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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Aktuelle deutschsprachige Apps in der logopädischen Therapie kindlicher Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen. Evaluation und Anwendbarkeit in der logopädischen Praxis

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Anne Schützenberger - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Christopher Bohr - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Stephan Dürr - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
  • author Valentin Hartmann - Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Hals-Nasen-Ohren-Klinik Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV42

doi: 10.3205/17dgpp60, urn:nbn:de:0183-17dgpp600

Published: August 30, 2017

© 2017 Schützenberger et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Seit Anbruch des Informationszeitalters revolutionieren neue technische Errungenschaften die Welt in unterschiedlichen Bereichen. Diese allgemeine Entwicklung kann auch in der Sprachtherapie festgestellt werden. Besonders in der Behandlung neurogener Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen ist die computergestützte Sprachtherapie bereits etabliert. Der Einsatz von computergestützten Technologien, insbesondere Apps, in der Kindersprachtherapie wurde bisher noch kaum evaluiert.

Material und Methoden: Im Rahmen dieser Studie wurden 26 deutschsprachige Apps nach bestimmten Kriterien analysiert. Darüber hinaus wurde eine Online-Umfrage durchgeführt, die via Email an 3034 Logopädinnen und Logopäden verschickt wurde und an der 250 Logopädinnen und Logopäden dann teilgenommen haben.

Ergebnisse: Die Umfrage zeigte, dass Apps bisher nur selten in der Kindersprachtherapie eingesetzt werden.

Sie zeigte jedoch auch, dass großes Interesse an Apps für die Kindersprachtherapie besteht und dass mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnahmeran der Umfrage dafür plädierten Apps therapiebegleitend in der Kindersprachtherapie einzusetzen.

Diskussion: Es gibt noch kaum Studien zur Effektivität von Apps in der Kindersprachtherapie. Es konnte jedoch gute Feedbacksysteme und eine verbesserte Selbstkontrolle vor allem bei der Lautbildung und der phonologischen Bewusstheit gezeigt werden.

Chancen bei Einsatz von Apps in der Kindersprachtherapie sind: Medien faszinieren und begeistern Kinder, sie verbessern dadurch die Motivation, grafische Visualisierung kann helfen, bieten auditive und visuelle Feedbacksysteme und ermöglichen Verlaufskontrolle und Protokolle.

Logopäden wären zum großen Teil bereit Apps in der Therapie mitzuverwenden.

Fazit: Apps könne in der Behandlung kindlicher Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen sinnvoll therapieergänzend eingesetzt werden. Die logopädische Therapie bei Kindern kann vor allem davon profitieren, dass die Therapiemotivation gesteigert, gute Feedbacksysteme geboten und das selbstständige Üben der Kinder verbessert werden kann.


Text

Einleitung

Seit Anbruch des Informationszeitalters revolutionieren neue technische Errungenschaften die Welt in unterschiedlichen Bereichen.

Digitale Medien wie Fernseher, Computer und Smartphones sind längst fester Bestandteil des Alltags von Kindern. Diese allgemeine Entwicklung kann auch in der Sprachtherapie festgestellt werden. Besonders in der Behandlung neurogener Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen ist die computergestützte Sprachtherapie bereits etabliert.

In Deutschland liegt die Prävalenz einer Sprachentwicklungsstörung bei Kindern zwischen dem 4. Und 6. Lebensjahr bei 6%–15% [1], [2].

Der Einsatz von computergestützten Technologien, insbesondere Apps, in der Kindersprachtherapie wurde bisher noch kaum evaluiert.

Ziele dieser Arbeit sind:

  • Erhebung eines aktuellen Meinungsbildes der Logopäden zu dem Thema Einsatz mobiler Apps in der Kindersprachtherapie
  • Evaluation der am Markt bereits vorhandenen Apps bezüglich der Zielgruppe, der Kosten und des zu therapierenden Störungsbildes

Material und Methode

Es wurden 26 deutschsprachige Apps ausgewählt, die mittels mobiler Tablets in der logopädischen Kindersprachtherapie eingesetzt werden können. Die Auswahl der Apps erfolgte durch eine subjektive Einschätzung des Untersuchers. Auswahlkriterien waren dabei die logopädische Relevanz, die Anwendbarkeit in der Kindersprachtherapie und die Qualität.

Der Online-Fragebogen zum Einsatz mobiler Apps in der Kindersprachtherapie wurde mit Hilfe einer Umfrage-Software der Firma „enuvo GmbH“ erstellt und an insgesamt 3034 Logopädinnen und Logopäden via Email verschickt. Die Emailadressen wurden der Internetseite des Bundesverbandes für Logopädie e.V. [3] entnommen.

Der Online-Fragebogen beinhaltete Fragen zu Alter, Geschlecht und Berufserfahrung der Teilnehmer. Außerdem wurde erfragt, wie viele Kinder pro Jahr in der Praxis behandelt werden und welche der hier ausgewählten Apps in der Kindersprachtherapie eingesetzt werden.

250 der angeschriebenen Personen haben an der Umfrage teilgenommen.

Ergebnisse

Analyse der Apps

Von den 26 ausgewählten Apps hatten 85% (22) ausschließlich Kinder als Zielgruppe. 13 Apps waren nur im Apple App Store, 6 nur im Google Play Store und 7 bei beiden Anbietern erhältlich. 6 Apps sind kostenlos erhältlich, 20 Apps kosten zwischen 1,49 € und 49,99 €.

10 der ausgewählten Apps verfügen neben der Vollversion auch über eine kostenlose Lite-Version.

Bei der Zuordnung der Apps zu den zu behandelnden Diagnosen (Diagnoseschlüsseln) können 22 Apps dem Diagnoseschlüssel SP1, 2 Apps dem Diagnoseschlüssel SP2 und 2 Apps dem Diagnoseschlüssel SP3 zugeordnet werden.

Die Apps sind in verschiedenen Therapiebereichen einsetzbar. Die meisten Apps fanden dabei in den Bereichen Phonologie/Phonetik, Semantik/Lexikon und Morphologie/Syntax ihren Einsatzbereich.

In dem einmonatigen Untersuchungszeitraum haben 264 LogopädInnen an der Online-Umfrage teilgenommen. Insgesamt konnten die Daten von 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgewertet werden. An der Umfrage nahmen 230 Frauen und 20 Männer teil. Sie waren zwischen 22 und 65 Jahre alt und arbeiteten zwischen 0,5 und 40 Jahren in ihrem Beruf. 57% der Teilnehmer gaben an über 100 Kinder im Jahr zu behandeln.

Am häufigsten nutzten Teilnehmer die Apps Lexico Verstehen (38 Teilnehmer) und Lexico Kasus (26 Teilnehmer). Darüber hinaus wurden auch Apps verwendet, die nicht Gegenstand des Fragebogens waren. 67% der Teilnehmer gaben an nie Apps in der Kindersprachtherapie zu verwenden, lediglich 10% mehrfach wöchentlich. 42% der Umfrageteilnehmer stimmten zu, dass mobile Apps verstärkt in der Kindersprachtherapie eingesetzt werden sollten, ab einem Alter von 5 Jahren (30%). Diese Meinung ist unabhängig vom Alter der Befragten.

Diskussion

Es gibt noch kaum Studien zur Effektivität von Apps in der Kindersprachtherapie. Studien zur Effektivität von Apps in der logopädischen Therapie existieren überwiegend im Bereich der Aphasietherapie, der Behandlung von sprechmotorischen Störungen oder Redeflussstörungen [4]. Es konnten jedoch gute Feedbacksysteme und eine verbesserte Selbstkontrolle vor allem bei der Lautbildung und der phonologischen Bewusstheit gezeigt werden [5].

Die Online-Umfrage zeigt, dass der Einsatz von Apps in der Kindersprachtherapie nach wie vor sehr umstritten ist. Auch in der Fachliteratur wird diskutiert welche Auswirkungen der Einsatz von computergestützten Technologien auf die Entwicklung von Kindern hat.

Kinder sind in Ihrem heutigen Alltag ständig mit digitalen Medien konfrontiert. Medien faszinieren und begeistern Kinder und können vielfältige Bildungschancen eröffnen [6].

Bilda verweist auf computergestützte Biofeedbackverfahren, die in der Therapie kindlicher Sprechstörungen eingesetzt werden können. Kinder können so zu einer besseren Mitarbeit motiviert werden [7].

Dennoch birgt der Einsatz von Apps in der Kindersprachtherapie sicherlich auch Risiken. Es besteht die Gefahr, dass durch eine starke Fokussierung der Therapie auf Technologien die Beziehung zwischen Patienten und Therapeuten leidet [7].

Darüber hinaus wird der zu frühe Medieneinsatz auch generell kritische gesehen. Digitale Medien schaden der allgemeinen kognitiven, motorischen und psychischen Entwicklung [8].

Logopäden wären zum großen Teil bereit Apps in der Therapie mitzuverwenden.

Fazit

Apps können in der Behandlung kindlicher Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen ergänzend in der logopädischen Therapie eingesetzt werden. Die Therapie bei Kindern kann vor allem davon profitieren, dass die Therapiemotivation gesteigert, gute Feedbacksysteme geboten und das selbstständige Üben der Kinder verbessert werden kann. Dennoch müssen Risiken des Einsatzes von digitalen Medien in der Therapie bei Kindern mit berücksichtigt werden.


Literatur

1.
Sachse S. Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. In: v Suchodoletz W, Hrsg. Früherkennung von Entwicklungsstörungen. Göttingen: Hogrefe; 2005. S. 155-89.
2.
Tröster H, Reineke D. Prävalenz von Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten im Kindergartenalter. Kindheit und Entwicklung. 2007;16(3):171-9. DOI: 10.1026/0942-5403.16.3.171 External link
3.
Deutscher Bundesverband für Logopädie [Homepage]. Available from: https://www.dbl-ev.de/ External link
4.
Starke A, Mühlhaus, J. Evidenzanspruch in der Anwendung von Applikationen in der Sprachtherapie. In: Bilda K, Mühlhaus J, Ritter, U, Hrsg. Neue Technologien in der Sprachtherapie. Stuttgart: Thieme; 2017. S. 110-6.
5.
Römer A, Willmes K, Kröger BJ. Erprobung des audiovisuellen Feedbackprogrammes CoKo (computergestützte Sprechkorrektor) in der Sigmatismustherapie. Sprache Stimme Gehör. 2009;33(4):186-92. DOI: 10.1055/s-0029-1242742 External link
6.
Eder S, Roboom S. Kamera, Tablet & Co Im Bildungseinsatz. In: Lauffer J, Röllecke R, Hrsg. Krippe, Kita, Kinderzimmer: Medienpädagogik von Anfang an: medienpädagogische Konzepte und Perspektiven, Beiträge aus Forschung und Praxis, prämierte Medienprojekte. München: kopaed;2016. S. 25-35.
7.
Bilda K, Mühlhaus J, Ritterfeld U, Hrsg. Neue Technologien in der Sprachtherapie. Stuttgart: Thieme; 2017. S. 20-34.
8.
Spitzer M. Digitale Demenz: wie wir unsere Kinder um den Verstand bringen. München: Droemer; 2012.