartungskonform, differierten aber zum Teil von anderen Ergebnissen aus der Literatur. Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Persönlichkeitsmerkmale und die physische und mentale Gesundheit auf die Befunde im Stimmumfangsprofil nur einen sehr geringen Einfluss haben. Limitationen bestehen in der Untersuchung einer mitteldeutschen Population, so dass die Befunde nicht ohne Weiteres im weltweiten Kontext auf andere Bevölkerungsgruppen übertragbar sind. Zum anderem erlaubten die eingeschränkten Rahmenbedingungen der Populationsstudie keine Videolaryngostroboskopie bei den Untersuchten. Stimmliche Einschränkungen und/oder Erkrankungen konnten nur durch Fragebögen ausgeschlossen werden.
Fazit/Schlussfolgerung
Die gefundenen Assoziationen für die Frequenz- und Dynamikbereiche und auf die THD zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale auf die Messung der Grenzbereiche der Stimme Effekte haben können, diese aber die klinische Interpretation insgesamt wenig beeinflussen. Im Umkehrschluss kann abgeleitet werden, dass das Stimmumfangsprofil diesbezüglich eine robuste diagnostische Methode darstellt.
Literatur
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- Loeffler M, Engel C, Ahnert P, et al. The LIFE-Adult-Study: objectives and design of a population-based cohort study with 10,000 deeply phenotyped adults in Germany. BMC Public Health. 2015;15:691.