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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Zusammenhang von Parametern der Sprechstimme mit Persönlichkeit und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Thomas Berger - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Tanja Poulain - LIFE Forschungszentrum, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Wieland Kiess - Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Sektion Phoniatrie und Audiologie, Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV39

doi: 10.3205/18dgpp55, urn:nbn:de:0183-18dgpp558

Published: September 14, 2018

© 2018 Berger et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Kinder und Jugendliche wirken mit dem Klang und der Leistungsfähigkeit ihrer Stimme auf andere Personen und werden anhand stimmlicher Parameter bezüglich ihrer Persönlichkeit bewertet. Bei Kindern beschränken sich bisherige Studien auf Zusammenhänge zwischen klinisch auffälligen Merkmalen der Stimme (z.B. Stimmlippenstörungen) oder des Verhaltens (z.B. Hyperaktivitätsstörung). Zusammenhänge zwischen Stimme und Persönlichkeit normal entwickelter Kinder sind noch nicht erforscht.

Material und Methoden: In der LIFE Child-Studie wurden zwischen 2011–2015 Daten zur Sprechstimme der teilnehmenden Kinder erhoben. Durch das Vorhandensein von Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeitsprofilen der gleichen Kinder ist es möglich, Zusammenhänge zwischen stimmlichen Parametern und diesen Profilen herzustellen.

Insgesamt wurden Daten von 871 Kindern zwischen 7–14 Jahren ausgewertet. Es wurden anhand linearer Regressionsanalysen nach Assoziationen zwischen der Intensität und der Frequenz von 4 verschiedenen Intensitätsstufen der Sprechstimme mit dem Fragebogen zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen bei Kindern (FKKK) sowie dem SDQ-Fragebogen (Strengths and Difficulties Questionnaire) zur Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten und -stärken bei Kindern und Jugendlichen geschaut.

Ergebnisse: Es zeigte sich eine signifikant positive Assoziation (p<.001) zwischen der Extraversion und der Lautstärke für alle untersuchten Intensitätsstufen. Zusätzlich konnte eine signifikant negative Assoziation (p=.004) zwischen der emotionalen Stabilität und der Lautstärke für die Vortragsstimme und die Rufstimme nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten und -stärken ergab sich eine signifikant positive Assoziation (p=.002) zwischen Kinder mit Problemen im Umgang mit gleichaltrigen Gruppen sowie der Intensität der Gespräch- und Vortragsstimme. Ebenso zeigte sich eine signifikant positive Assoziation (p=.015) bei Kindern mit Prosoziales Verhalten und der Intensität der Gesprächsstimme. Hinsichtlich der Einflüsse der untersuchten Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeitsprofile auf die Frequenz der Sprechstimme ergaben sich keine signifikanten Assoziationen.

Diskussion: Extrovertiertere Kinder neigen dazu lauter zu sprechen als weniger extrovertierte, während emotional stabilere Kinder ihre Sprechstimme insgesamt weniger intensiv benutzen.

Zudem zeigt sich sowohl bei Kindern mit Problemen im Umgang mit gleichaltrigen Gruppen als auch bei Kindern mit proszialem Verhalten, dass diese ihre Sprechstimme lauter einsetzen.


Text

Hintergrund

Kinder und Jugendliche wirken mit dem Klang und der Leistungsfähigkeit ihrer Stimme auf andere Personen und werden anhand stimmlicher Parameter bezüglich ihrer Persönlichkeit bewertet. Stimmstörungen können einen negativen Effekt auf die soziale Integration und das Selbstbewusstsein von betroffenen Kindern bewirken. Als Ursache für die Entstehung von stimmlichen Auffälligkeiten wie Heiserkeit, funktioneller Dysphonie oder der Entstehung von Stimmknötchen werden Verhaltensauffälligkeiten und bestimmte Persönlichkeitsparameter als Faktoren diskutiert. Hier wurde zum Beispiel eine positive Verbindung zwischen Hyperaktivität und der Entwicklung von Stimmknötchen gefunden als auch die Neigung zum stimmlichen Missbrauch bei extrovertierten Kindern beschrieben [1], [2]. Zusammenhänge zwischen Parametern der Sprechstimme mit Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensmustern normal entwickelter Kinder sind noch nicht erforscht.

Material und Methoden

In der LIFE Child-Studie wurden zwischen 2011–2015 Daten zur Sprechstimme der teilnehmenden Kinder erhoben. Durch das Vorhandensein von Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeitsprofilen der gleichen Kinder ist es möglich, Zusammenhänge zwischen stimmlichen Parametern und diesen Profilen herzustellen.

Insgesamt wurden Daten von 871 Kindern zwischen 7–14 Jahren ausgewertet. Es wurden anhand linearer Regressionsanalysen nach Assoziationen zwischen der Intensität und der Frequenz von 4 verschiedenen Intensitätsstufen der Sprechstimme mit dem Fragebogen zu Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen bei Kindern (FKKK) sowie dem SDQ-Fragebogen (Strengths and Difficulties Questionnaire) zur Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten und -stärken bei Kindern und Jugendlichen geschaut. Mit Hilfe des FKKK können (1) das generalisierte Selbstkonzept eigener Fähigkeiten, (2) Internalität in generalisierten Kontrollüberzeugungen, (3) sozial bedingte Externalität und (4) fatalistische Externalität bei Jugendlichen und Erwachsenen erfasst werden. Die vier Aspekte werden im Fragebogen zu vier Primärskalen mit je acht Items zusammengefasst. Die Auswertung der Primärskalen ermöglicht eine differenzierte Beurteilung über die Kompetenz- und Kontrollüberzeugungen der Kinder. Mit Hilfe des SDQ-Fragebogen gelingt die Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten und -stärken bei Kindern und Jugendlichen. Der SDQ besteht aus fünf Einzelskalen mit jeweils fünf Merkmalen: Emotionale Probleme, Hyperaktivität/Aufmerksamkeitsprobleme, Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen, Verhaltensauffälligkeiten und Prosoziales Verhalten. Die Bewertung der Items erfolgt dreistufig durch: 0 = nicht zutreffend / 1 = teilweise zutreffend / 2 = eindeutig zutreffend [3].

Ergebnisse

Es zeigte sich eine signifikant positive Assoziation (p < .001) zwischen der Extraversion und der Lautstärke für alle untersuchten Intensitätsstufen. So ergab sich für Kinder mit einem Extraversions-Score von 10 eine Lautstärke von 75,6 dB für die Rufstimme, während Kinder mit einem Extraversions-Score von 40 ihre Rufstimme mit 83,9 dB nutzten (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Zusätzlich konnte eine signifikant negative Assoziation (p = .004) zwischen der emotionalen Stabilität und der Lautstärke für die Vortragsstimme und die Rufstimme nachgewiesen werden (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Hinsichtlich der Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten und -stärken ergab sich eine signifikant positive Assoziation (p = .002) zwischen Kinder mit Problemen im Umgang mit gleichaltrigen Gruppen sowie der Intensität der Gespräch- und Vortragsstimme. Ebenso zeigte sich eine signifikant positive Assoziation (p = .015) bei Kindern mit Prosoziales Verhalten und gewissenhaften Kindern und der Intensität der Gesprächsstimme. Hinsichtlich der Einflüsse der untersuchten Persönlichkeits- und Verhaltensauffälligkeitsprofile auf die Frequenz der Sprechstimme ergaben sich keine signifikanten Assoziationen.

Diskussion

Die Ergebnisse bestätigen einen vermuteten Zusammenhang zwischen Parametern der Sprechstimme mit Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensmustern normal entwickelter Kinder. Die Daten zeigen, dass extrovertierte Kinder dazu neigen lauter zu sprechen als weniger extrovertierte. Damit bekräftigen diese Ergebnisse vorangegangener Studien, die eine positive Assoziation zwischen Extraversion und stimmliche Überbeanspruchung aufzeigen konnten [4], [5]. Interessanterweise ergab sich eine negative Assoziation zwischen der emotionalen Stabilität als auch der Gewissenhaftigkeit und der Lautstärke für die Vortragsstimme und die Rufstimme. Emotionale Stabilität beinhaltet die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Emotionen. Emotional stabile Personen zeigen ausgeglichene und wenig sprunghafte emotionale Reaktionen. Dies scheint sich auch auf den Gebrauch der Sprechstimme auszuwirken. Im Gegensatz zur Intensität ergaben sich in unserer Kohorte, dass die Frequenz weniger beeinflussbar und mutmaßlich stärker biologisch determiniert ist, da sich für die Frequenz der 4 verschiedenen Intensitätsstufen der Sprechstimme keine erkennbaren Korrelationen mit den untersuchten Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensmustern der Kinder aufzeigten.

Fazit

Verschiedene Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltensmuster haben Einfluss auf den Stimmgebrauch der Sprechstimme bei Kindern. Extrovertierte Kinder, Kinder mit prosoziales Verhalten und Kinder, die Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen haben, neigen dazu tendenziell lauter reden. Während gewissenhafte Kinder und Kinder mit einem hohen Maß an emotionalen Stabilität ihre Stimme weniger laut verwenden.


Literatur

1.
Hirschberg J, Dejonckere PH, Hirano M, Mori K, Schultz-Coulon HJ, Vrtička K. Voice disorders in children. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 1995;32:S109-S125. DOI: 10.1016/0165-5876(94)01149-R External link
2.
Dejonckere PH. Voice problems in children: Pathogenesis and diagnosis. International Journal of Pediatric Otorhinolaryngology. 1999;49:311-314. DOI: 10.1016/S0165-5876(99)00230-X External link
3.
Goodman R. The Strengths and Difficulties Questionnaire: a research note. J Child Psychol Psychiatry. 1997;38(5):581-586.
4.
Roy N, Holt KI, Redmond S, Muntz H. Behavioral Characteristics of Children With Vocal Fold Nodules. J Voice. 2007;21(2):157-168. DOI:10.1016/j.jvoice.2005.11.004 External link
5.
Roy N, Bless DM, Heisey D. Personality and voice disorders: A multitrait-multidisorder analysis. J Voice. 2000;14(4):521-548. DOI: 10.1016/S0892-1997(00)80009-0 External link