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Audiogene Sprech- und Stimmstörungen bei Erwachsenen mit CI
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Published: | October 28, 2021 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Aktuelle Studien zu audiogenen Sprech- und Stimmstörungen im Erwachsenenalter insbesondere bei prälingualer Hörstörung sind rar. Daher untersuchten wir die Prävalenz und die Symptome dieser Störungen bei Patienten unserer Cochlea-Implantat-Ambulanz.
Material und Methoden: Wir kontaktierten 54 mindestens mittelgradig (WHO) bilateral hörgestörte Erwachsene mit Cochlea-Implantaten oder bimodaler Versorgung ohne Stimm-, Sprech- oder Sprachstörungen anderer Genese. 17 Patienten (18–78 Jahre, davon 14 mit prälingualer Hörstörung) stimmten einer Teilnahme an unserer Studie zu. Wir führten eine körperliche HNO-Untersuchung mit Videolaryngostroboskopie, eine auditive Stimmklanganalyse mit Einschätzung der Nasalität, eine Sprechstimmfeldmessung und eine Ausspracheprüfung durch.
Ergebnisse: Bei allen Probanden war der Stimmklang auffällig, bei 12 Probanden war eine Hyperrhinophonie hörbar. Die mittlere Lautstärke der Sprechstimme war bei allen Probanden in mindestens einem Kommunikationssetting höher als die einer bevölkerungsbasierten Kohortenstudie (Berg, 2017). Bei 14 Probanden war die mittlere Sprechstimmlage höher als die der bevölkerungsbasierten Kohortenstudie. Alle prälingual hörgestörten Probanden waren von einer Sprechstörung betroffen. Aussprachefehler fanden sich durchschnittlich in jedem vierten Wort. Mehr als die Hälfte der Aussprachefehler waren phonologische Prozesse und damit potentiell sinnverändernd.
Fazit: In der untersuchten Stichprobe zeigte sich eine hohe Prävalenz verständnisrelevanter, audiogener Aussprachestörungen und eine der Kommunikationssituation oft nicht angepasste Lautstärke der Sprechstimme trotz Cochlea-Implantat-Versorgung.
Text
Zielsetzung
Erfassung von Prävalenz und Symptomatik audiogener Sprech- und Stimmstörungen im Erwachsenenalter, insbesondere bei prälingualen Hörstörungen. Ausgehend von den Befunden ist das Ziel, ein computerisiertes Trainingssystem zur Therapie von Sprech- und Stimmstörungen (THERESIAH) zu entwickeln, welches auf einem automatisierten Spracherkenner basiert.
Methode
Probanden
- Inklusion: audiogene Stimm- oder Sprechstörungen ≥18 Jahre, dt. Sprache
- N=17 Patienten (18–78 Jahre) aus Cochlea-Implantat-Sprechstunde
- Mindestens mittelgradiger Hörverlust 4 PTA WHO, besseres Ohr, davon 14 Probanden mit prälingualer Hörstörung
- Versorgung mit Cochlea-Implantat (CI) oder bimodal (CI plus Hörgerät)
- Erste Cochlea-Implantat-Versorgung im Durchschnittsalter von 41,2 Jahren bei den ProbandInnen mit prälingualer Hörstörung
Studienprotokoll
- Körperliche HNO-Untersuchung incl. Videolaryngostroboskopie
- Auditive Stimmklanganalyse mit Einschätzung der Nasalität
- Sprechstimmfeldmessung: Messung in vier Kommunikationssituationen (leisestes Sprechen, Zwiegespräch, Klassenzimmer, Rufstimme)
- Digitales Stimmaufzeichnungssystem (XION GmbH, Berlin) mit DiVAS® Software (XION); Bewertung anhand der von Berg [1] in einer bevölkerungsbasierten Normierungsstudie erhobenen Werte
- Ausspracheprüfung: Psycholinguistische Analyse kindlicher Sprechstörungen (PLAKSS) von A. Fox [2] (Bildbenennungstest); Hypothese: die PLAKSS ist für eine therapeutisch relevante Klassifikation auch Erwachsener mit audiogener Sprechstörung [3] geeignet, da hohe Standardisierung und Durchführung mit auch für Erwachsene geeignetem Bildmaterial.
Ergebnisse
- Auditive Stimmklangbeurteilung zeigte bei allen Probanden geringgradige Auffälligkeiten wie z.B. geringe Hypernasalität bei N=12 Probanden.
- In der Sprechstimmfeldmessung zeigt sich bei allen Probanden die mittlere Lautstärke der Sprechstimme in mindestens einem Kommunikationssetting höher als in einer bevölkerungsbasierten Normierungsstudie [1], siehe auch Abbildung 1 [Abb. 1] und Erklärung in der Audiodatei (Anhang 1 [Anh. 1]).
- Bei N=14 war die mittlere Sprechstimmlage höher als in der Normstichprobe [1].
- 0–75 Aussprachefehler pro Proband (bei 99 Worten der Ausspracheprüfung)
- Alle prälingual hörgestörten Probanden zeigten eine Sprechstörung.
- 58.6% der Aussprachefehler waren potentiell sinnverändernde, phonologische Prozesse, siehe auch Abbildung 2 [Abb. 2].
- Häufigste Aussprachefehler: Reduktion der Konsonantenverbindung /ST/ auf stimmloses /S/ (N=10), gefolgt von interdentalem Sigmatismus (N=7) oder lateralem Schetismus (N=7).
Fazit
Es zeigte sich eine hohe Prävalenz verständnisrelevanter, audiogener Aussprachestörungen und eine der Kommunikationssituation oft nicht angepasste Lautstärke der Sprechstimme trotz CI-Versorgung.
BMBF Verbundprojekt THERESIAH | FKZ: 13GW0209D
Literatur
- 1.
- Berg M, Fuchs M, Wirkner K, Loeffler M, Engel C, Berger T. The Speaking Voice in the General Population: Normative Data and Associations to Sociodemographic and Lifestyle Factors. J Voice. 2017;31(2):257.e13-4. DOI: 10.1016/j.jvoice.2016.06.001
- 2.
- Fox A. Psycholinguistische Analyse kindlicher Sprechstörungen – PLAKSS, 1. Auflage. Frankfurt: Pearson Verlag; 2000.
- 3.
- Dodd B. Differential Diagnosis of Pediatric Speech Sound Disorder. Curr Dev Disord. 2014;1:189-96. DOI: 10.1007/s40474-014-0017-3