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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

Wie CO2-Messungen Chorproben unter pandemischen Bedingungen sicherer machen können

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Lennart Heinrich Pieper - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Robert Hardege - Institut für Mechanik und Fluiddynamik, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland
  • Sebastian Neumann - Institut für Mechanik und Fluiddynamik, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland
  • Rüdiger Schwarze - Institut für Mechanik und Fluiddynamik, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland
  • Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Katrin Bauer - Institut für Mechanik und Fluiddynamik, TU Bergakademie Freiberg, Freiberg, Deutschland

38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocV6

doi: 10.3205/22dgpp07, urn:nbn:de:0183-22dgpp070

Published: September 26, 2022

© 2022 Pieper et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Während einer Chorprobe besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko mit dem SARS-CoV-2-Virus via Tröpfcheninfektion. Insbesondere kleinere Tröpfchen <5 µm (sog. Aerosole) breiten sich über eine längere Zeit und eine größere Distanz im Raum aus und erhöhten somit das Infektionsrisiko deutlich. Unter der Annahme, dass der CO2-Gehalt in der Luft mit der Aerosolkonzentration im Raum korreliert, wurden Chorproben eines Universitätschores in Sachsen via CO2-Messungen begleitet, um daraus Empfehlungen für eine sicherere Chorprobenpraxis abzuleiten.

Material und Methoden: Während zweier Chorproben mit 12 Sänger:innen in einem nicht belüfteten Seminarraum von einer Größe von 200 m3 wurde die CO2-Konzentration mit Hilfe von 30 CO2-Sensoren erfasst. Die Sensoren waren an 10 Stativen angebracht und über den gesamten Raum verteilt, sodass die CO2-Konzentration nach räumlicher und zeitlicher Auflösung ermittelt werden konnte. Während der Chorprobe wurden verschiedene Probenkonstellationen und Lüftungsphasen durchlaufen (z.B. Singen in halber Gruppenstärke (6 statt 12 Sänger:innen), Singen mit Maske, Singen mit angekippten Fenstern, Stoßlüften etc.) und der Effekt auf die CO2-Konzentration untersucht.

Ergebnisse: Es zeigt sich ein linearerer Zusammenhang zwischen der Dauer der Probenzeit, der Raumgröße und der Anzahl der Sänger:innen im Raum. Pro Person kommt es zu einem Anstieg der CO2-Konzentration von 1.83 ppm/min. Die CO2-Konzentration verteilt sich gleichmäßig in horizontaler Ebene, während sich in vertikaler Ebene ein Maximum in Deckennähe zeigt. Der steilste CO2-Anstieg ist jeweils in der Einsingphase zu beobachten (durchschnittlich 22,8 ppm/min). Beim Singen mit angekippten Fenstern reduziert sich der CO2-Anstieg um mehr als die Hälfte (21,9 ppm/min vs. 8,7 ppm/min). Das Tragen einer Maske hat keinen Einfluss auf den Anstieg der CO2-Konzentration. Je größer die Luftaustauschfläche ist, desto schneller sinkt die CO2-Konzentration während des Lüftens; die CO2-Konzentration nimmt dabei in den ersten 5 Minuten des Lüftungsintervalls am deutlichsten ab.

Diskussion: Die ermittelten Zusammenhänge ermöglichen die Berechnung sicherer Singzeiten für eine bestimmte Anzahl von Sänger:innen und eine bestimmte Raumgröße. Ein CO2-Sensor ist ausreichend, um eine Chorprobe zu monitoren. Dabei ist die Platzierung des Sensors zu beachten.

Fazit: CO2-Messungen sind, neben anderen Maßnahmen, ein sinnvolles und praktikables Tool, um das Risiko einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus während einer Chorprobe weiter zu reduzieren.


Text

Hintergrund

Zahlreiche Studien haben die Ursachen für ein erhöhtes Infektionsrisiko mit dem SARS-CoV-2-Virus beim Singen – insbesondere beim Chorgesang – untersucht. Dabei zeigte sich, dass beim Singen mehr Aerosole entstehen als beim Sprechen oder Atmen und, dass sich diese der Raumluftströmung folgend verteilen [1], [2], [3]. Für die Chöre sind praktische Empfehlungen für die Minimierung des Infektionsrisikos bedeutsam, die zusätzlich zu den etablierten Schutzmaßnahmen eingesetzt werden können. Vorausgegangene Studien konnten eine positive Korrelation zwischen der CO2-Konzentration sowie der Aerosolkonzentration nachweisen [4], [5]. Schade et al. ermittelte dabei einen Pearson-Korrelationskoeffizienten von 0.77 für die Ausbreitung von CO2 und Aerosol im Raum [4]. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass der Zusammenhang zwischen CO2-Konzentration und Aerosolkonzentration geeignet ist, um mit CO2-Messungen Empfehlungen für eine sicherere Chorprobenpraxis abzuleiten.

Material und Methoden

Während zweier Chorproben in einem typischen, nicht belüfteten Seminarraum von einer Größe von 200 m3 wurde die CO2-Konzentration mit Hilfe von 30 CO2-Sensoren erfasst, die an 10 Stativen in jeweils 3 Höhen (80 cm (ca. Hüfthöhe), 160 cm (ca. Mundhöhe) und 240 cm (knapp unter der Decke)) angebracht und über den gesamten Raum verteilt waren. Die Fensterfront des Raumes bestand aus fünf Fenstergruppen mit einer Fensteröffnungsfläche von jeweils 1,35 m² und einer zuzüglichen Oberlichtöffnungsfläche von jeweils 0,6 m². Dier Außentemperatur lag an den Messtagen bei 12°C bzw. 3°C. Während der Chorprobe wurden verschiedene Probenkonstellationen und Lüftungsphasen aufeinanderfolgend durchlaufen (Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2]). Dabei wurde der Effekt der jeweiligen Variablen auf die räumlichen und zeitlichen Verläufe der CO2-Konzentration untersucht.

Ergebnisse

Der Anstieg bzw. der Abfall der CO2-Konzentration pro Zeit sowie die maximale und minimale CO2-Konzentration je Messdurchlauf bzw. Lüftungsintervall sind in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt. Es zeigt sich ein linearerer Zusammenhang zwischen Dauer der Probenzeit, Raumgröße und Anzahl der Sänger:innen im Raum.

Pro Person kommt es zu einem Anstieg der CO2-Konzentration von 1.83 ppm/min. Mit Verdopplung der Teilnehmendenzahl kommt es während eines jeweils ca. 20-minütigen Singeintervalls sowohl beim Singen mit geschlossenen als auch mit gekippten Fenstern in etwa zu einer Verdopplung des Anstiegs der CO2-Konzentration (bei geschlossenen Fenstern: 11,2 ppm/min bei 6 bzw. 21,9 ppm/min bei 12 Singenden; mit gekippten Fenstern: 4,9 ppm/min bei 6 bzw. 8,7 ppm/min bei 12 Singenden).

Der steilste CO2-Anstieg ist jeweils in der Einsingphase zu beobachten (durchschnittlich 22,8 ppm/min). Beim ca. 40-minütigen Singen mit gekippten Fenstern (gesamte Fensteröffnungsfläche: 1,175 m2) reduziert sich der CO2-Anstieg pro Minute um mehr als die Hälfte (21,9 ppm/min vs. 8,7 ppm/min). Das Tragen einer Maske hat (erwartungsgemäß) keinen Einfluss auf den Anstieg der CO2-Konzentration. Je größer die Luftaustauschfläche ist, desto schneller sinkt die CO2-Konzentration während des Lüftens; die CO2-Konzentration nimmt dabei in den ersten 5 Minuten des Lüftungsintervalls am deutlichsten ab. Die CO2-Konzentration verteilt sich annährend gleichmäßig in horizontaler Ebene, während sich in vertikaler Ebene ein Maximum in Deckennähe zeigt. Der Unterschied der CO2-Konzentration liegt bei einer Höhendifferenz von 80 cm bei 50 ppm.

Diskussion

Auf Grundlage der Korrelation der Verteilung von Aerosolen und CO2 im Raum [4] zeigen unsere Messungen, dass Aerosole durch die Konvektionsströmung in Deckennähe akkumulieren. Somit ist davon auszugehen, dass das Infektionsrisiko durch Aerosole in Deckennähe am höchsten ist. Eine erhöhte Ansammlung von CO2 auf Mundhöhe konnten wir in unseren Messungen hingegen nicht beobachten. Bei annährend gleicher CO2-Konzentration in horizontaler Ebene, scheint die Position der Singenden in einem vergleichbaren Raum das Infektionsrisiko nicht maßgeblich zu beeinflussen. Unter Wahrung der empfohlenen Mindestabstände spielt somit die Anzahl der Singenden im Raum die entscheidende Bedeutung für das Infektionsrisiko. Auf Grundlage unserer Ergebnisse konnten wir eine Formel ableiten, mittels derer die CO2-Konzentration anhand der Anzahl der Singenden und der Raumgröße berechnet und damit das Infektionsrisiko abgeschätzt werden kann (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Konkrete Empfehlungen zur Reduktion des Infektionsrisikos beim Singen:

1.
Die Raumgröße sollte an die Anzahl der Singenden angepasst werden. So können die Singezeiten ohne Lüftungsintervall verlängert werden. Zur Berechnung möglicher Singeintervalle bzw. der benötigten Raumgröße kann die o.g. Formel herangezogen werden.
2.
Räume mit einer hohen Deckenhöhe und größtmöglicher Fensteröffnungsfläche sind zu bevorzugen.
3.
Selbst bei gekippten Fenstern kann es, je nach Fensteröffnungsfläche, zu einer deutlichen Verlängerung der zulässigen Singezeit kommen.
4.
Ein CO2-Sensor ist für ein Monitoring einer Chorprobe ausreichend, dabei ist die Platzierung des Sensors zu beachten. Eine Platzierung des Sensors in Deckenhöhe sorgt für eine frühzeitigere Warnung. Bei niedrigerer Platzierung sollte der Sensor nicht angesungen und somit hinter einem Singenden aufgestellt werden.

Fazit

Auf Grundlage der aktuell vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sind CO2-Messungen, neben anderen Maßnahmen, ein sinnvolles ergänzendes Tool, um das Risiko einer Infektion während einer Chorprobe weiter zu reduzieren.


Literatur

1.
Bahl P, de Silva C, Bhattacharjee S, Stone H, Doolan C, Chughtai AA, MacIntyre CR. Droplets and Aerosols Generated by Singing and the Risk of Coronavirus Disease 2019 for Choirs. Clin Infect Dis. 2021;72(10):639–41. DOI:10.1093/cid/ciaa1241 External link
2.
Mürbe D, Kriegel M, Lange J, Rotheudt H, Fleischer M. Aerosol emission in professional singing of classical music. Sci Rep. 2021 Jul 21;11(1):14861. DOI: 10.1038/s41598-021-93281-x External link
3.
Alsved M, Matamis A, Bohlin R, Richter M, Bengtsson PE, Fraenkel CJ, Medstrand P, Löndahl J. Exhaled respiratory particles during singing and talking. Aerosol Science and Technology. 2020;54(11):1245–8. DOI: 10.1080/02786826.2020.1812502 External link
4.
Schade W, Reimer V, Seipenbusch M, Willer U. Experimental Investigation of Aerosol and CO2 Dispersion for Evaluation of COVID-19 Infection Risk in a Concert Hall. Int J Environ Res Public Health. 2021 Mar 16;18(6):3037. DOI: 10.3390/ijerph18063037 External link
5.
Kappelt N, Russell HS, Kwiatkowski S, Afshari A, Johnson MS. Correlation of Respiratory Aerosols and Metabolic Carbon Dioxide. Sustainability. 2021; 13(21):12203. DOI: 10.3390/su132112203 External link