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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Return-to-work nach Kopf-Hals-Tumorerkrankung und der Einfluss von Schluck- und Sprechfunktion

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV45

doi: 10.3205/19dgpp65, urn:nbn:de:0183-19dgpp652

Published: September 13, 2019

© 2019 Meuret et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Anzahl der Patienten, bei denen die berufliche Wiedereingliederung gelingt, ist bei an Kopf-Hals-Tumoren (KHT) erkrankten Personen geringer als bei Patienten mit anderen Tumorentitäten. Bei KHT-Patienten ist oftmals besonders die Schluck- und Stimmfunktion negativ beeinträchtigt. Deren Auswirkungen auf die berufliche Rehabilitation sind bisher jedoch nur unzureichend beschrieben. Auch ist unklar, inwieweit bisherige Rehabilitationsmaßnahmen einen positiven Einfluss auf die berufliche Reintegration haben.

Material und Methoden: Patienten, die die Erstdiagnose eines KHT zwischen 7/2013 und 7/2015 erhielten, wurden im Rahmen der Tumornachsorge zu funktionellen Defiziten befragt. Grundlage bildete das Tumornachsorgesystem „OncoFunction“, welches regelhaft an der HNO-Klinik Leipzig eingesetzt wird. Patienten, die jünger als 65 waren, wurden in die Auswertung eingeschlossen.

Ergebnisse: 231 Patienten konnten 12 Monate nach Diagnosestellung und 101 Patienten bis 24 Monate nach der Diagnosestellung eingeschlossen werden. Über 50% der Patienten waren nicht berufstätig (1. Jahr: 63,5%; 2. Jahr: 56,4%). Nicht erwerbstätige Patienten hatten signifikant höhere Tumorstadien. Auch die Einschränkung der Schluck- und Stimmfunktion war signifikant höher als bei den erwerbstätigen Patienten. Als stärksten Effekt zeichnete sich eine eingeschränkte Schluckfunktion im EAT-10 ab (ES 0,7 = mittlerer Effekt). Eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit war ein weiteres Merkmal der Patienten, welche nicht berufstätig waren. Zwischen den Patienten, die keine oder eine Rehabilitation erhalten hatten, bestand hinsichtlich der Schluck- und Stimmfunktion kein Unterschied.

Diskussion: Die berufliche Reintegration ist aufgrund der positiven Aspekte von Normalität, sozialer Anerkennung sowie geringerer depressiver Beschwerden von hoher Bedeutung für Tumorpatienten. Die hohe Anzahl an KHT-Patienten, welche nicht in das Berufsleben zurückfindet, und die Korrelation mit funktionellen Defiziten ist offensichtlich. Der Effekt bisher vorliegender Rehabilitationsprogramme ist jedoch nur sehr gering ausgeprägt, so dass in diesem Bereich noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht.

Fazit: Rehabilitationsprogramme müssen weiter verbessert und für die spezifischen Belange der KHT-Patienten angepasst werden. Vor dem Hintergrund der zunehmend wachsenden Gruppe junger HPV-positiver Oropharynxkarzinompatienten ist dieses Thema zunehmend wichtig.


Text

Hintergrund

Berufstätigkeit kann ein Gefühl von Normalität und Anerkennung für Krebspatienten bedeuten und somit einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität der Patienten haben [1]. Andererseits kann der Verlust des Arbeitsplatzes den Alltag stark verändern und dadurch zu sozialer Isolation und mangelndem Selbstvertrauen führen [2]. Das Risiko, nach einer Krebsbehandlung nicht wieder in das Arbeitsleben integriert zu werden, ist assoziiert mit höherem Lebensalter, weiblichem Geschlecht, Komorbiditäten, höherem Tumorstadium sowie Chemotherapie [3], [4], [5], [6], [7].

Die Anzahl der Patienten, bei denen die berufliche Wiedereingliederung gelingt, ist bei an Kopf-Hals-Tumoren (KHT) erkrankten Personen geringer als bei Patienten mit anderen Tumorentitäten [8], [9], [10]. Auch ist die Dauer bis zur beruflichen Wiedereingliederung meist länger als bei den meisten anderen Tumorentitäten. Eine Vielzahl von Funktionseinschränkungen verhindert oftmals die aktive Teilhabe am Berufsleben. Bei KHT Patienten ist besonders häufig die Schluck- und Stimmfunktion negativ beeinträchtigt. Deren Auswirkungen auf die berufliche Rehabilitation sind bisher jedoch nur unzureichend beschrieben. Auch ist unklar, inwieweit bisherige Rehabilitationsmaßnahmen einen positiven Einfluss auf die berufliche Reintegration haben.

Material und Methoden

Patienten, die jünger als 65 Jahre waren, die Erstdiagnose eines KHT zwischen 7/2013 und 7/2015 erhielten und an dem Universitätsklinikum Leipzig in Behandlung waren, wurden in die Untersuchung eingeschlossen. Alle Patienten wurden im Rahmen der Tumornachsorge zu ihrem Berufsstatus und zu funktionellen Defiziten befragt. Die Grundlage dieser Erhebung bildete das System „OncoFunction“, welches regelhaft in der Tumornachsorge der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde des Universitätsklinikums Leipzig eingesetzt wird.

Ergebnisse

231 Patienten (61 Frauen, 170 Männer) konnten 12 Monate (t1) und 101 Patienten bis 24 Monate (t2) nach der KHT Diagnosestellung in die Studie eingeschlossen und ausgewertet werden. Alle Tumorstadien (UICC) waren in der Untersuchungsgruppe vorhanden; wobei höhere Tumorstadien mehrheitlich vertreten waren (Tumorstadium UICC I 15.8%; II 6,6% III 17.5%; IV 60.1%). Über 50% der Patienten waren nicht berufstätig (t1: 63,5%; t2: 56,4%). Von den 57 Patienten, die zu t2 arbeitslos waren, waren bereits 47 (82,5%) zu t1 arbeitslos. Nicht erwerbstätige Patienten hatten signifikant höhere Tumorstadien. Auch die Einschränkung der Schluck- und Stimmfunktion war signifikant höher als bei den erwerbstätigen Patienten. Hierbei hatte eine eingeschränkte Schluckfunktion im EAT-10 (ES 0,7 = mittlerer Effekt) den deutlichsten Einfluss. Eine eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit war ein weiteres Merkmal der Patienten, welche nicht berufstätig waren. Arbeitslose Patienten gaben weiterhin höhere Raten an Depression, Angst, Fatigue sowie eine niedrigere Lebensqualität an. Zwischen den Patienten, die keine oder eine stationäre Rehabilitation erhalten hatten, bestand hinsichtlich der Schluck- und Stimmfunktion sowie der psychologischen Parameter kein signifikanter Unterschied.

Diskussion

Die berufliche Reintegration ist aufgrund der positiven Aspekte von Normalität, sozialer Anerkennung sowie geringerer depressiver Beschwerden von hoher Bedeutung für Tumorpatienten. Die hohe Anzahl an KHT-Patienten, welche nicht in das Berufsleben zurückfindet, und die Korrelation mit funktionellen Defiziten ist offensichtlich. Bisherige Rehabilitationsprogramme zeigen in unserer Untersuchung keinen signifikanten Einfluss auf die posttherapeutische Funktionalität.

Fazit

Rehabilitationsprogramme sollten den Aspekt der Erwerbstätigkeit bedenken und weiter auf die spezifischen Belange von KHT-Patienten anpassen. Vor dem Hintergrund der zunehmend wachsenden Gruppe junger HPV-positiver KHT-Patienten im erwerbsfähigen Alter ist dieses Thema zunehmend wichtig.


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