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4. Dreiländertagung D-A-CH
35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 23.09.2018, Innsbruck, Österreich

Klinische und pathophysiologische Aspekte der Dysphagie bei Myositis und ihre therapeutische Relevanz

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Heidrun Schröter-Morasch - Klinik für Frührehabilitation und Physikalische Medizin, Städtisches Klinikum München GmbH Klinikum Bogenhausen, München, Deutschland
  • author Eva Liebmann - Klinik für Frührehabilitation und Physikalische Medizin, Städtisches Klinikum München GmbH Klinikum Bogenhausen, München, Deutschland
  • author Hubertus Feussner - Chirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der TU, München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie. Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie. 4. Dreiländertagung D-A-CH, 35. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Innsbruck, Österreich, 20.-23.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocV20

doi: 10.3205/18dgpp29, urn:nbn:de:0183-18dgpp295

Published: September 14, 2018

© 2018 Schröter-Morasch et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Mit steigender Lebenserwartung treten neben Tumoren auch neurodegenerative und muskuläre Erkrankungen zunehmend häufiger auf. Zu diesen Erkrankungen gehören die Myositiden, eine Gruppe entzündlicher Muskelerkrankungen: die Dermatomyositis (DM), die Polymyositis (PM) und die Einschlusskörperchenmyositis (IBM). Sie werden im Wesentlichen jenseits des 50. Lebensjahres diagnostiziert und sind durch Muskelschwäche, aber auch durch systemische Manifestationen, z.B. kardiale und pulmonale Affektionen gekennzeichnet. Sind dabei oropharyngeale und ösophageale Muskulatur involviert, können Schluckstörungen resultieren, am häufigsten bei der IBM (bei bis zu 86% der Patienten).

Im Verlauf können sich schwerste Beeinträchtigungen entwickeln, die zur Vermeidung einer Mangelernährung und lebensbedrohlicher Aspirationspneumonien einer non-oralen Ernährung bedürfen.

Material und Methoden: Bisherig liegen überwiegend klinische, videofluoroskopische, manometrische und histologische Untersuchungen vor. Videoendoskopische Untersuchungen der Schluckfunktion finden sich nur vereinzelt.

In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden die klinischen, videoendoskopischen und videofluoroskopischen Daten von 14 Patienten mit Myositis erhoben und nach evaluierten Scores ausgewertet.

Ergebnisse: In der videoendoskopischen Untersuchung fanden sich typischerweise hypopharyngeale, symmetrische Residuen von Speichel, Sekret, Nahrung und Flüssigkeiten mit der Gefahr des Überlaufs in den Aditus laryngis. Die videofluoroskopische Analyse ergab ein differenziertes Bild der Beeinträchtigungen von pharyngealer Konstriktion und der Funktion des OÖS. Die pharyngealen Residuen erhöhten insbesondere beim Nachschlucken das Risiko für eine intradeglutitive Penetration/Aspiration.

Diskussion: Es zeigte sich, dass es sich bei myositisbedingter Dysphagie nicht nur um eine pharyngeale Transportstörung von Nahrung und Flüssigkeit, sondern auch von Speichel und Sekret handelt sowie ein multifaktorielles Geschehen.

Fazit: Daraus folgt, dass bei Patienten mit Dysphagie bei Myositis sowohl eine videoendoskopische als auch eine videofluoroskopische Abklärung erforderlich ist, um eine an den pathophysiologischen Ursachen orientierte Therapie zu ermöglichen:

  • gezielte Kräftigung erhaltener muskulärer Strukturen,
  • Vermittlung geeigneter kompensatorischer und adaptiver Strategien, einschließlich Speichelmanagement,
  • Indikationsstellung von Botoxbehandlung/Bougierung des Oberen Ösophagussphinkters/Myotomie, PEG.

Text

Hintergrund

Mit steigender Lebenserwartung treten neben Tumoren auch neurodegenerative und muskuläre Erkrankungen zunehmend häufiger auf. Zu diesen Erkrankungen gehören die Myositiden, eine Gruppe entzündlicher autoimmunvermittelter Muskelerkrankungen, welche sich bis auf die Dermatomyositis, die schon bei Kindern und Jugendlichen auftreten kann, jenseits des 50. Lebensjahres entwickeln [1]. Sie sind durch Muskelschwäche, aber auch durch systemische Manifestationen, z. B. kardiale und pulmonale Affektionen gekennzeichnet. Sind dabei oropharyngeale und ösophageale Muskulatur involviert, können Schluckstörungen resultieren, am häufigsten angegeben bei der Einschlusskörperchenmyositis IBM (bei bis zu 86% der Patienten), gefolgt von der Polymyositis PM (30–60%) und der Dermatomyositis DM (18–20%) [2]. Ebenso werden Dysphagien bei der nekrotisierenden Myositis genannt. Im Verlauf können sich schwerste Beeinträchtigungen entwickeln, die zur Vermeidung einer Mangelernährung und lebensbedrohlicher Aspirationspneumonien einer non-oralen Ernährung bedürfen.

Bisher liegen überwiegend klinische, videofluoroskopische, manometrische und histologische Untersuchungen vor [3], [4]. Beschreibungen videoendoskopischer Untersuchungen mit Ruhe- und Funktionsprüfungen inklusive Schluckproben bei Myositispatienten finden sich bisher nur vereinzelt in der Literatur [5], [6].

Untersuchung

In der vorliegenden retrospektiven Studie wurden die klinischen, videoendoskopischen und videofluoroskopischen Daten von 14 Patienten (10w, 4m) mit Myositis erhoben (4 DM, 2 PM, 3 IBM, 5 mit V.a. IBM) welche zwischen 2003 und 2014 wegen Schluckbeschwerden untersucht wurden. Das mittlere Alter betrug zum Untersuchungszeitpunkt 72,07 Jahre (R: 50–84). Mittels der klinischen Untersuchung wurden neben anamnestischen Erhebungen und der Klinischen Schluckuntersuchung der Dysphagieschweregrad anhand des Bogenhausener Dysphagiescores (BODS) [7] und der Ernährungszustand (Nutricional Risk Screening NRS) [8] erfasst. Die videoendoskopischen Befunde wurden hinsichtlich der Fähigkeit des Abschluckens von Speichel und Sekret sowie Nahrung unterschiedlicher Konsistenz und Menge analysiert. Die Schweregradbeurteilung erfolgte durch den Penetration-Aspiration-Scale (PAS, Rosenbek et al. 1996) sowie einer Einschätzung der Residuen in 4 Stufen. Die Analyse der videofluoroskopischen Befunde erfasste anatomische Besonderheiten, die orale Boluskontrolle, die Schluckreflexauslösung, den velopharyngealen Abschluss, den Zungenbasis-Rachenkontakt, die pharyngeale Konstriktion, die laryngeale Elevation und die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) sowie hypopharyngeale Residuen. Penetration und Aspiration wurden ebenfalls nach dem PAS beurteilt.

Ergebnisse

Klinische Untersuchung: Neben Angaben über stärkere Verschleimung sowie häufiges Räuspern und Husten wurde ein erschwertes Schlucken von festen (100%), breiigen (64,3%), flüssigen (85,7%) Konsistenzen festgestellt, ein Steckenbleiben von Nahrung im Hals mit der Notwendigkeit vielfachen Nachschluckens bzw. Nachtrinkens und ein erhöhter Zeitbedarf bei der Nahrungsaufnahme. Der Beginn der Dysphagie nach Diagnosestellung ‚Myositis‘ variierte zwischen wenigen Tagen und mehreren Jahren ohne signifikanten Zusammenhang zwischen der Schwere der Dysphagie und der Dauer der Erkrankung.

Die Einzelbewertungen nach dem BODS zeigten für Speichel und Nahrung überwiegend nur leichte bis mäßiggradige Störungen an. 1 Patient wies im Rahmen eines akuten Krankheitsereignisses eine schwerste Störung mit der Notwendigkeit einer Tracheotomie und des Einsatzes einer geblockten Trachealkanüle auf. 3 Patienten mussten über eine PEG-Sonde bzw. parenteral ernährt werden. Demgegenüber zeigten die hohen Werte des NRS eine überraschend ausgeprägte Beeinträchtigung des Ernährungszustandes, es lagen bei allen 14 Patienten Zeichen der Mangelernährung vor. Diese bestand sowohl in Fällen mit angegebenem Gewichtsverlust (im Mittel 6,5 kg) als auch bei den 5 Patienten, welche keinen Gewichtsverlust bemerkt hatten.

In der videoendoskopischen Untersuchung fanden sich bei 10 Patienten hypopharyngeale Residuen von Speichel und Sekret, 3 Patienten wiesen eine laryngeale Speichelpenetration mit unterschiedlicher Eindringtiefe auf, einmalig war eine Aspiration ohne adäquate Reinigung beobachtbar.

Ebenso zeigten sich in der Überprüfung mit Nahrung bei fast allen Patienten (11 Pat.) hypopharyngeale Residuen unterschiedlicher Lokalisation und Menge. Auch Penetrationen (6 Pat.) und Aspirationen (2 Pat.) wurden beobachtet, Reinigungsmanöver waren überwiegend effektiv. Entsprechend niedrig zeigten sich die PAS Werte (zwischen 1 und 2), nur 3 Patienten zeigten Werte zwischen 4 und 6, lediglich einmal trat ein Wert von 8 bei breiiger Konsistenz auf (diese Patientin wurde schon mehrere Monate über eine PEG ernährt).

Die videofluoroskopische Analyse von 13 Fällen ergab im Wesentlichen bei 10 Patienten einen unvollständigen Zungenbasis-Rachenabschluss, bei 12 Patienten eine Störung der Pharynxkontraktion und bei 9 Patienten eine reduzierte Larynxelevation. 11 Patienten wiesen eine mittel- bis hochgradige Störung der Funktion des OÖS auf, mit Hypertrophie und Prominenz in 6 Fällen, bei 2 Patienten verbunden mit einem Zenkerschen Divertikel. Zwischen der Öffnungsstörung des OÖS und der Larynxelevation bestand bei allen Konsistenzen kein signifikanter Zusammenhang. Während der Schluckprüfungen traten Leaking und Pooling nur in geringem Grade auf, ebenso intradeglutitive Penetration und Aspiration. Der PAS zeigte bei 7 von 13 Patienten Werte von 1–2, in 5 Fällen Werte zwischen 4 und 6. Auffallend waren jedoch bei allen Patienten massive postdeglutitive hypopharyngeale Residuen, welche beim Nachschlucken in 3 Fällen zur Aspiration führten. Ferner verblieben postdeglutitiv orale Residuen im Bereich des Zungenrückens und der Zungenbasis.

Bei 40% (4 Pat.) differierten die Schweregradeinschätzungen von Videoendoskopie und Videofluoroskopie erheblich: Jeweils 2 Patienten wiesen Penetration und Aspiration nur in einer der beiden Untersuchungen auf.

Diskussion

Unsere Ergebnisse bestätigen die bisher beschriebenen pathophysiologischen Charakteristika myositisbedingter Dysphagien: Störungen der pharyngealen Phase, bedingt durch reduzierte Zungenbasisretraktion, verminderte Pharynxkontraktion und Larynxelevation sowie eine Störung der Öffnung des OÖS mit der Folge massiver hypopharyngealer Residuen, welche nach unseren Beobachtungen ein Aspirationsrisiko beim Nachschlucken darstellten. Noch immer wird diskutiert, ob die Sphinkteröffnungsstörung als eigenständige Funktionsbeeinträchtigung des OÖS anzusehen ist oder als Folge einer reduzierten Aktivität der suprahyoidalen Muskulatur mit verminderter laryngealer Elevation. Da die Sphinkteröffnungsstörung bei allen unseren Patienten vorhanden war, nicht jedoch die Beeinträchtigung der Kehlkopfelevation, kann eine eigenständige OÖS Störung angenommen werden [6]. Darüber hinaus zeigen die Befunde der videoendoskopischen Untersuchung, dass es sich bei myositisbedingter Dysphagie nicht nur um eine pharyngeale Transportstörung von Nahrung und Flüssigkeit, sondern auch von Speichel und Sekret handelt. Dadurch ist die Gefahr aspirationsbedingter pulmonaler Komplikationen gegeben und kann als Mitursache für das beschriebene erhöhte Risiko an Pneumonien bei Myositis angesehen werden. Die Diskrepanz zwischen überwiegend niedrigen Störungsschweregraden (BODS, PAS) und der bestehenden Mangelernährung weist auf die Notwendigkeit hin, auch die Effektivität und den Zeitbedarf der Nahrungsaufnahme bei der Einschätzung der Patienten stärker zu berücksichtigen, insbesondere bei älteren Patienten.

Fazit

Daraus folgt, dass bei Patienten mit myositisbedingter Dysphagie sowohl die videofluoroskopische als auch die videoendoskopische Abklärung als komplementäre Untersuchungsmethoden erforderlich sind, ggfs. unter Einbeziehung manometrischer Untersuchungen, um eine an den pathophysiologischen Ursachen orientierte Therapie zu ermöglichen:

  • Optimierung von Speichelmanagement und Ernährung,
  • gezielte Kräftigung erhaltener muskulärer Strukturen,
  • Vermittlung geeigneter kompensatorischer und adaptiver Strategien, sowie
  • eine zeitgerechte Indikationsstellung einer Myotomie des OÖS, evtl. auch von Botoxbehandlung oder Bougierung.

Literatur

1.
Schmidt J. Current Classification and Management of Inflammatory Myopathies. J Neuromuscul Dis. 2018;5(2):109-129. DOI: 10.3233/JND-180308 External link
2.
Mulcahy KP, Langdon PC, Mastaglia F. Dysphagia in inflammatory myopathy: self-report, incidence, and prevalence. Dysphagia. 2012 Mar;27(1):64-9. DOI: 10.1007/s00455-011-9338-0 External link
3.
Oh TH, Brumfield KA, Hoskin TL, Kasperbauer JL, Basford JR. Dysphagia in inclusion body myositis: clinical features, management, and clinical outcome. Am J Phys Med Rehabil. 2008 Nov;87(11):883-9. DOI: 10.1097/PHM.0b013e31818a50e2 External link
4.
Cox FM, Verschuuren JJ, Verbist BM, Niks EH, Wintzen AR, Badrising UA. Detecting dysphagia in inclusion body myositis. J Neurol. 2009 Dec;256(12):2009-13. DOI: 10.1007/s00415-009-5229-9 External link
5.
Chinoy H, Cooper RG, editors. Myositis. Oxford: Oxford University Press; 2018. DOI: 10.1093/med/9780198754121.003.0010 External link
6.
Olthoff A, Carstens PO, Zhang S, von Fintel E, Friede T, Lotz J, Frahm J, Schmidt J. Evaluation of dysphagia by novel real-time MRI. Neurology. 2016 Nov;87(20):2132-2138. DOI: 10.1212/WNL.0000000000003337 External link
7.
Starrost U, Bartolome G, Schröter-Morasch H, Ziegler W, Fussenegger C, Marano C, Krischock Y, Schilling B. Der Bogenhausener Dysphagiescore BODS: Inhaltsvalidität und Reliabilität. Dysphagieforum. 2012;(2):10-12.
8.
Kondrup J, Allison SP, Elia M, Vellas B, Plauth M. ESPEN guidelines for nutrition screening 2002. Clin Nutr. 2003 Aug;22(4):415-21.