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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Entwicklung und Validierung des Singing Voice Handicap Index-12

Vortrag

  • author presenting/speaker Sophia Gantner - Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland
  • author Philipp Caffier - Charité Universitätsmedizin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
  • author Peter Hulin - Praxis für Phoniatrie, München, Deutschland
  • author Peter Kummer - Universitätsklinikum Regensburg, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Regensburg, Deutschland
  • corresponding author Anne Lorenz - Regensburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV32

doi: 10.3205/19dgpp48, urn:nbn:de:0183-19dgpp486

Published: September 13, 2019

© 2019 Gantner et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Ziel der Studie war die Entwicklung und Validierung einer deutschsprachigen gekürzten Form des Singing Voice Handicap Index (SVHI). Der SVHI ist ein eindimensionales valides Instrument zur Selbstbeurteilung von Stimmstörungen bei Sängern und umfasst 36 Items. Er wurde ursprünglich für den angloamerikanischen Sprachraum von Cohen et al. (2007) entwickelt und liegt u.a. in einer deutschsprachigen validierten Fassung vor (Lorenz et al. 2013).

Material und Methoden: Der SVHI wurde von 120 Personen mit Stimmstörungen (65% weiblich, 35% männlich), im Alter von 8–77 Jahren beantwortet. Aus den 12 Items mit den höchsten korrigierten Item-Total-Korrelationen wurde die gekürzte Version (SVHI-12) erstellt und einer Reliabilitäts- und Validitätsprüfung unterzogen. Es wurden 97 Sänger mit Stimmstörungen (64% weiblich, 36% männlich), Patienten zweier phoniatrischer Kliniken und einer phoniatrischen Praxis, im Test-Retest-Verfahren befragt. Die Kontrollgruppe setzte sich aus 105 stimmgesunden Sängern verschiedener Gesangsstile (65% weiblich, 35% männlich) zusammen.

Ergebnisse: Der SVHI-12 erzielte eine gute interne Konsistenz (Cronbachs α = 0,93) und Intra-Klassen-Korrelation (ICC 0,94; p<0,001) mit guter Test-Retest-Reliabilität und zeitlicher Stabilität. Mit einer mittleren Differenz von 10 Punktwerten erzielten die Patienten verglichen mit der Kontrollgruppe gesunder Sänger einen signifikant höheren Gesamtscore.

Der SVHI-Gesamtscore korreliert signifikant positiv mit dem vom Patienten angegebenen Schweregrad der Stimmstörung (r=0,71; p≤0,001; Pearson-Korrelation).

Fazit: Mit dem SVHI-12 steht ein valides und effektives Instrument zur Erfassung von Stimmstörungen bei Sängern für den deutschsprachigen Raum zur Verfügung.


Text

Hintergrund

Der Singing Voice Handicap Index (SVHI) ist ein eindimensionales valides Instrument zur Selbstbeurteilung von Stimmstörungen bei Sängern und umfasst 36 Items. Jedes Item kann auf einer 5-stufigen Likert Skala mit den Abstufungen nie (0), fast nie (1), manchmal (2), fast immer (3) und immer (4) bewertet werden. Je höher der Gesamtscore, desto höher ist die Beeinträchtigung hinsichtlich der emotionalen, physischen, sozialen und ökonomischen Situation des Sängers durch seine Stimmstörung. Der Fragebogen wurde ursprünglich für den angloamerikanischen Sprachraum von Cohen et al. [1] entwickelt und liegt u.a. in einer deutschsprachigen validierten Fassung vor [2]. Mit der Intention, die Befragung beispielsweise bei wiederholter Vorstellung eines Patienten zu vereinfachen und zeitlich ökonomisch zu optimieren, entwickelte Cohen et al. [3] eine auf 10 Items gekürzte Version des SVHI (SVHI-10).

Ziel dieser Studie war die Entwicklung und Validierung einer deutschsprachigen gekürzten Fassung des Singing Voice Handicap Index (SVHI).

Material und Methoden

Der SVHI wurde von 120 Personen mit Stimmstörungen (65% weiblich, 35% männlich), im Alter von 8–77 Jahren beantwortet. Aus den Items mit den höchsten korrigierten Item-Total-Korrelationen wurde eine gekürzte Version des Fragebogens erstellt und einer Reliabilitäts- und Validitätsprüfung unterzogen.

Dazu wurden 97 SängerInnen mit Stimmstörungen (64% weiblich, 36% männlich, Alter 42,5,1±15,2 Jahre), Patienten zweier phoniatrischer Kliniken und einer phoniatrischen Praxis, im Test-Retest-Verfahren befragt. Die Kontrollgruppe setzte sich aus 105 stimmgesunden SängerInnen verschiedener Gesangsstile (65% weiblich, 35% männlich, Alter 45,1±13,5 Jahre) zusammen. Die SängerInnen eines Rundfunkchors, eines Theaterchors, eines Musicalensembles, eines Musicalstudiengangs und eines Laienchors wurden ebenso im Test-Retest-Verfahren befragt. Zudem wurden soziodemographische Daten der Sänger wie Alter, Geschlecht, Diagnose, Einkommen durch das Singen, Gesangsstil, Gesangsausbildung, Stimmgattung und Sängerstatus erhoben.

Ein weiteres Ziel der Studie war es, die Validität anhand von Zusammenhängen mit der Selbsteinschätzung des Störungsgrads der Singstimme durch die Sänger selbst zu überprüfen. Die globale Selbsteinschätzungsskala reicht von 0 – keine, über 1 – geringgradige, 2 – mittelgradige bis 3 – hochgradige Stimmstörung. Zur Überprüfung der Dimensionalität der Skala wurde eine Faktorenanalyse durchgeführt.

Ergebnisse

Diejenigen Items, deren korrigierte Item-Total-Korrelationen über einem Cut-off-Wert von 0.6 lagen und deren Inhalte relevant und repräsentativ für den Fragebogen erschienen, wurden in die Kurzform des Fragebogens aufgenommen. Somit beinhaltet die gekürzte deutschsprachige Fassung 12 Items (SVHI-12). Durch die Aufsummierung der Punktwerte der einzelnen Items resultiert ein Gesamtscore zwischen 0 und 48.

Der SVHI-12 erzielte für die Gesamtstichprobe eine gute interne Konsistenz (Cronbachs α = 0,93) und Intra-Klassen-Korrelation (ICC 0,88; p<0,001) mit guter Test-Retest-Reliabilität und zeitlicher Stabilität. Die Rücklaufquote des Retest-Fragebogens betrug bei der Patientengruppe 53,6% und bei der Kontrollgruppe 92,4%.

Mit einer mittleren Differenz von 10 Punktwerten erzielten die Patienten verglichen mit der Kontrollgruppe gesunder Sänger einen signifikant höheren Gesamtscore (Mann-Whitney-U-Test: U=2233,0, p<0,001).

Der SVHI-Gesamtscore korreliert signifikant positiv mit dem vom Patienten angegebenen Schweregrad der Stimmstörung (r=0,68; p≤0,001; Spearman-Korrelation). Die Ergebnisse einer Faktorenanalyse weisen auch bei der gekürzten Version auf eine eindimensionale Struktur hin. Es wird ein Faktor mit einem Eigenwert größer eins extrahiert, der für die Gesamtstichprobe 63.5% der Varianz aufklärt.

Aus einer Receiver Operating Characteristic (ROC)-Analyse kann abgeleitet werden, dass Gesamtscores >22 Punkte mit einer Sensitivität von 89% und einer Spezifität von 78% auf eine Stimmstörung hinweisen (Youden-Index 0,671, AUC 0,873, 95%-Konfidenzintervall 0,750–0,996).

Diskussion

Lorenz et. al. [2] konnten zeigen, dass die validierte deutschsprachige Fassung des SVHI als einfaktorielle Skala interpretiert werden kann. Somit konnte die Kürzung der Skala in Anlehnung an das Verfahren von Cohen et al. [3] mittels korrigierter Item-Total-Korrelationen und Cut-off-Wert erfolgen. 12 Items erfüllen diese Kriterien, wobei sechs Items des deutschsprachigen Kurzfragebogens auch Teil des englischsprachigen SVHI-10 sind.

Insgesamt erweist sich der SVHI-12 hinsichtlich der psychometrischen Eigenschaften als vergleichbar zum deutschsprachigen SVHI und zum US-amerikanischen SVHI-10. Dies bedeutet, dass der Kurzfragebogen das Ausgangsinstrument gut repräsentieren kann.

Für die Interpretation des resultierenden SVHI-12-Gesamtscores wäre eine Unterteilung in mehrere Schweregrade hilfreich, um die vom Patienten selbst wahrgenommene Beeinträchtigung durch seine Stimmstörung einordnen zu können. Die Erstellung einer solchen Einteilung in unterschiedliche Beeinträchtigungsgrade könnte in anschließenden Untersuchungen erfolgen.

Eine weitere wesentliche Eigenschaft von Selbstbeurteilungsinstrumenten ist die Änderungssensitivität. Zukünftige Untersuchungen könnten zeigen, ob der SVHI-12 die Fähigkeit besitzt, in einem Beobachtungszeitraum aufgetretene Veränderungen wiederzugeben. Dies wäre insbesondere für die Bewertung von Therapieergebnissen von Bedeutung.

Schlussfolgerung

Mit dem SVHI-12 steht ein valides und effektives Instrument zur Erfassung von Stimmstörungen bei Sängern für den deutschsprachigen Raum zur Verfügung.


Literatur

1.
Cohen SM, Jacobson BH, Garrett CG, Noordzij JP, Stewart MG, Attia A, et al. Creation and validation of the Singing Voice Handicap Index. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2007;116(6):402-6.
2.
Lorenz A, Kleber B, Buttner M, Fuchs M, Murbe D, Richter B, et al. Validation of the German version of the Singing Voice Handicap Index. HNO. 2013;61(8):699-706.
3.
Cohen SM, Statham M, Rosen CA, Zullo T. Development and validation of the Singing Voice Handicap-10. Laryngoscope. 2009;119(9):1864-9.