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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Funktionelle Ergebnisse bei mikrolaryngoskopischer Abtragung von Stimmlippenpolypen

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Philipp Caffier - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Tatjana Salmen - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Tatiana Ermakova - Technische Universität Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Sebastian Weikert - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Matthias Seipelt - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Manfred Gross - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Tadeus Nawka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc21

doi: 10.3205/15dgpp43, urn:nbn:de:0183-15dgpp435

Published: September 7, 2015

© 2015 Caffier et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Stimmlippenpolypen sind gutartige oberflächliche Schwellungen im Bereich der Lamina propria, die die Stimmlippenschwingungen mechanisch behindern und dadurch die Phonation erschweren. Die Standardtherapie besteht in einer kompletten chirurgischen Entfernung. Ziel unserer Untersuchung ist die Beurteilung der Frage des Ausmaßes der operativen Stimmverbesserung, unter Berücksichtigung des in der phoniatrischen Routinediagnostik noch nicht allgemein etablierten Stimmumfangsmaßes (SUM).

Material und Methoden: In einer prospektiven klinischen Studie werden bei 60 Patienten die funktionellen Ergebnisse der mikrolaryngoskopischen Abtragung von Stimmlippenpolypen untersucht. Die Befunde und Behandlungsergebnisse werden anhand prä- und postoperativer Laryngovideostroboskopie, intraoperativer Aufnahmen, sowie mittels prä- und postoperativer Stimmfunktionsdiagnostik dokumentiert und ausgewertet. Der auf der Basis von Stimmfeldfläche und -form errechnete Parameter SUM soll mit dem Dysphonie Schweregrad Index (DSI) verglichen und hinsichtlich seiner diagnostischen Eignung bewertet werden.

Ergebnisse: Alle Polypen konnten wie geplant komplett entfernt werden. Die Heilung vollzog sich regelrecht durch narbenfreies Überwachsen des Defektes mit stabilem Epithel auf der Basis der erhaltenen Lamina propria. Innerhalb des Beobachtungszeitraumes wurden keine relevanten Nebenwirkungen oder Rezidive beobachtet. Die bisherigen Ergebnisse zeigen postoperativ eine größtenteils deutliche Verbesserung der Stimmfunktion im Vergleich zum präoperativen Befund. SUM und DSI korrelieren signifikant miteinander.

Diskussion: Der Parameter SUM erscheint überaus geeignet, die stimmliche Leistungsfähigkeit zu quantifizieren und weist eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem DSI auf (z.B. unabhängig von Jitter-Messung, Mikrophon-abstandsbedingt abweichenden Schallpegeln). Die andernorts propagierte Microflap-Technik, bei der ein Teil des Epithels bei der Entfernung breitbasiger Polypen zur Wundbedeckung in situ verbleibt, erweist sich unseres Erachtens wegen möglicher Rezidive oder unvollständiger Entfernung nicht als vorteilhaft.


Text

Hintergrund

Stimmlippenpolypen sind gutartige oberflächliche Schwellungen im Bereich der Lamina propria, die die Stimmlippenschwingungen mechanisch behindern und dadurch die Phonation erschweren. Sie entstehen vornehmlich an Lokalisationen, die während der Stimmgebung den stärksten muskulären und aerodynamischen Kräften ausgesetzt sind. Die Standardtherapie besteht in einer kompletten chirurgischen Entfernung, über direkte Laryngoskopie in Intubationsnarkose oder in Lokalanästhesie. Ziel unserer Untersuchung ist die Beurteilung der Frage des Ausmaßes der operativen Stimmverbesserung unter Berücksichtigung des in der klinischen Routinediagnostik noch nicht allgemein etablierten Stimmumfangsmaßes (SUM).

Material und Methoden

In einer prospektiven klinischen Studie wurden bei 61 Patienten (28 Männer, 33 Frauen; Alter 45±13 Jahre [Mittelwert ± Standardabweichung]) die funktionellen Ergebnisse der mikrolaryngoskopischen Abtragung von Stimmlippenpolypen untersucht.

Das intraoperative therapeutische Vorgehen bestand in einer kompletten Exzision, bei der nach Fassen des Polypen mit einem geeigneten Miniaturzängchen zunächst die kraniale, anschließend die kaudale Anheftungsstelle der Polypenbasis mit einem Mikroscherchen tangential durchtrennt und abgeschnitten wurde. Dabei blieb unter Schonung der Randkante die oberflächliche Schicht der Lamina propria erhalten.

Die Datenerfassung erfolgte prä-, intra- und posttherapeutisch. Die Befunde und Behandlungsergebnisse wurden anhand prä- und postoperativer Laryngovideostroboskopie, intraoperativer Aufnahmen, sowie mittels prä- und postoperativer Stimmfunktionsdiagnostik dokumentiert und ausgewertet. Untersuchungsinstrumente waren allgemein etablierte objektive und subjektive Verfahren: auditiv-perzeptive Stimmbeurteilung mittels RBH-Systematik, Stimmumfangsprofilmessung, akustisch-aerodynamische Analyse, sowie Selbsteinschätzung der Stimme mittels Voice Handicap Index VHI-9i. Der auf der Basis von Stimmfeldfläche und -form errechnete Parameter SUM sollte mit dem Dysphonie Schweregrad Index (DSI) verglichen und bezüglich seiner diagnostischen Eignung bewertet werden.

Ergebnisse

Hinsichtlich der präoperativen Charakterisierung waren 32 Stimmlippenpolypen hämorrhagischen und 29 Polypen hyalinen Aussehens. Die überwiegende Mehrzahl saß den Stimmlippen breitbasig auf (n=55), nur 6 Polypen waren gestielt. 54 Patienten hatten einen einseitigen Stimmlippenbefund (links: n=28, rechts: n=26), bei 7 Patienten zeigten sich beidseitige Stimmlippenpolypen. Bezüglich des Ausmaßes der individuellen präoperativen Stimmbelastung hatten 37 Patienten einen vorwiegend nicht-professionellen Stimmgebrauch. 24 Patienten hatten einen intensiveren, überwiegend professionellen Stimmgebrauch, hiervon waren 9 Betroffene als Sänger und Schauspieler sog. „elite vocal performer“.

Alle Polypen konnten intraoperativ wie geplant komplett entfernt werden. Die laryngoskopischen Kontrolluntersuchungen zeigten, dass sich die Heilung der Stimmlippen regelrecht durch narbenfreies Überwachsen des Defektes mit stabilem Epithel auf der Basis der erhaltenen Lamina propria vollzog. Stroboskopisch konnte postoperativ eine wiederhergestellte regelrechte Randkantenverschieblichkeit nachgewiesen werden. Innerhalb des Beobachtungszeitraumes (275±288 Tage) wurden keine relevanten Nebenwirkungen oder Rezidive beobachtet. Lediglich bei einer Patientin kam es im Verlauf zu einer erneuten Stimmlippenverdickung im Bereich des ehemaligen abgetragenen Polypen.

Die Ergebnisse zeigten postoperativ eine größtenteils deutliche Verbesserung der Stimmfunktion im Vergleich zum präoperativen Befund (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). In der auditiven Beurteilung mittels RBH-System waren die Stimmen im verblindeten prä- und posttherapeutischen Vergleich signifikant weniger rau, behaucht und heiser (1,1±0,8 vs. 0,4±0,5). Die subjektive Selbsteinschätzung der Stimme ergab im VHI-9i ein deutliches Absinken des Beschwerde-Scores von durchschnittlich 15±8 auf 6±7 Punkte (p=0.000). Bis auf den Jitter zeigten sich auch sämtliche objektiven akustischen und aerodynamischen Parameter signifikant gebessert. Der durchschnittliche Gesamtstimmumfang erweiterte sich um 4±5 Halbtöne, die mittlere ungespannte Sprechstimmlage sank im Mittel um 1±2 Halbtöne. Die maximale Phonationsdauer (MPT) erhöhte sich von durchschnittlich 12±4 Sekunden präoperativ auf 16±6 Sekunden postoperativ (p=0,000). Der Parameter DSI stieg von 2,6±2,1 auf 4,0±2,2 (p=0,000), der Parameter SUM von 83±28 auf 107±21 (p=0,000). SUM und DSI sowie ihre prä- und posttherapeutischen Differenzen korrelierten jeweils hochsignifikant miteinander.

Diskussion und Fazit

Die mikrolaryngoskopische Abtragung von Stimmlippenpolypen stellt bei korrekter Diagnosestellung, fachgemäßem phono-mikrochirurgischem Vorgehen während der Operation (Schonung der Randkante, Erhalt der Lamina propria), sowie bei regelrechtem postoperativem Verlauf (3 Tage Stimmruhe, ungestörte Wundheilung) eine komplikationslose, sichere, sowie subjektiv und objektiv höchst zufriedenstellende Therapie zur Stimmverbesserung dar. Der Parameter SUM erscheint überaus geeignet, die stimmliche Leistungsfähigkeit zu quantifizieren und weist eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem DSI auf (z.B. unabhängig von Jitter-Messung, mikrophonabstandsbedingt abweichenden Schallpegeln). Die andernorts propagierte Microflap-Technik, bei der ein Teil des Epithels bei der Entfernung breitbasiger Polypen zur Wundbedeckung in situ verbleibt, erweist sich unseres Erachtens wegen möglicher Rezidive oder unvollständiger Entfernung nicht als vorteilhaft.