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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Effektivität einer Follow-Up-II-Einrichtung (NHS) nach Umstrukturierung bei steigender Patientenzahl (2014–2016)

Vortrag

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  • author presenting/speaker Nicola Fink - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • author Eugen Zaretsky - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • author Almut Goeze - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • corresponding author Christiane Hey - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV21

doi: 10.3205/17dgpp35, urn:nbn:de:0183-17dgpp350

Published: August 30, 2017

© 2017 Fink et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: In Mittel- und Nordhessen stieg seit 2014 der Bedarf nach einem Follow-Up eines auffälligen Neugeborenen-Hörscreenings (NHS). Dies erforderte bei gleichbleibendem Personalstand eine Umstrukturierung der größten Follow-Up-II-Einrichtung (Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKGM Marburg) zur Gewährleistung der Forderungen nach GBA-Beschluss vom 19.06.2008.

Material und Methoden: Im Zeitraum 2014–2016 wurden 1150 Neugeborene untersucht.

Zielparameter pro Jahr waren Anzahl der untersuchten Neugeborenen, Alter (in Median) bei Erstvorstellung bzw. zum Zeitpunkt der Diagnose und des Therapiebeginns sowie Anzahl der notwendigen Besuche bis Diagnosefindung. Zusätzlich erfasst wurden die Lost-to-Follow-up-Raten.

Mittels Kruskal-Wallis H-Tests wurde das Erstvorstellungs- sowie Diagnosealter abhängig vom Erstvorstellungsjahr geprüft, via Mann-Whitney U-Test, ob die Diagnoseart Einfluss auf das Diagnosealter hat.

Ergebnisse: Von 2014 bis 2016 stieg die Anzahl der Neugeborenen von 358 auf 465 (um 29,9%).

Im gleichen Zeitraum sank das Erstvorstellungs- bzw. das Diagnosealter im Median signifikant von 7,4 auf 5,0 bzw. von 8,1 auf 5,4 Wochen (ps<.001). Die Zahl der erforderlichen Besuche bis Diagnosestellung blieb konstant bei 1,2 bzw. 1,3 pro Säugling. Die Lost-to-Follow-up-Raten sind numerisch von 6,2% auf 4,5% gesunken. Neugeborene ohne Hörstörung (91,1%) wurden signifikant früher diagnostiziert als Hörgestörte: 6,4 vs. 13,2 Wochen (p<.001), wobei das Diagnosealter bis 2016 nur bei Unauffälligen bzw. einseitig Hörgestörten gesenkt werden konnte. 48,4% der hörgestörten Neugeborenen erhielten ihre Diagnose vor Ende des 3. Lebensmonat, 82,1% den Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats.

Diskussion: Trotz steigender Patientenzahl sank insgesamt das Erstvorstellungsalter. Darüber hinaus sank auch das Diagnosealter, außer bei beidseitig Hörgestörten. Hier stieg das Diagnosealter auf 16,4 Wochen, vergleichbar mit dem bundesweiten Median im Jahr 2012 (4 Monate). Der prozentuale Anteil der Hörgestörten mit Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats im Jahr 2016 lag mit 78,6% über über dem bundesweiten Schnitt von 54,2% im Jahr 2012. Ein Anstieg der dafür nötigen Besuche fand sich nicht.

Fazit: Dank einer erfolgreichen Sprechstundenumstrukturierung konnten trotz steigender Patientenzahl bei gleich bleibendem Personalstand mit einem mittleren Therapiebeginn von 16,4 Wochen die Forderungen des GBA-Beschlusses vom 19.06.2008 eingehalten werden.


Text

Hintergrund

Ziel des zum 01.01.2009 eingeführten Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) ist die Diagnose einer Hörstörung bis Ende des 3. Lebensmonats und Therapiebeginn bis Ende des 6. Lebensmonats [1]. Nur wenige Studien analysieren die Effektivität einer Follow-Up-Einrichtung [2], [3].

Die vorliegende Studie bewertet das Follow-Up in der größten Follow-Up-II-Einrichtung von Mittel- und Nordhessen (Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Standort Marburg) von Erstvorstellung bis zur Diagnose einer Hörstörung bzw. Einleitung einer Therapie im Zeitraum 2014–2016.

Material und Methode

Im o.g. Zeitraum wurden in der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie 1155 Neugeborene im Rahmen des Neugeborenen-Hörscreenings (Follow-up II) untersucht.

Zielparameter pro Jahr waren die Anzahl der untersuchten Neugeborenen, das Alter (in Median) bei Erstvorstellung in der Klinik bzw. zum Zeitpunkt der Diagnose und des Therapiebeginns sowie Anzahl der Besuche bis zur Diagnosefindung. Zusätzlich erfasst wurden die Lost-to-Follow-up-Raten und Dauer der Diagnosestellung, berechnet anhand des Zeitabstandes zwischen Erstvorstellung bis endgültiger Diagnose (permanente Hörstörung, passagere Hörstörung und periphere Normakusis). Mittels Kruskal-Wallis H-Tests wurde das Erstvorstellungs- sowie Diagnosealter abhängig vom Erstvorstellungsjahr geprüft. Via Mann-Whitney U-Test wurde untersucht, ob die Diagnoseart Einfluss auf das Diagnosealter hat. Weiterhin wurde geprüft, inwieweit Vorgaben zum Diagnose- und Therapiealter eingehalten wurden.

Ergebnisse

Von den insgesamt 1155 Neugeborenen erhielten an Diagnose: 961 (83,2%) periphere Normakusis, 62 (5,4%) passagere Hörstörung, 98 (8,5%) permanente Hörstörung (85 (7,4%) sensorineural; 10 (0,9%) konduktiv; 3 (0,3%) kombiniert; 29 (2,5%) unilateral; 69 (6,0%) bilateral).

Von 2014 bis 2016 stieg die Anzahl der jährlich untersuchten Neugeborenen von 358 auf 465 um 29,9%.

Im gleichen Zeitraum sank das Erstvorstellungsalter im Median signifikant von 7,4 auf 5,0 (χ2(2)=33,01, p<0,001) und das Diagnosealter im Median von 7,4 auf 5,0 (χ2(2)=33,01, p<0,001). Im Median wurden insgesamt über die drei Jahre Neugeborene ohne Hörstörung (91,3%) signifikant früher diagnostiziert als die Hörgestörten: 6,4 vs. 13,2 Wochen (U=22.858,5, Z=–8,91, p<0,001). Das Diagnosealter konnte bis 2016 nur bei Unauffälligen (von im Median 7,6 auf 5,1 Wochen) bzw. einseitig Hörgestörten (von 12,6 auf 12,0) gesenkt werden, während bei beidseitig Hörgestörten dieser Wert in demselben Zeitraum von 12,7 auf 16,4 Wochen anstieg.

Das Diagnosealter der Neugeborenen mit passagerer Hörstörung lag im Median über drei Jahre mit 22,1 Wochen deutlich höher als das der Neugeborenen, bei denen direkt eine Normakusis diagnostiziert werden konnte (6,1 Wochen): U=4417,0, Z=–11,25, p<0,001. Dabei sank das Diagnosealter bei Neugeborenen mit direkt diagnostizierter Normakusis von 2014 bis 2016 von 7,3 auf 4,7 Wochen, bei denen mit passagerer Hörstörung von 37,7 auf 21,6 Wochen.

Die Dauer bis zur Diagnosestellung betrug bei Neugeborenen mit peripherer Normakusis, unabhängig davon, ob solche mit passagerer Hörstörung inkludiert werden, in allen drei Jahren im Median null Tage. Betrachtet man die 62 Neugeborenen mit einer passageren Hörstörung isoliert, so sank die Dauer von 164,0 auf 71,0 Tage, für solche mit einer permanenten Hörstörung stieg sie dagegen von 31,0 auf 34,0 Tage.

Die Zahl der erforderlichen Besuche bis zur endgültigen Diagnosestellung blieb insgesamt konstant bei 1,2 bzw. 1,3 Besuchen pro Neugeborenes. Neugeborene mit passagerer Hörstörung wiesen die höchste Anzahl an Besuchen auf (3,0), gefolgt von Neugeborenen mit permanenter Hörstörung (2,0) und solchen mit direkt peripherer Normakusis (1,1). Die Anzahl der notwendigen Besuche unterschied sich damit in Abhängigkeit von der Diagnose signifikant (χ2(2)=689,8, p<0,001). Die Lost-to-Follow-up-Rate sank insgesamt von 6,2% auf 4,5% allerdings nur numerisch. 48,4% der permanent hörgestörten Neugeborenen erhielten ihre Diagnose vor Ende des 3. Lebensmonats, bei 82,1% erfolgte der Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats.

Diskussion

Im Zeitraum von 2014 bis 2016 konnten die Zielvorgaben der Kinderrichtlinien zum Neugeborenen-Hörscreening von der untersuchten Follow-Up-II-Einrichtung weitestgehend erfüllt werden. Trotz steigender Patientenzahl um 29,9% und infolgedessen steigendem Erstvorstellungs- und Diagnosealter erfüllte das Diagnosealter einer Hörstörung mit 16,4 Wochen die gesetzlichen Vorgaben und war vergleichbar mit dem bundesweiten Median von vier Monaten im Jahr 2012 [4]. Der prozentuale Anteil der Hörgestörten mit Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats im Jahr 2016 lag mit 78,6% über dem bundesweiten Schnitt von 54,2% im Jahr 2012 [4]. Ein Anstieg der nötigen Besuche fand sich dagegen nicht.

Fazit

Dank einer erfolgreichen Sprechstundenumstrukturierung konnten trotz steigender Patientenzahl bei gleichbleibendem Personalstand mit einem mittleren Therapiebeginn von 16,4 Wochen die Forderungen des GBA-Beschlusses vom 19.06.2008 eingehalten werden.


Literatur

1.
Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinien: Einführung eines Neugeborenen-Hörscreenings. 19.06.2008. Available from: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-681/2008-06-19-Kinder-H%C3%B6rscreening_BAnz.pdf External link
2.
Korres S, Nikolopoulos TP, Peraki EE, Tsiakou M, Karakitsou M, Apostolopoulos N, Economides J, Balatsouras D, Ferekidis E. Outcomes and efficacy of newborn hearing screening: strengths and weaknesses (success or failure?). Laryngoscope. 2008 Jul;118(7):1253-6. DOI: 10.1097/MLG.0b013e31816d726c External link
3.
Ravi R, Gunjawate DR, Yerraguntla K, Lewis LE, Driscoll C, Rajashekhar B. Follow-up in newborn hearing screening - A systematic review. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2016 Nov;90:29-36. DOI: 10.1016/j.ijporl.2016.08.016 External link
4.
Nennstiel-Ratzel U, Brockow I, Söhl K, Zirngibl A, am Zehnhoff-Dinnesen A, Matulat P, et al. Endbericht zur Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings 2011/2012. Oberschleißheim: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit; 2017.