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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Auswertung einer Methode zur Messung des phonation threshold pressures (PTP) und zur Detektion stimmlicher Belastung durch experimentelle Vokaltechniken

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Lennart Heinrich Pieper - Sektion Phoniatrie, Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • Lisa Fornhammer - MuTri School, University of the Arts Helsinki, Helsinki, Finnland
  • Johan Sundberg - Department of Speech Music Hearing, KTH, Stockholm and University College of Music Education Stockholm, Stockholm, Schweden
  • Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie, Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocP18

doi: 10.3205/19dgpp53, urn:nbn:de:0183-19dgpp538

Published: September 13, 2019

© 2019 Pieper et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Von Sängerinnen und Sängern westlicher, klassischer Musik wird heutzutage oft ein weites Spektrum an Gesangstechniken erwartet. Im Bereich des zeitgenössischen Gesangs stellt dies eine große Herausforderung für viele Sänger dar, da die experimentellen Vokaltechniken oft als stimmbelastend empfunden werden. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Auswirkung dieser experimentellen Vokaltechniken auf die Sängerstimme liegen noch nicht vor.

Der phonation threshold pressure (PTP) beschreibt den niedrigsten subglottischen Druck, der zur Initiierung einer kontinuierlichen Stimmlippenschwingung benötigt wird, und erlaubt somit eine Aussage über die Schwingungsfähigkeit der Stimmlippen. Er ist geeignet, um Anzeichen stimmlicher Ermüdung zu detektieren und somit die potenziell schädigende Auswirkung von Gesangsstilen zu untersuchen. Das Ziel dieser Pilotstudie war es, das von uns entwickelte Verfahren zur PTP-Messung auszuwerten und in quantitativen Termen die Effekte experimenteller Vokaltechniken zu dokumentieren.

Material und Methoden: Eine weibliche und zwei männliche professionelle Sänger wurden erfolgreich untersucht. Es wurde der Effekt von zwei experimentellen Vokaltechniken, dem senza-vibrato und dem inspiratorischen Singen, sowie als Vergleichsmessung der Effekt des Singens mit Vibrato auf die Stimme gemessen. Als standardisierte und vergleichbare Stimmbelastung wurde das Voice Range Profile gewählt, welches in (a) vibrato, (b) senza-vibrato und (c) inspiratorischem Singen gemessen wurde. Eine Videolaryngostroboskopie (VLS) sowie der phonation threshold pressure wurden vor und nach jeder Belastung erhoben und anschließend ausgewertet und verglichen. Im Anschluss an die Messung erfolgte ein Interview mit den Probanden.

Ergebnisse: Das angewandte PTP-Messverfahren liefert zuverlässige Daten. Es zeigte sich ein Anstieg des PTP mit zunehmender Tonhöhe. Bei allen Probanden sind nur geringe Veränderungen des PTP vor und nach Belastung zu beobachten. Beim inspiratorischen Singen höherer Töne zeigt sich eine deutliche Steigerung des PTP beim Bariton ohne Erfahrung im Umgang mit erweiternden Stimmtechniken im Vergleich zur in diesem Bereich erfahrenen Sopranistin.

Fazit: Die PTP-Messung scheint eine geeignete Methode zu sein, um die Auswirkungen von experimentellen Vokaltechniken auf die Sängerstimme zu erfassen. Umfang der Belastung sowie Erfahrungen im Bereich des zeitgenössischen Gesangs könnten die Auswirkungen der experimentellen Vokaltechniken auf die Stimme möglicherweise beeinflussen.


Text

Hintergrund

Das Singen zeitgenössischer Musik ist Teil des Berufslebens eines jeden jungen Sängers und stellt oftmals extreme Anforderungen an die Stimme. Insbesondere gilt dies für das inspiratorische Singen, aber auch für das vibratofreie Singen, wie sie in einigen zeitgenössischen Vokalmusiken vorkommen. Zu diesem Thema finden sich in der aktuellen Literatur vorwiegend Abhandlungen, welche in der Regel auf persönlichen Erfahrungen des Autors, nicht jedoch auf wissenschaftlichen Studien basieren [1], [2]. Die Frage nach möglichen Folgeschäden des zeitgenössischen Gesangs lässt sich somit aktuell noch nicht beantworten.

Die nun vorliegende Pilotstudie konzentriert sich auf die unmittelbaren phonatorischen Effekte von inspiratorischem und non-vibrato Gesang. Ziel dieser Pilotstudie war es, das von uns entwickelte Verfahren zur PTP-Messung auszuwerten und in quantitativen Termen die Effekte experimenteller Vokaltechniken zu dokumentieren. Der phonation threshold pressure (PTP) beschreibt den niedrigsten subglottischen Druck, der zur Initiierung einer kontinuierlichen Stimmlippenschwingung benötigt wird, und erlaubt somit eine Aussage über die Schwingungsfähigkeit der Stimmlippen. Er ist dazu geeignet, Anzeichen stimmlicher Ermüdung zu detektieren und somit die potenziell schädigende Auswirkung von Gesangsstilen zu untersuchen [3], [4], [5].

Material/Methoden

Eine weibliche professionelle Sängerin sowie zwei männliche professionelle Sänger mit mindestens zehn Jahren Berufserfahrung wurden erfolgreich am Universitätsklinikum in Leipzig in der Abteilung für Phoniatrie und Audiologie untersucht. Während die Sopranistin im Bereich des zeitgenössischen Gesangs sehr erfahren war, hatten der Bariton sowie der Bass wenig Erfahrung mit experimentellen Vokaltechniken. Es wurde der Effekt von zwei experimentellen Vokaltechniken, dem senza-vibrato und dem inspiratorischen Singen, sowie als Vergleichsmessung der Effekt des Singens mit Vibrato auf die Stimme gemessen. Als standardisierte und vergleichbare Stimmbelastung wurde das Stimmumfangsprofil (eng.: voice range profile – VRP) ausgewählt, welches in (a) vibrato, (b) senza-vibrato und (c) inspiratorischem Singen gemessen wurde. Eine Videolaryngostroboskopie (VLS) sowie der phonation threshold pressure wurden vor und nach jeder Belastung erhoben und anschließend ausgewertet und verglichen. Durchgeführt und ausgewertet wurden die VLS-Befunde von einem erfahrenen Fach- sowie Assistenzarzt für Phoniatrie und Pädaudiologie bzw. Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde. Die Stimmlippen wurden im Zuge der VLS auf folgende Parameter hin untersucht: Farbe, Gefäßzeichnung, Vorhandensein von Schleimauflagerungen, Oberflächenverhältnisse sowie Schwingungs- und Schlussverhalten. Im Anschluss an die Messung erfolgte jeweils ein Interview mit den Probanden, um die subjektive Stimmbelastung zu evaluieren. Um sicherzustellen, dass zu Beginn jedes Messdurchlaufes die Stimme erholt war, wurden die Messungen auf zwei Tage verteilt und eine mindestens einstündige Pause zwischen den jeweiligen Messungen eingehalten.

Zur Ermittlung des PTP bestand die Aufgabe der Teilnehmer darin, Diminuendo-Sequenzen der Silbe /pa:/ im Legato zu produzieren. Die Sequenzen wurden auf drei verschiedenen Tonhöhen produziert. Auf jeder Tonhöhe wurde eine Serie von zehn Sequenzen aufgenommen. Von den drei Tonhöhenfrequenzen lag die Tiefste eine Terz oberhalb des tiefsten Tones des Teilnehmers, eine in der Mitte seines Tonhöhenumfangs und die dritte Testfrequenz eine Terz unter seinem höchsten Ton.

Der PTP wurde als intraoraler Druck während der Verschlusssphase des Konsonanten /p/ gemessen. Vorausgegangene Studien bestätigten, dass der intraorale Druck eine zuverlässige Schätzung des subglottalen Drucks erlaubt [6]. Der intraorale Druck wurde mittels eines dünnen Kunststoffschlauches erfasst, welcher im Mundwinkel des Teilnehmers positioniert war. Der Schlauch war an ein Manometer angeschlossen, welches mit Hilfe der PASCO®-Capstone-Software das Drucksignal digitalisierte, aufzeichnete und in Echtzeit auf einem Computerbildschirm dem Teilnehmer als visuelles Feedback darstellte. Zudem erfolgte eine Tonaufnahme mit oszillographischer Darstellung des Schallsignals.

Die Analyse der Daten erfolgte manuell durch ein konstantes Auswertungsteam. Hierbei wurde der letzte phonierte sowie der erste nicht-phonierte /pa:/-Laut anhand der Schallaufnahme ermittelt, die entsprechenden Druckwerte dazu abgelesen und der Mittelwert dieser berechnet. Der Mittelwert von wiederum mindestens drei von zehn der zuvor ermittelten Einzelmessungen wurde als PTP-Wert akzeptiert.

Ergebnisse

Abbildung 1 [Abb. 1] stellt die Verlässlichkeit des Parameters PTP dar. Verglichen werden die PTP-Werte, die vor Messung des VRP im Vibrato und im inspiratorischen Gesang erhoben wurden. Die Messungen fanden an zwei unterschiedlichen Tagen statt.

Bei der Sopranistin fanden sich bei allen Frequenzen nur geringe Schwankungen des PTP nach stimmlicher Belastung. Der Bariton zeigte einen auffälligen Anstieg des PTP nach dem Singen höherer Töne im inspiratorischen Vokalstil. Auch beim Bass zeigten sich überwiegend geringe Veränderungen nach Vibratogesang sowie nach Erhebung des Stimmumfangsprofils im senza-vibrato. Auffällig war hier jedoch im Vergleich zu den anderen beiden Probanden die deutlichere Abnahme des PTP nach inspiratorischem Gesang.

In der VLS zeigten sich vereinzelt vermehrte Sekretauflagerungen nach stimmlicher Belastung in allen Gesangsstilen. Zudem gaben alle Probanden ein unangenehmes Gefühl auf Kehlkopfebene während und nach inspiratorischem Gesang an.

Diskussion

Das angewandte PTP-Messverfahren liefert zuverlässige Daten. Es zeigte sich ein Anstieg des PTP mit zunehmender Tonhöhe, so wie es auch in vorausgegangener Literatur beschrieben worden ist [7]. Bei allen Probanden sind nur geringe Veränderungen des PTP vor und nach Belastung zu beobachten. Beim inspiratorischen Singen höherer Töne zeigt sich eine deutliche Steigerung des PTP beim Bariton ohne Erfahrung im Umgang mit erweiternden Stimmtechniken im Vergleich zur in diesem Bereich erfahrenen Sopranistin. Mit Blick auf das inspiratorische Stimmumfangsprofil der Probanden fällt dabei auf, dass dieses beim (unerfahrenen) Bass deutlich kleiner ausfällt als beim Sopran und Bariton. Möglicherweise war die stimmliche Belastung somit nicht ausreichend groß bzw. im Vergleich zu gering und erklärt somit die Abnahme des PTP beim Bass nach Messung des Stimmumfangsprofils im inspiratorischen Gesang.

Zusammenfassung

Die PTP-Messung scheint eine geeignete Methode zu sein, um die Auswirkungen von experimentellen Vokaltechniken auf die Sängerstimme zu erfassen. Umfang der Belastung sowie Erfahrungen im Bereich des zeitgenössischen Gesangs könnten die Auswirkungen der experimentellen Vokaltechniken auf die Stimme möglicherweise beeinflussen.


Literatur

1.
Ischerwood N. The Techniques of Singing. Kassel: Bärenreiter; 2012.
2.
DeBoer A. Ingressive phonation in contemporary vocal music. Bowling Green: Bowling Green State University; 2012.
3.
Enflo L , Sundberg J, McAllister A. Collision and phonation threshold pressures before and after loud, prolonged vocalization in trained and untrained voices. J Voice. 2013;5:527-30.
4.
Solomon NP, DiMattia MS. Effects of a vocally fatiguing task and systematic hydration on phonation threshold pressure. J Voice. 2000;14:341-62.
5.
Milbrath RL, Solomon NP. Do vocal warm-up exercises alleviate vocal fatigue? J Speech Hear Res. 2003;46:422-36.
6.
Hertegård S, Gauffin J, Lindestad PÅ. A Comparison of Subglottal and Intraoral Pressure Measurements during phonation. J Voice. 1995;9:149-55.
7.
Plexico LW, Sandage MJ, Faver KY. Assessment of phonation threshold pressure: a critical review and clinical implications. Am J Speech Lang Pathol. 2011;20(4):348-66. DOI: 10.1044/1058-0360(2011/10-0066) External link