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36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

19.09. - 22.09.2019, Göttingen

Fähigkeit des Richtungshörens bei Kindern mit Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Andrea Decker - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • Andrea Bohnert - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland
  • Katharina Schmidt - Institut für Hörtechnik und Audiologie (IHA), Jade Hochschule, Oldenburg, Deutschland
  • Karsten Plotz - Institut für Hörtechnik und Audiologie (IHA), Jade Hochschule, Oldenburg, Deutschland
  • Anne Katrin Läßig - Abteilung Kommunikationsstörungen, Klinik für HNO-Heilkunde, Universitätsmedizin Mainz, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 36. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Göttingen, 19.-22.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocV9

doi: 10.3205/19dgpp12, urn:nbn:de:0183-19dgpp127

Published: September 13, 2019

© 2019 Decker et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Bisher gibt es kaum einheitliche Messabläufe zur Überprüfung der Fähigkeit der Richtungslokalisation bei Kindern mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS). Laut Leitlinie (2015) soll dies jedoch immer während einer AVWS-Diagnostik erfolgen. Häufig wird hierfür der Mainzer Kindertisch mit fünf sichtbaren Lautsprechern verwendet. Dadurch ist eine Winkelauflösung von nur 45° gegeben, so dass die Detektion häufig bei 100% liegt und kaum Auffälligkeiten aufweist. Dies gab den Anlass, das Richtungshörvermögen von Kindern, welche sich einer AVWS-Diagnostik unterziehen, genauer zu betrachten.

Material und Methoden: Bisher wurden 73 Kinder und Jugendliche (Alter: 5–16 Jahre, Median: 9,2 Jahre, 34 ♀, 39 ♂), die mit der Verdachtsdiagnose AVWS zur weiterführenden Diagnostik vorgestellt wurden, in die Studie eingeschlossen. In 17 Fällen wurde eine AVWS diagnostiziert. Bei 5 Kindern im auditiven (29%) und bei 12 Kindern im auditiv-sprachlichen Bereich (71%). Pathologisch dabei waren das dichotische Hören (DTU/DTF), Hören im Störgeräusch (OLKiSA/OLSA), Hörgedächtnis (K-ABC/Mottier) und die Phonemdifferenzierung (HVS/H-LAD).

Getestet wurde das Richtungshören mit dem ERKI-Setup, basierend auf dem Mainzer-Kindertisch. Abgefragt wurden insgesamt 13 Schallquellen (fünf reale, acht virtuelle, erzeugt durch Lautsprecherpegeldifferenzen, Winkelauflösung 15° im Bereich ±90°, dreimalige Wiederholung). Als Stimulus diente Rosa Rauschen (Länge 300ms, 65dB SPL, Pegelroving ±5dB).

Ergebnisse: Einem Großteil der Kinder fiel die Geräuschlokalisation schwer. Eine nahezu fehlerfreie Lokalisationsfähigkeit wiesen nur 36,5% der Kinder auf. Darunter vier Kinder mit diagnostizierter AVWS. Besonders auffällig waren zwei wiederkehrende Muster, die unter allen 73 Kindern auftraten. 20,5% der Kinder zeigte eine Lokalisation der lateralen sowie der frontalen Darbietungen (0°, ±45°) und 23% der Kinder war es nur möglich, alle realen Lautsprecher zu lokalisieren (0°, ±45°, ±90°).

Diskussion: Auf eine höhere Winkelauflösung wurde aufgrund der zeitintensiven AVWS-Diagnostik beim ersten Besuch verzichtet. Eine Kontrollmessung mit einer Winkelauflösung von 5° wird momentan mit allen Kindern an einem zweiten separaten Termin durchgeführt.

Fazit: Diese Studie zeigt, dass die Richtungslokalisationsüberprüfung bei Kindern mit der Verdachtsdiagnose AVWS mittels hoher Winkelauflösung sinnvoll ist. Mögliche Zusammenhänge zwischen diagnostizierten AVWS-Merkmalen und auffälligen Lokalisationsmustern müssen genauer untersucht werden.


Text

Hintergrund

Bisher gibt es kaum einheitliche Messabläufe zur Überprüfung der Fähigkeit der Richtungslokalisation bei Kindern mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS). Laut Leitlinie (2015) soll eine Testung jedoch immer im Rahmen einer AVWS-Diagnostik erfolgen. Häufig wird hierfür der Mainzer Kindertisch mit fünf sichtbaren Lautsprechern verwendet. Dadurch ist eine Winkelauflösung von nur 45° gegeben, so dass die Detektionsrate häufig bei 100% liegt und kaum Auffälligkeiten aufweist. Dies gab den Anlass, das Richtungshörvermögen von Kindern, welche sich einer AVWS-Diagnostik unterziehen, genauer mittels des ERKI-Verfahrens (Erfassen des Richtungshörens bei Kindern nach Plotz et al. [1]) zu betrachten.

Material und Methoden

Der Mainzer Kindertisch (Abbildung 1 [Abb. 1]) ist die Basis des ERKI-Setups. Insgesamt werden fünf reale Schallquellen innerhalb des Aufbaus verwendet. Mit dem ERKI-Setup können weitere 32 virtuelle Schallquellen erzeugt werden und somit sind insgesamt 37 Schallquellen mit einer Auflösung von 5° vorhanden. Für diese Studie wurden insgesamt 13 Schallquellen in randomisierter Reihenfolge dreimalig abgefragt. Von diesen Schallquellen waren fünf real und acht virtuell. Diese wurden durch Lautsprecherpegeldifferenzen (LSLD) erzeugt. Die Winkelauflösung beträgt 15° im Bereich ±90°. Als Stimulus diente Rosa Rauschen (Länge 300ms, 65dB SPL, Pegelroving ±5dB). Jeder Proband absolvierte vor der Hauptmessung einen Testdurchlauf, welcher aus neun Winkeldarbietungen besteht (0°, ±15°, ±30°, ±45° und ±60°). Auf eine höhere Winkelauflösung von 5° wurde aufgrund der zeitintensiven AVWS-Diagnostik innerhalb des ersten Vorstellungstermins verzichtet.

Probanden

Bisher wurden 87 Kinder und Jugendliche (Alter: 5–16 Jahre, Median: 9,1 Jahre, 39 ♀, 48 ♂), die mit der Verdachtsdiagnose AVWS zur weiterführenden AWVS-Diagnostik vorgestellt wurden, in die Studie eingeschlossen. Getestet wurde bei allen Kindern das Richtungshören mit dem ERKI-Setup. In insgesamt 19 Fällen wurde nach ausführlicher Diagnostik eine AVWS diagnostiziert.

Ergebnisse

In insgesamt 19 von 87 Fällen (22%) wurde eine AVWS diagnostiziert. Davon zeigten fünf Kinder eine defizitäre Wahrnehmung und Verarbeitung im auditiven Bereich (6%) und 14 Kinder im auditiv-sprachlichen Bereich (16%). Vielen Kindern dieser Population fiel die Lokalisation der Schallquellen besonders schwer.

Eine nahezu fehlerfreie Lokalisationsfähigkeit wiesen nur 35,6% der Kinder auf, darunter auch fünf Kinder mit diagnostizierter AVWS (mit Pathologien im dichotischen Hören (DTU/DTF), Hören im Störgeräusch (OLKiSA/OLSA), Hörgedächtnis (K-ABC/Mottier), Phonemdifferenzierung (HVS/H-LAD)). Weiteren 19,5% der Kinder war eine Lokalisation mit größerer Streuung möglich.

Besonders auffällig waren zwei wiederkehrende Muster (Abbildung 2 [Abb. 2], Gruppe 2 und 3). 21,9% der Kinder zeigten eine Lokalisation der lateralen sowie der frontalen Darbietungen (0°, ±45°), darunter befinden sich fünf Kinder mit diagnostizierter AVWS. 23% der Kinder, davon auch sechs Kinder mit diagnostizierter AVWS, war es nur möglich, alle realen Lautsprecher zu lokalisieren (0°, ±45°, ±90°).

Tabelle 1 [Tab. 1]

Einige Kinder konnten an einem weiteren Termin mittels einer höheren Winkelauflösung von 5°, also insgesamt 37 Winkeln in einem Bereich von ±90°, nachgetestet werden. Dabei zeigte sich bei allen Kindern ein identisches Lokalisationsverhalten, wie bei der ersten Testung mit geringerer Winkelauflösung.

Fazit

Die Richtungslokalisationsüberprüfung bei Kindern mit der Verdachtsdiagnose AVWS ist in jedem Fall sinnvoll und sollte mittels hoher Winkelauflösung erfolgen, da viele Kinder Winkelabstände von 45° gut unterscheiden können und dadurch ein unauffälliges Ergebnis produzieren.

Mögliche Zusammenhänge zwischen diagnostizierten AVWS-Merkmalen und auffälligen Lokalisationsmustern müssen im weiteren Verlauf genauer untersucht werden. Die Studie wird weitergeführt, um anhand einer größeren Stichprobe genauere Aussagen treffen zu können u.a. mit zusätzlicher Testung bei einer Winkelauflösung von 5°.


Literatur

1.
Plotz K, Schmidt K. Lokalisation realer und virtueller Schallquellen mit einem automatisierten Erweiterungsmodul am Mainzer-Kindertisch – Entwicklung des ERKI-Verfahrens. Z Audiol. 2017;56(1):6-18.