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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

„Warum schreit denn das Kind so!?“ – Zur Behandlung von Stimmstörungen bei Kindern und Jugendlichen

Hauptvortrag

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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocHV6

doi: 10.3205/22dgpp23, urn:nbn:de:0183-22dgpp230

Published: September 26, 2022

© 2022 Voigt-Zimmermann.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Stimmstörungen im Kindes- und/oder Jugendalter werden als eine häufig auftretende und die kindliche Entwicklung negativ beeinflussende Problematik diskutiert. Anderseits sind sie in der Fachliteratur verhältnismäßig unterrepräsentiert. Das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei Stimmstörungen im Kindes- und/oder Jugendalter ist heterogen und basiert auf unterschiedlichen Annahmen zur Ätiopathogenese und Prognose der stimmlichen Probleme. Merkmale der kindlichen Stimme und Symptome einer gestörten Kinder- bzw. Jugendlichenstimme stehen meist im wissenschaftlichen Fokus.

Material und Methoden: Es wurde deshalb ein Review (2015–2022) zur Ätiologie, Diagnostik und Therapie von Stimmstörungen im Kindes- und Jugendalter durchgeführt. Ziel war ein Update zum 2015 veröffentlichten interdisziplinären Konsenspapier und für die neue AWMF-Leitlinie „Stimmstörungen“ der DGPP.

Ergebnisse: Die multiperspektivische Betrachtung und die heterogenen Annahmen zur Ätiopathogenese, Therapie und Prognose verhinderten in den letzten Jahrzehnten ein aufeinander abgestimmtes interdisziplinäres Vorgehen bei der Behandlung von Stimmstörungen im Kindes- und/oder Jugendalter.

Ein interdisziplinärer Konsens, der 2015 publiziert wurde, hat in den deutschsprachigen Ländern dem durchaus heterogenen Krankheitsbild(ern) bei Stimmproblemen von Kindern und Jugendlichen wieder vermehrte Aufmerksamkeit beschert und den Bemühungen um ein abgestimmtes diagnostisches und therapeutischen Vorgehen neuen Auftrieb gegeben.

Diskussion: Neuere Studien unterstützen die Empfehlung für ein spezifisches, d.h. alters- und geschlechtsbezogenes diagnostisches Vorgehen bei stimmgestörten Kindern und Jugendlichen.

Die Therapie soll vor allem ursachenspezifisch ausgerichtet sein und die Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen. Damit tritt eine eher symptomorientierte Herangehensweise in den Hintergrund. Dennoch stellt eine systematische und multifaktorielle Diagnostik die Basis für die Therapieentscheidung und Behandlungsdokumentation dar.

Fazit: Stimmstörungen bei Kindern und Jugendlichen sollen ernst genommen werden, denn unbehandelt können sie nicht nur die aktuelle, sondern auch zukünftige kommunikative, insb. sprech- und/oder singstimmliche Teilhabe der Betroffenen behindern.

Die Behandlung stimmgestörter Kinder und Jugendlicher sollte bestenfalls interdisziplinär verlaufen.


Text

Hintergrund

Stimmstörungen im Kindesalter werden seit langem als häufig auftretendes Störungsbild diskutiert. Es wird inzwischen allgemein akzeptiert, dass sie die kindliche Entwicklung negativ beeinflussen können und therapeutisch behandelt werden sollten [1], [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8], [9], [10], [11]. Ziel des Vortrages ist ein Update zum 2015 veröffentlichten interdisziplinären Konsenspapieres zu Ätiologie, Diagnostik, Therapie und Prophylaxe von Stimmstörungen im Kindesalter [1], [2].

Material und Methoden

Literaturrecherche 2015 bis 2022 zu Übersichtsarbeiten, inkl. prospektiven oder retrospektiven Studien sowie Längsschnitt- oder Querschnittsuntersuchungen zur Therapie von Stimmstörungen im Kindesalter.

Ergebnisse

Evidenzen zur Wirksamkeit therapeutischer Interventionen liegen vor, werden aber zu wenig ursachenspezifisch diskutiert. So sind sowohl direkte als auch indirekte Therapieinterventionen wirksam, um die stimmbezogene Lebensqualität bei Kindern mit Stimmlippenknötchen zu verbessen [7], [8]. Das therapeutische Vorgehen basiert dabei nach wie vor auf unterschiedlichen Annahmen zu Ätiopathogenese und Prognose der Stimmstörungen im Kindesalter oder vernachlässigt diese völlig. Unter den Experten differieren somit auch die Schlussfolgerungen bezüglich der Notwendigkeit zur Behandlung. Diese Divergenz widerspiegelt sich in den wenigen aktuellen international Reviews [3], [4], [6] zur Behandlung von Stimmstörungen bei Kindern. Ob Kinder den Weg in eine Stimmtherapie finden, hängt eher vom Alter, der Entfernung zum Therapieort und von CAPE-V-Gesamtschwere- und Belastungswerten ab [9]. Auch eine videokonferenzbasierte Behandlung kann effektiv sein [11].

Diskussion

Neuere Studien unterstützen die Notwendigkeit einer mehr ursachenspezifischen und individuelle Entwicklungsaspekte berücksichtigenden sowie alters- und geschlechtsbezogenen therapeutischen Herangehensweise bei stimmgestörten Kindern.

Fazit/Schlussfolgerung

Eine rein symptomorientierte Herangehensweise bei Stimmstörungen von Kindern scheint insbesondere bei maladaptiven, resp. psychogenen Stimmstörungen von Kindern nicht zielführend. Vielmehr sollten sich zukünftige Studien darauf konzentrieren, welche Stimmtherapieansätze bei der Behandlung altersdefinierter und ätiopathogenetisch gepoolter Gruppen stimmgestörter Kinder wirksam sein können. Dazu muss basierend auf den anamnestisch und diagnostisch erfassten stimm- und persönlichkeitsrelevanten Parametern und der psychosoziale Einbettung der Kinder vor allem die Bedeutsamkeit der lauten Stimmbenutzung für das Kind thematisiert werden [1], [2].


Literatur

1.
Voigt-Zimmermann S, Schönweiler R, Fuchs M, Beushausen U, Kollbrunner J, Ribeiro von Wersch A, Keilmann A. Dysphonien bei Kindern - Teil 1: Interdisziplinärer Konsens über Definition, Pathophysiologie und Prävalenz. Sprache Stimme Gehör. 2015;39(1):38-43. DOI: 10.1055/s-0035-1545294 External link
2.
Voigt-Zimmermann S, Schönweiler R, Fuchs M, Beushausen U, Kollbrunner J, Ribeiro von Wersch A, Keilmann A.Dysphonien bei Kindern - Teil 2: Interdisziplinärer Konsens zu Diagnostik und Therapie. Sprache Stimme Gehör. 2015;39(1):44-51. DOI: 10.1055/s-0035-1545295 External link
3.
Campano M, Cox SR, Caniano L, Koenig LL. A Review of Voice Disorders in School-Aged Children. J Voice. 2021 Jan 23. DOI: 10.1016/j.jvoice.2020.12.018 External link
4.
Al-Kadi M, Alfawaz MA, Alotaibi FZ. Impact of Voice Therapy on Pediatric Patients With Dysphonia and Vocal Nodules: A Systematic Review. Cureus. 2022 Apr;14(4):e24433. DOI: 10.7759/cureus.24433 External link
5.
Moodley DT, Swanepoel C, van Lierde K, Abdoola S, van der Linde J. Vocal Characteristics of School-Aged Children With and Without Attention Deficit Hyperactivity Disorder. J Voice. 2019 Nov;33(6):945.e37-945.e45. DOI: 10.1016/j.jvoice.2018.06.008 External link
6.
Saniasiaya J, Kulasegarah J. Dysphonia and reflux in children: A systematic review. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2020 Dec;139:110473. DOI: 10.1016/j.ijporl.2020.110473 External link
7.
Hartnick C, Ballif C, De Guzman V, Sataloff R, Campisi P, Kerschner J, Shembel A, Reda D, Shi H, Sheryka Zacny E, Bunting G. Indirect vs Direct Voice Therapy for Children With Vocal Nodules: A Randomized Clinical Trial. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2018 Feb;144(2):156-63. DOI: 10.1001/jamaoto.2017.2618 External link
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Hseu AF, Spencer G, Jo S, Kagan S, Thompson K, Woodnorth G, Nuss RC. Telehealth for Treatment of Pediatric Dysphonia. J Voice. 2021 Dec 27. DOI: 10.1016/j.jvoice.2021.11.007 External link