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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Testosteron-induzierte Stimmveränderungen bei Frau-zu-Mann-transsexuellen Personen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Arne Knief - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Michael Zitzmann - Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Ken Rosslau - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Michael Szukaj - Psychiatrische Praxis, Münster, Deutschland
  • author Claus-Michael Schmidt - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc50

doi: 10.3205/15dgpp46, urn:nbn:de:0183-15dgpp463

Published: September 7, 2015

© 2015 Deuster et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Durch die Testosteron-induzierte „hormonelle Stimmangleichung“ nehmen Frau-zu-Mann-transsexuelle Personen (FTM) selten phoniatrische Leistungen in Anspruch, da es Testosteron-induziert zu einer „hormonelle Stimmangleichung“ kommt. Als Folge sind sowohl klinische als auch wissenschaftliche Daten zu dieser Gruppe rar und beschränken sich auf Einzelfallbeschreibungen. Ziel dieser Untersuchung war eine engmaschige Beobachtung der Stimmveränderung von FTM im ersten Jahr nach Beginn der Testosterongabe.

Material und Methoden: Stimmaufzeichnungen von neun FTM vor und im ersten Jahr (Mittelwert 55,2 Wochen) nach Beginn der Testosterongabe wurden mittels PRAAT-Software hinsichtlich der mittleren Sprechstimmlage (SFF) analysiert. Die Anzahl der Stimmaufzeichnungen betrug zwischen 15 und 52 (MW 35,4). Die SFF wurden mit denen von 21 biologischen Männern verglichen.

Ergebnisse: Nach 36 Wochen überschnitten sich der 10er- bis 90er-Perzentilenbereich der FTM und der biologischen Männer. Zu diesem Zeitpunkt betrug die mittlere Stimmabsenkung 8,78 Halbtöne. Zwischen Woche 36 und 52 zeigte sich keine signifikante Stimmveränderung mehr. Die SFF bei der letzten Tonaufnahme der Probanden betrug zwischen 96 und 140 Hertz, die Stimmvertiefung zwischen 5,9 und 10,66 Halbtöne (MW 8,93).

Diskussion: Erstmalig wurde an einer größeren Probandengruppe der Verlauf der Testosteron-induzierten Stimmveränderung bei FTM gezeigt. Die Veränderung im ersten Jahr betrug weniger als eine Oktave, erreichte aber einen Bereich vergleichbar mit biologischen Männern.

Fazit: Testosteron führt zu einer raschen Stimmvertiefung bei FTM, welche zumindest im ersten Jahr nach Beginn der Testosterongabe unterhalb einer Oktave zu erwarten ist.


Text

Hintergrund

Transsexualismus bezeichnet den Wunsch einer Person, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben [1]. Dem zugrunde liegt das Leiden einer Person, das durch eine Inkongruenz des bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts und der empfundenen Geschlechterzugehörigkeit besteht. Dieses Leiden wird als „Gender Dysphoria“ (Geschlechtsdysphorie) bezeichnet und bildet die Indikation für geschlechtsangleichende Maßnahmen wie eine gegengeschlechtliche Hormontherapie und chirurgische Interventionen zur Veränderung der primären und sekundären Geschlechtsorgane.

Bei Frau-zu-Mann-transsexuellen Personen (FTM) führt die gegengeschlechtliche Hormontherapie mit Testosteron zu einer „hormonellen Stimmangleichung“, weswegen sie selten phoniatrische Leistungen in Anspruch nehmen. Als Folge sind sowohl klinische als auch wissenschaftliche Daten zu Stimmveränderungen dieser Gruppe rar und beschränken sich auf Einzelfallbeschreibungen [2], [3]. Ziel dieser Untersuchung war eine engmaschige Beobachtung der Stimmveränderung von FTM im ersten Jahr nach Beginn der Testosterongabe.

Material und Methoden

Von neun FTM wurden über den Zeitraum von einem Jahr Tonaufnahmen angefertigt und mittels PRAAT-Software die mittlere Sprechstimmlage (SFF) ermittelt. Einschlusskriterien waren Volljährigkeit, die gesicherte Diagnose einer Frau-zu-Mann-Transsexualität/Gender Dysphoria und eine ärztliche Indikation zur gegengeschlechtlichen Hormonbehandlung, die jedoch noch nicht begonnen haben durfte. Vier Probanden erhielten eine zwei- bis dreiwöchentliche intramuskuläre Testosteron-Injektion von 150 bis 250 mg, drei Probanden dreimonatlich 1.000 mg intramuskulär, ein Proband änderte im Verlauf des ersten Jahres die Therapie von einer intramuskulären zu transdermalen Applikation und ein weiterer Proband änderte die Therapie in umgekehrer Richtung.

Der Untersuchungszeitraum betrug zwischen 51 bis 64 Wochen (Mittelwert 55,2 Wochen), die Anzahl der in diesem Zeitraum angefertigten Stimmaufzeichnungen zwischen 15 und 52 (Mittelwert 35,4). Die Stimmaufzeichnungen erfolgten im Rahmen einer Kontrolluntersuchung in der Klinik mit dem the lingWave Voice Diagnostic Center (Wevosys Co., Forchheim, Germany) oder zu Hause mit einem tragbaren digitalen Aufnahmegerät (Yamaha Pockettrack CX, Yamaha Corporation, Japan oder H1 Handy Recorder, Zoom Corporation, Japan), jeweils mit einer sampling rate von 44.100 Hz (16 bits per sample).

Da nicht von jedem Probanden wie im Studienprotokoll vorgegeben exakt wöchentlich eine Tonaufnahme angefertigt wurde, wurden fehlende Werte mit dem TREND Algorithmus der Statistiksoftware SPSS errechnet. 10er-, 50er-, und 90er-Perzentilkurven wurden mittels Matlab Software als logarithmic trendline erstellt. Mittels one-way ANOVA erfolgte der paarweise Vergleich der SFF zu den Zeitpunkten vor und 1, 2, 4, 8, 12, 16, 24, 36 und 52 Wochen nach Beginn der Hormongabe. Der Median der SFF wurde mit dem einer Gruppe von 21 biologischen Männern ohne Stimmprobleme verglichen.

Ergebnisse

Erste signifikante Stimmveränderungen zeigten sich nach einer Woche Hormontherapie (0,45 Halbtöne, p=0.038). Nach 36 Wochen überschnitten sich der 10er- bis 90er-Perzentilenbereich der FTM und der biologischen Männer. Zu diesem Zeitpunkt betrug die mittlere Stimmabsenkung 8,78 Halbtöne. Zwischen Woche 36 und 52 zeigte sich keine signifikante Stimmveränderung mehr. Die SFF bei der letzten Tonaufnahme der Probanden betrug zwischen 96 und 140 Hertz, die Stimmvertiefung zwischen 5,9 und 10,66 Halbtöne (Mittelwert 8,93).

Diskussion

Erstmalig wurde an einer größeren Probandengruppe der Verlauf der Testosteron-induzierten Stimmveränderung bei FTM und somit die Wirkung extern zugeführten Testosterons auf einen weiblichen Kehlkopf gezeigt. Die erste signifikante, aber sicherlich nicht wahrnehmbare Veränderung zeigte sich bereits nach einer Woche, die Veränderung nach vier Wochen betrug 2,29 Halbtöne und erscheint zumindest für geübte Hörer wahrnehmbar. Die Veränderung im ersten Jahr betrug weniger als eine Oktave, erreichte aber einen Bereich vergleichbar mit biologischen Männern.

Fazit

Testosteron führt zu einer raschen Stimmvertiefung bei FTM, welche durchschnittlich im ersten Jahr nach Beginn der Testosterongabe im Bereich einer Sext zu erwarten ist.


Literatur

1.
World Health Organisation. International Classification of Diseases (ICD). 2014. Available at: http://www.who.int/classifications/icd/en/ [cited 2014 Sep 2] External link
2.
Damrose EJ. Quantifying the impact of androgen therapy on the female larynx. Auris Nasus Larynx. 2009;1:110-2. DOI: 10.1016/j.anl.2008.03.002 External link
3.
Van Borsel J, De Cuypere G, Rubens R, Destaerke B. Voice problems in female-to-male transsexuals. Int J Lang Commun Disord. 2000;3:427-42. DOI: 10.1080/136828200410672 External link