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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Unterschiede der Phonationsatmung professioneller Sängerinnen und Sänger – eine Studie mittels dynamischer MRT

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Louisa Traser - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Carmen Schwab - Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Daniela Blaser - Abteilung für Phoniatrie, Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie, Inselspital, Universitätsklinik Bern, Universität Bern, Bern, Schweiz
  • Fabian Burk - Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Kiel, Deutschland
  • Ali Cagler Özen - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Michael Bock - Klinik für Radiologie, Abteilung für medizinische Physik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Bernhard Richter - Institut für Musikermedizin, Universitätsklinikum und Hochschule für Musik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Matthias Echternach - Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Klinikums der Universität München (LMU), München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV33

doi: 10.3205/19dgpp49, urn:nbn:de:0183-19dgpp496

Published: September 13, 2019

© 2019 Traser et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine ökonomische Atemsteuerung wird in der Gesangspädagogik als wichtiger Baustein einer effektiven Phonation beschrieben. Unterschiede in der Steuerung der Phonationsatmung zwischen Sängerinnen und Sängern werden dabei jedoch kontrovers diskutiert.

Da die dynamische Bildgebung der Lunge aufgrund von technischen oder ethischen Limitationen bisher nur begrenzt möglich war, mangelt es an quantitativen Untersuchungen, welche auch die innere Atembewegung dynamisch abbilden können. Es ist bisher nur unzureichend bekannt, ob geschlechtsabhängige Unterschiede in der Steuerung der Phonationsatmung bei der Gesangsphonation eine Rolle spielen.

Material und Methoden: Die vorliegende Studie beschreibt die Analyse der Atembewegung von Thorax und Zwerchfell während der Phonation von Tonsprüngen und ausgehaltenen Tönen von jeweils 5 professionellen Sängerinnen und Sängern. Diese wurden mittels eines 1.5T MRT (Tim Symphony, Siemens, Erlangen, Germany) in sagittaler und coronarer Schnittbildgebung mit 3 Bildern/Sek. dargestellt. In jedem Bild wurden Distanzen zwischen anatomischen Landmarken vermessen. Parallel erfolgte die elektroglottographische Kontrolle von Grundfrequenz und Kontaktquotient sowie in einem separaten Schritt die Bestimmung des subglottischen Drucks.

Ergebnisse: Bei der Phonation ausgehaltener Töne und Tonsprünge zeigte sich eine differenzierte Steuerung zwischen Thorax und vorderer Zwerchfellbewegung im Vergleich zu hinteren Zwerchfellbewegung bei allen Sängern. Auch die Reduktion des subglottischen Drucks bei Tonsprüngen Abwärts durch kurzfristige Zwerchfellkontraktionen war unabhängig vom Geschlecht messbar.

Unterschiede zeigten sich dagegen im Ausmaß der Thorax- und Zwerchfellbewegung in Relation zur individuellen Ausatembewegung: Hier schöpften Sänger einen größeren Anteil ihrer individuellen Thoraxbewegung für die Phonation aus, während Sängerinnen dagegen einen größeren Anteil Ihrer Zwerchfellbeweglichkeit ausnutzten.

Diskussion: Diese Ergebnisse sind kongruent mit Fragebogenstudien, welche eine weiter kaudal gelegene Projektion der Atembewegung bei Sängerinnen im Vergleich zu Sängern postulierten. Sie stehen im Widerspruch zu Untersuchungen zur Sprechatmung, welche keine geschlechtsspezifischen Unterschiede feststellen konnten.

Fazit: Ob die beschriebenen Unterschiede auf das Geschlecht oder andere Einflussfaktoren wie Stimmfach oder Körperphysionomie zurückzuführen sind, kann jedoch anhand der kleinen Stichprobe nicht abschließend evaluiert werden.


Text

Hintergrund

Eine ökonomische Atemsteuerung wird in der Gesangspädagogik als wichtiger Baustein einer effektiven Phonation beschrieben. Unterschiede in der Steuerung der Phonationsatmung zwischen Sängerinnen und Sängern werden dabei jedoch kontrovers diskutiert: Während eine Befragung von McCoy und Mitarbeitern an 55 GesangspädagogInnen ergab, dass Sängerinnen ihre Atemarbeit weiter kaudal (hypogastrisch vs. epigastrisch) im Körper wahrnehmen als Sänger [1], konnten Watson und Hixon mittels Magnetometrie keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Atembewegung feststellen [2], [3]. Bisherige Untersuchungen waren auf die äußere Untersuchung der Atembewegung z.B. mittels Ateminduzierter Plethysmographie (Respitracte) oder Magnetometrie reduziert [2], [3], [4], [5]. Da die dynamische Bildgebung der Lunge, welche eine Innenansicht des Körpers ermöglicht, aufgrund von technischen oder ethischen Limitationen bisher nur begrenzt möglich war, mangelt es an quantitativen Untersuchungen, welche die Phonationsatembewegung dynamisch abbilden können. Es ist bisher nur unzureichend bekannt, ob geschlechtsabhängige Unterschiede in der Steuerung der Phonationsatmung bei der Gesangsphonation eine Rolle spielen.

Methoden

Die vorliegende Studie beschreibt die Analyse der Atembewegung von Thorax und Zwerchfell während der Phonation von 7 professionellen Sängerinnen und Sängern (3 ♀, 4 ♂). Diese wurden mittels eines 1.5T MRT (Tim Symphony, Siemens, Erlangen, Germany) in sagittaler und coronarer Schnittbildgebung mit 3 Bildern/Sek. dargestellt. Die Sängerinnen und Sänger wurden gebeten, ausgehaltenen Töne auf verschiedenen Tonhöhen zu phonieren und diese jeweils maximal lange auszuhalten. Des Weiteren wurden sie gebeten, Oktavsprünge auf- und abwärts in verschiedenen Tonhöhenbereichen zu singen.

In jedem Bild wurden dann Distanzen zwischen anatomischen Landmarken vermessen, um die Phonationsatembewegung zu charakterisieren. Dies erfolgte analog zu [6]. Parallel erfolgte die elektroglottographische Kontrolle von Grundfrequenz (ƒo) und Offenquotient (OQ), wie in [7] beschrieben. Zusätzlich wurde die Bestimmung des subglottischen Drucks (psub) und der Lautstärke (SPL) in einer separaten Untersuchung durchgeführt, da dies aus technischen Gründen nicht simultan mit der MRT Untersuchung möglich ist.

Ergebnisse

Bei der Phonation ausgehaltener Töne zeigte sich eine differenzierte Steuerung, wobei Thorax und vordere Zwerchfellanteile zu Beginn der Phonation stärker in inspiratorischer Position gehalten wurden, während sich v.a. hintere Zwerchfellanteile nach kaudal bewegten. Dieses Bewegungsmuster kehrte sich am Ende der Phonation um. Hierbei gab es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Die Analyse der Oktavsprünge zeigte eine kurzfristige Zwerchfell Kontraktion für Abwärtssprünge ebenfalls unabhängig vom Geschlecht (F(6, 391)=0,62, p=0,73, d=0,31) (Abbildung 1 [Abb. 1]), wobei psub and SPL in den durchgeführten Übungen nicht differierten (F(1,69)=0,004, p=0,95, ɳ2<0,01 resp. F(1,69)=,49; p=0,49, ɳ2=0,01). Der OQ unterschied sich jedoch signifikant zwischen Sängerinnen und Sängern (F(1,69)=45,8; p<0,001, ɳ2=0,40, größer bei Sängerinnen) und korrelierte bei Sängerinnen mit der Grundfrequenz (mit zunehmender ƒo, steigend) jedoch bei Sängern nicht (r=0,56; p=0,001 resp. r=0,126, p=0,44).

Unterschiede zeigten sich dagegen im Ausmaß der Thorax- und Zwerchfellbewegung in Relation zur individuellen Ausatembewegung: Hier schöpften Sänger einen größeren Anteil ihrer individuellen Thorax-Bewegung für die Phonation aus, während Sängerinnen dagegen einen größeren Anteil Ihrer Zwerchfellbeweglichkeit ausnutzten (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Diskussion

Grundsätzliche Phonationsatmungsmuster (differenzierte Steuerung von Thorax-Bewegung und Zwerchfellhebung [6], Zwerchfellkontraktion bei Tonsprüngen abwärts [8]) unterscheiden sich nicht signifikant zwischen Sängerinnen und Sängern. Im Kontrast dazu zeigen die Ergebnisse jedoch auch, dass männliche Sänger bei der Phonation maximaler Tonhaltedauern einen, in Relation zu ihrer Zwerchfellbewegung bei maximaler Exspiration, größeren Bewegungsradius im Thorax aufwiesen. Im Vergleich dazu zeigten Sängerinnen wiederum v.a. in ihrem vorderen und mittleren Zwerchfell Anteil eine stärkere Bewegung. Da die Zwerchfellbewegung durch die weitgehende Inkompressibilität der Abdominalorgane häufig auch mit einer Bewegung der Bauchdecke korreliert [9], sollte dies weiter kaudal im Körper wahrgenommen werden als eine Bewegung des Thorax. Damit wären die Ergebnisse kongruent mit der Fragebogenstudie von McCoy [1], welche eine weiter kaudal gelegene Projektion der Atembewegung bei Sängerinnen im Vergleich zu Sängern postulierten.

Ob die beschriebenen Unterschiede auf das Geschlecht oder andere Einflussfaktoren wie Stimmfach oder Köperphysionomie zurückzuführen sind, kann jedoch anhand der hinsichtlich der Anzahl der Sängerinnen und Sänger limitierten Stichprobe noch nicht abschließend evaluiert werden.


Literatur

1.
McCoy S. Breath management: gender-based differences in classical singers. Folia Phoniatr Logop. 2005;57:246-54. DOI: 10.1159/000087078 External link
2.
Watson PJ, Hixon TJ, Stathopoulos ET, Sullivan DR. Respiratory kinematics in female classical singers. J Voice. 1990;4:120-8. DOI: 10.1016/S0892-1997(05)80136-5 External link
3.
Watson PJ, Hixon TJ. Respiratory kinematics in classical (opera) singers. J Speech Hear Res. 1985;28:104-22.
4.
Thomasson M, Sundberg J. Consistency of phonatory breathing patterns in professional operatic singers. J Voice. 1999;13:529-41.
5.
Thomasson M. Effects of lung volume on the glottal voice source and the vertical laryngeal position in male professional opera singers. TMH-QPSR, KTH. 2003;45:1-9.
6.
Traser L, Özen AC, Burk F, et al. Respiratory dynamics in phonation and breathing – A real-time MRI study. Respir Physiol Neurobiol. 2017;236:69-77. DOI: 10.1016/j.resp.2016.11.007 External link
7.
Özen AC, Traser L, Echternach M, et al. Ensuring safety and functionality of electroglottography measurements during dynamic pulmonary MRI. Magn Reson Med. 2015;76:1629-35. DOI: 10.1002/mrm.26037 External link
8.
Traser L, Burk F, Özen A, et al. Untersuchung der Regulation des subglottischen Drucks durch die Atmungsorgane bei Phonation von Tonsprüngen mittels dynamischer Magnetresonanztomographie. In: 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV9.
9.
Hixon TJ, Hoit J. Evaluation and Management of Speech Breathing Disorders: Principles and Methods. Tucson: Redington; 2005.