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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Psychische Gesundheit schwerhöriger Patienten am Beispiel depressiver Erkrankungen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Kathleen Tretbar - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Mona Abdel-Hamid - Universitätsmedizin, Georg-August-Universität, Göttingen, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Sylvia Meuret - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV8

doi: 10.3205/17dgpp10, urn:nbn:de:0183-17dgpp105

Published: August 30, 2017

© 2017 Tretbar et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Etwa jeder Fünfte in Deutschland ist schwerhörig [4]. Jeder Neunte wird in seinem Leben an mindestens einer depressiven Episode erkranken [2]. Die Wahrscheinlichkeit als schwerhöriger Mensch an einer depressiven Episode zu erkranken, ist im Vergleich zu Hörenden erhöht [7], [5]. Es gibt jedoch nur eine geringe Zahl an spezialisierten Psychotherapieangeboten für Menschen mit einer Hörbehinderung sowie internationale wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Material und Methoden: Das Beck-Depressions-Inventar (BDI, [3]) wurde an 114 Probanden im Rahmen der Voruntersuchung für ein Cochlea Implantat ausgeteilt und selbstständig von ihnen ausgefüllt. Einschlusskriterien waren eine diagnostizierte Hörbehinderung und ein ausreichendes Schriftsprachverständnis. Ausgeschlossen wurden Probanden mit schwerwiegenden kognitiven Defiziten. Es nahmen 50 männliche sowie 64 weibliche Probanden zwischen 18 und 86 Jahren teil. Die Teilnehmer wurden hinsichtlich dem WHO-Grad ihrer Schwerhörigkeit in drei Gruppen eingeteilt: (a) Einseitige Taubheit (1 Ohr Grad 4; anderes Ohr Grad 0/1) – N=14, (b) Asymmetrische Schwerhörigkeit (1 Ohr Grad 4, anderes Ohr Grad 2/3) – N= 32, (c) Hochgradig an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (beide Ohren Grad 4) – N=68.

Ergebnisse: Die höchsten BDI-Werte wiesen Frauen, Probanden bis 64 Jahre und Probanden der Gruppen (b) und (c) auf. Die Angaben in diesen Untersuchungsgruppen deuten auf eine milde bis mäßige Ausprägung depressiver Symptome hin.

Fazit: Diese Erkenntnisse decken sich mit der internationalen wissenschaftlichen Datenlage. In der psychologischen und ärztlichen Arbeit mit hörbehinderten Menschen sollten diese Risikofaktoren, zur möglichen Einleitung einer psychologischen Intervention, Beachtung finden.


Text

Einleitung

Etwa jeder Fünfte in Deutschland ist schwerhörig [4]. Jeder Neunte wird in seinem Leben an mindestens einer depressiven Episode erkranken [2]. Die Wahrscheinlichkeit als schwerhöriger Mensch an einer depressiven Episode zu erkranken, ist im Vergleich zu Normalhörenden erhöht [5], [7]. Verschiedene Faktoren (z.B. Alter, Geschlecht, Versorgung mit einem Hörsystem) haben einen Einfluss auf die Entwicklung depressiver Symptome bei Menschen mit einer Hörminderung [1], [6]. Es gibt jedoch nur eine geringe Zahl an spezialisierten Psychotherapieangeboten für Menschen mit einer Hörbehinderung sowie internationale wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Methode

Das Beck-Depressions-Inventar (BDI, [3]) wurde an 114 Probanden im Rahmen der Voruntersuchung für ein Cochlea Implantat ausgehändigt und selbstständig von ihnen ausgefüllt. Einschlusskriterien waren eine diagnostizierte Hörbehinderung und ein ausreichendes Schriftsprachverständnis. Ausgeschlossen wurden Probanden mit schwerwiegenden kognitiven Defiziten. Es nahmen 50 männliche sowie 64 weibliche Probanden zwischen 18 und 90 Jahren teil. Die Teilnehmer wurden hinsichtlich dem WHO-Grad ihrer Schwerhörigkeit in drei Gruppen eingeteilt: (a) Einseitige Taubheit (1 Ohr Grad 4; anderes Ohr Grad 0/1) – N=12, (b) Asymmetrische Schwerhörigkeit (1 Ohr Grad 3/4, anderes Ohr Grad 2/3) – N=34, (c) Hochgradig an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit (beide Ohren Grad 4) – N=68.

Ergebnisse

Der Zeitpunkt der funktionellen Ertaubung lag zum Erhebungszeitpunkt vor zwischen sechs Monaten bis 55 Jahren. Die Mehrheit der Probanden (N=77) war zum Erhebungszeitpunkt mit einem Hörgerät versorgt. Die Hälfte der Probanden (N=57) gab keine psychologisch-psychiatrische Vorbehandlung(en) an. Die durchschnittlichen BDI-Werte in den einzelnen Subgruppen lagen nicht im klinisch relevanten Bereich einer Depression. Die höchsten durchschnittlichen BDI-Werte wiesen Frauen, Probanden bis einschließlich 65 Jahre und Probanden mit einer asymmetrischen Schwerhörigkeit auf. Die Angaben in diesen Untersuchungsgruppen deuten auf eine milde bis mäßige Ausprägung depressiver Symptome hin (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Diskussion

Die Betrachtung des durchschnittlichen Depressionswertes der Stichprobe sowie die Subgruppenbetrachtungen zeigen, dass Richtbergs Erkenntnis [7], Schwerhörige seien „grüblerisch“ und „leichter depressiv“ als Normalhörende, bestätigt werden kann. Im Vergleich zu den Normstichproben aus dem BDI-Manual nähern sich die vorliegenden Aussagen eher einer psychosomatischen als einer gesunden Vergleichsstichprobe an. Die Hörbehinderung hat möglicherweise einen Einfluss auf die psychische Gesundheit, ebenso wie das Alter, das Geschlecht und die Hörbiografie. Entgegen den Aussagen von Li et al. [6] zeigen sich eher bei Frauen unter 65 Jahren depressive Symptome, was mit der Lebensplanung und den familiären und beruflichen Herausforderung im Zusammenhang stehen kann. Im Alter wird in der Gesamtgruppe eine tendenzielle Abnahme depressive Symptome sichtbar. In Zukunft ist eine erneute Erhebung depressive Symptome nach erfolgreicher Cochlea Implantation (CI) geplant. Es wird vermutet, dass sich eine Versorgung mit einem Hörsystem (z.B. CI) positiv auf die psychische Gesundheit auswirkt. Eine Limitation stellt die fehlende Normstichprobe aus hörbehinderten Probanden dar.

Schlussfolgerung

Unsere Erkenntnisse decken sich größtenteils mit der internationalen wissenschaftlichen Datenlage. In der psychologischen und ärztlichen Arbeit sollten Vulnerabilitätsfaktoren (z.B. Hörbehinderung per se, asymmetrische Schwerhörigkeit, weibliches Geschlecht und unter 65 Jahren), zur möglichen Einleitung einer psychologischen Intervention, Beachtung finden.


Literatur

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