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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

Problem der Diagnostik unilateraler zentraler Hörverarbeitungsstörungen

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  • author Anne K. Läßig - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • Andrea Bohnert - Abteilung Audiologische Akustik, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • Sabine Lenz - Abteilung Audiologische Akustik, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • corresponding author presenting/speaker Julia Döge - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland

38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocP10

doi: 10.3205/22dgpp37, urn:nbn:de:0183-22dgpp375

Published: September 26, 2022

© 2022 Läßig et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Einseitige angeborene kindliche Hörstörungen werden inzwischen durch das Neugeborenen-Hörscreening viel früher erkannt und technisch versorgt. Eine unilaterale zentrale Hörverarbeitungsstörung ist jedoch eine Seltenheit und im Kindesalter oft schwer zu erkennen.

Material und Methoden: Analyse und Falldarstellung einer erst spät in der Pubertät erkannten unilateralen zentralen Hörverarbeitungsstörung sowie kritische Diskussion der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.

Ergebnisse: Ein 5-jähriger Junge wurde uns erstmals mit V.a. eine einseitige mittelgradige Schwerhörigkeit vorgestellt, da er im Kindergarten laute Geräusche als unangenehm empfand und Aufmerksamkeitsprobleme bestanden. Postnatal hatte nach spontaner termingerechter Geburt ein Ikterus bestanden, der über 5 Tage durch Phototherapie behandelt werden musste. Bei RSV-Bronchiolitis mit V.a. bakterielle Superinfektion war eine Therapie mit Ampicillin und Gentamicin notwendig gewesen. Ein Neugeborenen-Hörscreening war nicht erfolgt. Nach Paukendrainagen-Einlagen bds. erhielt er im Alter von 5 1/2 Jahren das erste Hörgerät. Trotz guter Hörgeräteakzeptanz bestand eine leichte Progredienz der Schwerhörigkeit mit schwankender Hörschwelle und eingeschränktem Hören im Störgeräusch (OLSA). Aufgrund der Seitendifferenz erfolgte zum Ausschluss eines LVAS oder Akustikusneurinoms eine externe MRT des Schädels mit 13 Jahren. Bei weiterer Progredienz ohne ausreichendes Sprachverstehen mit dem Hörgerät wurde eine weiterführende stationäre Diagnostik eingeleitet. Dabei wurde erstmals eine BERA-Messung durchgeführt, in welcher sich keine akustisch evozierten Potentiale bis 105/100 dB fanden. Die subjektive Hörschwelle lag bei 60/55 dB und TEOAE waren zu 70% nachweisbar bei Verlust der DPOAE. Es erfolgte zudem eine erneute cMRT mit CISS-Sequenz. Hier zeigte sich nun ein schmächtiger N. cochlearis im Seitenvergleich. Es konnte nun mit 14 Jahren eine einseitige auditorische Synapto-/Neuropathie mit Teilverlust der äußeren Haarzellfunktion diagnostiziert werden. Eine ergänzende humangenetische Diagnostik wurde eingeleitet.

Fazit: Bei Diskrepanz zwischen subjektiver Hörschwelle und unzureichendem Sprachverstehen trotz optimaler technischer Versorgung muss auch an eine kombinierte Hörstörung mit retrocochleären Anteil bzw. zentraler Hörverarbeitungsstörung gedacht werden. Verschiedene objektive Testverfahren sind hier für die Diagnosestellung ausschlaggebend. Auch bei älteren Patienten muss in diesem Fall eine BERA-Messung erfolgen.


Text

Hintergrund

Einseitige angeborene kindliche Hörstörungen werden inzwischen durch das Neugeborenen-Hörscreening viel früher erkannt und technisch versorgt. Eine Testung mittels transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen (TEOAE) schließt das Vorliegen einer retrocochleären Hörschädigung nicht aus. Eine unilaterale zentrale Hörstörung ist eine Seltenheit und im Kindesalter deshalb oft schwer zu erkennen und spät diagnostiziert.

Material und Methoden

Analyse und Falldarstellung einer erst spät in der Pubertät erkannten, unilateralen zentralen Hörstörung sowie kritische Diskussion der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.

Ergebnisse

Ein 5-jähriger Junge wurde uns im Juni 2012 erstmals mit V.a. eine einseitige mittelgradige Schwerhörigkeit vorgestellt, da er im Kindergarten laute Geräusche als unangenehm empfand und Aufmerksamkeitsprobleme bestanden. Postnatal hatte nach spontaner termingerechter Geburt ein Ikterus bestanden, der über 5 Tage durch Phototherapie behandelt werden musste. Bei RSV-Bronchiolitis mit V.a. bakterielle Superinfektion war eine Therapie mit Ampicillin und Gentamicin notwendig gewesen. Ein Neugeborenen-Hörscreening war zu dem damaligen Zeitpunkt nicht erfolgt. Nach Paukendrainagen-Einlagen bds. erhielt er im Alter von 5 1/2 Jahren das erste Hörgerät. Trotz guter Hörgeräteakzeptanz bestand eine leichte Progredienz der Schwerhörigkeit mit schwankender Hörschwelle und eingeschränktem Hören im Störgeräusch (OLSA). Aufgrund der Seitendifferenz erfolgte zum Ausschluss eines LVAS oder Akustikusneurinoms eine externe MRT des Schädels mit 13 Jahren. Bei weiterer Progredienz ohne ausreichendes Sprachverstehen mit dem Hörgerät wurde eine weiterführende stationäre Diagnostik eingeleitet. Dabei wurde erstmals eine BERA-Messung durchgeführt, in welcher sich keine akustisch evozierten Potentiale bis 105/100 dB fanden. Die subjektive Hörschwelle lag bei 60/55 dB mit Hochtonabfall und TEOAE waren zu 70% nachweisbar bei Verlust der DPOAE. Es erfolgte zudem eine erneute cMRT mit CISS-Sequenz. Hier zeigte sich nun ein schmächtiger N. cochlearis im Seitenvergleich. Es konnte im Alter von 14 Jahren eine einseitige auditorische Synapto-/Neuropathie mit Teilverlust der äußeren Haarzellfunktion diagnostiziert werden. Eine ergänzende humangenetische Diagnostik wurde eingeleitet.

Abbildung 1 [Abb. 1], Tabelle 1 [Tab. 1]

Diskussion

Bei Patienten mit schwankendem Hörverlust und oft deutlichen Einschränkungen im Störgeräusch sowie Diskrepanz zwischen subjektiver tonaudiometrischer Hörschwelle und unzureichendem Sprachverstehen, auch mit optimaler Versorgung, muss auch an eine auditorische Synapto-/Neuropathie bzw. retrocochleäre Hörstörung gedacht werden. Die genaue Prävalenz der auditorischen Synapto-/Neuropathie ist unklar, die Angaben in der Literaur schwanken zwischen 1–10% der schwerhörigen Patienten [1]. Für die Diagnosestellung sind verschiedene objektive Testverfahren notwendig. Wie in diesem Fallbeispiel gezeigt, muss zur weiteren Diagnostik auch bei älteren Patienten eine BERA-Messung erfolgen. Bei Kindern oder Erwachsenen sollte dann nach Diagnosestellung eine Hörgeräteversorgung probiert werden. Eine zusätzliche Übertragungsanlage kann das Sprachverstehen im Störgeräusch noch unterstützen. Ist die Versorgung unzureichend, sollte zu einer Versorgung mit einem Cochlea-Implantat beraten werden [2]. Nicht-organische Hörstörungen müssen differenzialdiagnostisch nach sicherem Ausschluss organischer Ursachen bei nicht plausiblen Befunden diskutiert werden.

Eine auditorische Synapto-/Neuropathie kann hereditär als auch erworben sein [1]. Vor allem bei Patienten mit Risikofaktoren zum Beispiel Phototherapie bei Ikterus prolongatus ist eine Ableitung otoakustischer Emissionen als objektives Messverfahren nicht ausreichend. So weisen Kinder, die nach einem Aufenthalt auf der neonatologischen Intensivstation entlassen werden, eine höhere Prävalenz einer Schwerhörigkeit und auch einer ASND auf [3]. Kinder mit einer auditorischen Synapto-/Neuropathie bei denen ausschließlich ein OAE-basiertes Neugeborenen-Hörscreening erfolgt, können nicht erfasst werden.

Fazit/Schlussfolgerung

Bei Diskrepanz zwischen subjektiver Hörschwelle und unzureichendem Sprachverstehen trotz optimaler technischer Versorgung muss auch an eine Hörstörung mit retrocochleären Anteil u.a. bei auditorischer Synapto-/Neuropathie bzw. zentrale Hörstörung gedacht werden. Verschiedene objektive Testverfahren inkl. Bildgebung sind hier für die Diagnosestellung und zum Ausschluss von Tumoren ausschlaggebend. Auch bei älteren Patienten muss in diesem Fall eine BERA-Messung erfolgen.


Literatur

1.
De Siati RD, Rosenzweig F, Gersdorff G, Gregoire A, Rombaux P, Deggouj N. Auditory Neuropathy Spectrum Disorders: From Diagnosis to Treatment: Literature Review and Case Reports. J Clin Med. 2020 Apr 10;9(4):1074. DOI: 10.3390/jcm9041074 External link
2.
Moser T, Strenzke N, Meyer A, Lesinski-Schiedat A, Lenarz T, Beutner D, Foerst A, Lang-Roth R, von Wedel H, Walger M, Gross M, Keilmann A, Limberger A, Steffens T, Strutz J. Diagnostik und Therapie der auditorischen Synaptopathie/Neuropathie [Diagnosis and therapy of auditory synaptopathy/neuropathy]. HNO. 2006 Nov;54(11):833-9. DOI: 10.1007/s00106-006-1450-3 External link
3.
Robertson CMT, Howarth TM, Bork DLR, Dinu IA. Permanent Bilateral Sensory and Neural Hearing Loss of Children after Neonatal Intensive Care Because of Extreme Prematurity: A Thirty-Year Study. Pediatrics. 2009;123:e797-e807. DOI: 10.1542/peds.2008-2531 External link