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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Eingeschränktes Hören im Störschall und im dichotischen Hörtest als Frühsymptome einer zentralen Pathologie – Falldarstellung

Poster

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocP6

doi: 10.3205/17dgpp19, urn:nbn:de:0183-17dgpp196

Published: August 30, 2017

© 2017 Tillmanns et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Auffälligkeiten beim Hören im Störschall und im binauralen Hören treten häufig bei auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen auf. Selten können sie auch Symptom einer zentralen Pathologie sein, wie in diesem Fall beschrieben.

Material und Methoden: Ein zehnjähriger Junge wurde vorgestellt, der initial über eine neu aufgetretene Hörstörung auf dem rechten Ohr, ohne Tinnitus, Schwindel oder Schmerzen klagte. Ein Tonaudiogramm beim HNO-Arzt zeigte rechts einen Hochtonabfall ab 4000 Hz um bis zu 45 dB bei 10000 Hz. Bei subjektiver Verschlechterung erfolgte eine erste pädaudiologische Untersuchung, die bei Normakusis links eine geringgradige Anhebung der Hörschwelle rechts ab 1000 Hz auf 15–25 dB zeigte und im Sprachaudiogramm bei 40 dB rechts 80%, links 100% Verstehen. Jedoch war das Sprachverstehen im Störschall bei 65 dB Nutz- und 60 dB Störschall mit 30% stark eingeschränkt und im dichotischen Test nach Uttenweiler zeigte sich rechts bei 60 dB 0% und bei 70 dB 10% Sprachdiskrimination, links jeweils 100%.

Ergebnisse: Bei Verschlechterung der Hörschwelle um 5–15 dB und intermittierend diffusem Schwindel im Verlauf wurde ein Schädel-MRT veranlasst. Ein 4,3 x 5,3 x 4 cm messender Tumor des Kleinhirnbrückenwinkels mit Pellotierung des Hirnstammes und wahrscheinlicher Affektion der Hörbahn (Nervus cochlearis, Nucleus cochlearis, Ncll. olivares superiores) wurde festgestellt. Nach subtotaler Entfernung wurde ein pilozytisches Astrozytom diagnostiziert. Die Tonschwellenaudiometrie besserte sich postoperativ frequenzabhängig um 5–30 dB, bei subjektiv gleichbleibender Hörstörung. Die weitere onkologische Therapie wird nach MRT-Verlaufskontrolle geplant, eine audiologische Verlaufskontrolle mit Untersuchung des binauralen Hörens steht daher noch aus.

Diskussion: Höchstwahrscheinlich war die gezeigte Hörstörung ein Frühsymptom der Tumorerkrankung durch Kompression der Hörbahn. Ähnliche Fälle sind beschrieben [1]. Auch bei geringgradiger Anhebung der Hörschwelle im Tonschwellenaudiogramm sind insbesondere bei Auffälligkeiten in der auditiven Selektion und dem dichotischen Hören engmaschige pädaudiologische Kontrolluntersuchungen erforderlich und weitere diagnostische Maßnahmen einzuleiten.


Text

Einleitung

Auffälligkeiten beim Hören im Störschall und im binauralen Hören treten häufig bei auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen und bei peripheren Hörstörungen auf. Selten können sie auch Symptom einer zentralen Pathologie sein, wie in diesem Fall beschrieben.

Material und Methoden

Ein zehnjähriger Junge wurde vorgestellt, der initial über eine neu aufgetretene Hörstörung auf dem rechten Ohr, ohne Tinnitus, Schwindel oder Schmerzen klagte. Ein Tonaudiogramm beim HNO-Arzt zeigte rechts einen Hochtonabfall ab 4000 Hz um bis zu 45 dB bei 10000 Hz. Bei subjektiver Verschlechterung erfolgte eine erste pädaudiologische Untersuchung, die bei Normakusis links eine geringgradige Anhebung der Hörschwelle rechts ab 1000 Hz auf 15–25 dB zeigte und im Sprachaudiogramm bei 40 dB rechts 80%, links 100% Verstehen. Jedoch war das Sprachverstehen im Störschall mit 30% bei 65 dB Nutz- und 60 dB Störschall stark eingeschränkt und im dichotischen Test nach Uttenweiler zeigte sich rechts bei 60 dB 0% und bei 70 dB 10% Sprachdiskrimination, links jeweils 100%.

Ergebnisse

Bei Verschlechterung der Hörschwelle um 5–15 dB und intermittierend diffusem Schwindel im Verlauf wurde ein Schädel-MRT veranlasst. Ein 4,3 x 5,3 x 4 cm messender Tumor des Kleinhirnbrückenwinkels mit Pellotierung des Hirnstammes und wahrscheinlicher Affektion der Hörbahn (Nervus cochlearis, Nucleus cochlearis, Ncll. olivares superiores) wurde festgestellt. Nach subtotaler Entfernung wurde ein pilozytisches Astrozytom diagnostiziert. Die Tonschwellenaudiometrie besserte sich postoperativ frequenzabhängig um 5–30 dB, bei subjektiv gleichbleibender Hörstörung. Eine MRT-Verlaufskontrolle 2 Monate nach OP zeigte einen stabilen Befund, eine audiologische Verlaufskontrolle 2,5 Monate nach OP zeigte bei vollkommen beschwerdefreiem Patient eine beidseitige periphere Normakusis mit rechts bei 250–6000 Hz 5–10 dB und bei 8000 Hz 15 dB, links bei 250–8000 Hz 5–10 dB SPL HL. Auch der dichotische Hörtest und das Hören im Störschall waren jetzt vollständig unauffällig. Aufgrund dessen wurde keine weitere Therapie geplant, sondern eine Beobachtung des individuellen Verlaufs unter engmaschigen radiologischen Verlaufskontrollen vereinbart.

Diskussion

Höchstwahrscheinlich war die gezeigte Hörstörung ein Frühsymptom der Tumorerkrankung durch Kompression der Hörbahn im Hirnstamm. Ähnliche Fälle sind beschrieben bei Kompression der Nuclei cochleares, der Olivenkomplexes oder des Lemniscus lateralis [1]. Schwerhörigkeit ist ein häufiges Symptom von Kleinhirn-Brückenwinkel-Tumoren, das zwar in der Mehrzahl der Fälle von anderen Symptomen begleitet wird, allerdings auch isoliert vorkommen kann [2], [3]. Aufgrund dessen sind auch bei fehlender oder geringgradiger Anhebung der Hörschwelle im Tonschwellenaudiogramm insbesondere bei anamnestischen Hinweisen, disproportionalen Ergebnissen oder Auffälligkeiten in der auditiven Selektion und dem dichotischen Hören engmaschige audiologische Kontrolluntersuchungen erforderlich. Vor allem dichotische Hörtests, Maskierungspegeldifferenz und die Hirnstammaudiometrie können für die Diagnose hilfreich sein, wobei sie für die Lokalisierung der Störung nicht ausreichend geeignet sind [1]. Bei Auffälligkeiten sollten weitere diagnostische Maßnahmen eingeleitet werden. In der Literatur werden leicht variierende Algorithmen zur Indikationsstellung für ein MRT vorgeschlagen, einerseits bei einer Seitendifferenz von >15 dB bei 0.5–3 kHz [1], andererseits bei einer Differenz vor allem bei 1, 2 und 4 kHz [4], zudem natürlich bei anderen Hinweisen auf eine retrocochleäre Hörstörung oder hirnstammtypischen Symptomen.


Literatur

1.
Celesia GG. Hearing disorders in brainstem lesions. Handb Clin Neurol. 2015;129:509-36. DOI: 10.1016/B978-0-444-62630-1.00029-9 External link
2.
Holman MA, Schmitt WR, Carlson ML, Driscoll CL, Beatty CW, Link MJ. Pediatric cerebellopontine angle and internal auditory canal tumors: clinical article.. J Neurosurg Pediatr. 2013 Oct;12(4):317-24. DOI: 10.3171/2013.6.PEDS1383 External link
3.
Voordecker P, Brunko E, de Beyl Z. Selective unilateral absence or attenuationmof wave V of brain-stem auditory evoked potentials with intrinsic brain-stem lesions. Arch Neurol. 1988 Nov;45(11):1272-6.
4.
Metselaar M, Demirtas G, van Immerzeel T, van der Schroeff M. Evaluation of Magnetic Resonance Imaging Diagnostic Approaches for Vestibular Schwannoma Based on Hearing Threshold Differences Between Ears: Added Value of Auditory Brainstem Responses. Otol Neurotol. 2015 Dec;36(10):1610-5. DOI: 10.1097/MAO.0000000000000876 External link