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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Zungenbürsten: Hygienestrategie für Dysphagiepatienten?

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Silke Steinbach-Hundt - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • author Magdalene Kunst - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland
  • author Nina Timmesfeld - Universitätsklinikum Marburg, Institut für medizinische Biometrie und Epidemiologie, Marburg, Deutschland
  • author Christiane Hey - Universitätsklinikum Marburg, Abt. Phoniatrie und Pädaudiologie, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV42

doi: 10.3205/19dgpp62, urn:nbn:de:0183-19dgpp624

Published: September 13, 2019

© 2019 Steinbach-Hundt et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Vermehrter Zungenbelag erhöht die orale Bakterienlast und damit das Risiko auf eine Aspirationspneumonie bei Schluckpatienten. Ziel der vorliegenden Studie ist das Erfassen der Zungenbelagsreduktion durch Zungenbürsten sowie ggf. von Mikrotraumen bei Gesunden als Pilotstudie für Schluckpatienten.

Material und Methoden: In dieser prospektiven Studie wurde der Zungenbelag von gesunden Nichtrauchern (N=50, Durchschnittsalter: 44,8±22,7) vor und 14 Tage nach 2x täglichem Zungenbürsten mittels Winkel-Index (Winkel et al. 2003) verifiziert. Zudem wurden Nebenwirkungen der Prozedur zum gleichen Zeitpunkt mittels visueller Analogskala erfasst.

Ergebnisse: Nach 14 Tagen Zungenbürsten nahm der Zungenbelag (Winkel-Index, p<0,001) unabhängig von Geschlecht und Alter ab, ebenso die subjektiv eingeschätzte Halithosis (VAS, p=0,03). Fast alle (n=48) fanden die Handhabung einfach. Komplikationen wurden auf einer Skala von 0=keine bis 100=starke nach 14 Tagen mit 6,5±4,6 eingestuft, dabei wurden z.B. Schleimhautreizungen (n=5), Zungenbrennen (n=4) und leichtes Bluten der Zungenoberfläche (n=2) als Komplikationen genannt. Über Würgereflex beim Bürsten klagten 26%. Keine Probleme hatten 74%. Auf die Frage nach Fortsetzung des Zungenbürstens ergab sich folgender Wert: 66,7±37,1 (VAS, 0=nein, 100=ja, sehr gerne).

Diskussion: Shi et al. 2013 zeigten, dass Mundhygiene mit Chlorhexidin die Pneumonierate Intubierter um 40% senkt. Eine Abnahme der oralen Bakterienlast Intubierter kann ebenso durch Auswischen der Mundhöhle erreicht werden (Muramatsu et al. 2019). Odgaard und Kothari (2019) vermuten in der Neurorehabilitation eine Pneumonierate von 85% bei schlechter Mundhygiene. Das Abbürsten der Zunge ist preiswert, relativ gut zu handhaben und verzichtet auf orale Flüssigkeiten, was gerade für Dysphagiepatienten wichtig sein kann. In dieser Studie nahm der Zungenbelag durch 2x tägliches Zungenbürsten signifikant ab ohne Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen nach 14 Tagen. Insofern kann diese Methode ohne orale Verwendung von Flüssigkeiten zu Reinigung insbesondere bei Dysphagiepatienten sinnvoll sein und sollte in einer randomisierten Studie erprobt werden.

Fazit: Das zweimal tägliche Zungenbürsten bildet eine gute Basis für eine Mundhygiene und kann für Dysphagiepatienten von Relevanz sein.


Text

Hintergrund

Die Fissuren, Krypten und der papilläre Strukturaufbau der Zunge bieten Nischen für Mikroorganismen und Zellüberreste [1]. Ein vermehrter Zungenbelag kann daher mit einer erhöhten oralen Bakterienlast einhergehen [1] und damit das Risiko auf eine Aspirationspneumonie bei Schluckpatienten steigern. Takeshita et al. [2] beobachteten bei 343 Langzeithospitalisierten bzw. Pflegeheimbewohnern über 65 Jahre, dass eine Erhöhung der mikrobiellen Last des Zungenbelags sich auf das Pneumonierisiko und auf einen Temperaturanstieg über 9 Tage im Jahr auswirkte.

Durch ein tägliches Zungenbürsten kann der Zungenbelag reduziert werden, allerdings kann das tägliche Zungenreinigen auch zu Mikrotraumata der Zunge führen.

Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, zunächst bei Gesunden eine Zungenbelagsreduktion durch regelmäßiges Zungenbürsten zu erfassen bei gleichzeitiger Erhebung von negativen Effekten der Prozedur als Pilotstudie für Schluckpatienten.

Material und Methode

In dieser prospektiven Studie wurde der Zungenbelag von gesunden Nichtrauchern (n=50) vor und 14 Tage nach 2x täglichem Zungenbürsten mittels Winkel-Index [3] verifiziert. Hierzu wurde der Zungenrücken in 6 Areale eingeteilt, 3 rechts der Mittellinie der Zunge und 3 links davon je in vorderen, mittleren und hinteren Teil. Der Belag wurde mit 0=keiner, 1=wenig, 2=ausgeprägt beziffert, so dass Werte zwischen 0 und maximal 12 erreicht werden konnten. Zudem wurden Nebenwirkungen der Prozedur zum gleichen Zeitpunkt mittels visueller Analogskala erfasst (z.B. 0=kein subjektiver Zungenbelag; 100=ausgeprägter subjektiver Zungenbelag). Alle Vergleiche – vor und nach Zungenbürsten – derselben Person wurden mit einem Wilcoxon-Signed-Rank-Test durchgeführt mittels Pratts-Methode (wegen der 0 Werte). Alle Analysen wurden mit der statistischen Analysesoftware R (r-project.org), Version 3.4.0 analysiert. P-Werte <0,05 wurden als statistisch signifikant gewertet.

Ergebnisse

Das mittlere Alter der 50 gesunden Nichtraucher lag bei 44,8±22,7 Jahren. Die Patientencharakteristika sind in Tabelle 1 [Tab. 1] zusammengefasst.

Nach 14 Tagen Zungenbürsten nahm der Zungenbelag (Winkel-Index, p<0,001) unabhängig von Geschlecht und Alter ab, ebenso die subjektiv eingeschätzte Halithosis (VAS, p=0,03). Fast alle (n=48) fanden die Handhabung einfach. Komplikationen wurden auf einer Skala von 0=keine bis 100=starke nach 14 Tagen mit 6,5±4,6 eingestuft, dabei wurden z.B. Schleimhautreizungen (n=5), Zungenbrennen (n=4) und leichtes Bluten der Zungenoberfläche (n=2) als Komplikationen genannt. Über Würgereflex beim Bürsten klagten 26%. Keine Probleme mit dem Würgereflex hatten 74%. Auf die Frage nach Fortsetzung des Zungenbürstens ergab sich folgender Wert: 66,7±37,1 (VAS, 0=nein, 100=ja, sehr gerne).

Diskussion

Shi et al. [4] zeigten, dass Mundhygiene mit Chlorhexidin die Pneumonierate Intubierter um 40% senkt. Eine Abnahme der oralen Bakterienlast Intubierter kann ebenso durch Auswischen der Mundhöhle erreicht werden [5]. Odgaard und Kothari [6] vermuten in der Neurorehabilitation eine Pneumonierate von 85% bei schlechter Mundhygiene. Das Abbürsten der Zunge ist preiswert, relativ gut zu handhaben und verzichtet auf orale Flüssigkeiten, was gerade für Dysphagiepatienten wichtig sein kann. In dieser Studie nahm der Zungenbelag von Gesunden durch 2x tägliches Zungenbürsten über 14 Tage signifikant ab, ohne Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen. Insofern kann diese Methode ohne orale Verwendung von Flüssigkeiten zu Reinigung besonders bei Dysphagiepatienten sinnvoll sein und sollte in einer randomisierten Studie bei Dysphagiepatienten erprobt werden.

Schlussfolgerung

Das zweimal tägliche Zungenbürsten bildet eine gute Basis für eine Mundhygiene und kann für Dysphagiepatienten von Relevanz sein.


Literatur

1.
De Boever EH, Loesche WJ. Assessing the contribution of anaerobic microflora of the tongue to oral malodor. J Am Dent Assoc. 1995;126:1384-93.
2.
Takeshita T, Tomioka M, Shimazaki Y, Matsuyama M, Koyano K, Matsuda K, Yamashita Y. Microfloral Characterization of the tongue coating and associated risk for pneumonia-related health problems in institutionalized older adults. J Am Geriatr Soc. 2010;58(6):1050-7.
3.
Winkel EG, Roldan S, Van Winkelhoff AJ, Herrera D, Sanz M. Clinical effects of a new mouthrinse containing chlorhexidine, cetylpyridinium chloride and zinc-lactate on oral halithosis. A dual-center, double-blind placebo-controlled study. J Clin Periodontol. 2003;30:300-6.
4.
Shi Z, Xie H, Wang P, Zhang Q, Wu Y, Chen E, Ng L, Worthington HV, Needleman I, Furness S. Oral hygiene care for critically ill patients to prevent ventilator-associated pneumonia. Cochrane Database Syst Rev. 2013;(8):CD008367. DOI: 10.1002/14651858.CD008367.pub2 External link
5.
Muramatsu K, Matsuo K, Kawai Y, Yamamoto T, Hara Y, Shimomura Y, Yamashita C, Nishida O. Comparison of wiping and rinsing techniques after oral care procedures in critically ill patients during endotracheal intubation and after extubation: A prospective cross-over trial. Jpn J Nurs Sci. 2019;16(1):80-7.
6.
Odgaard L, Kothari M. Survey of oral nursing care attitudes, knowledge and practices in a neurorehabilitation setting. J Oral Rehabil. 2019;46(8):730-7. DOI: 10.1111/joor.12799 External link