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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Der Acoustic Voice Quality Index: ein akustisch-objektives Messverfahren vom H der RBH-Skala

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc13

doi: 10.3205/15dgpp35, urn:nbn:de:0183-15dgpp350

Published: September 7, 2015

© 2015 Barsties et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Neue Maßstäbe in der Stimmdiagnostik setzt der Acoustic Voice Quality Index (AVQI), entwickelt von Maryn et al. (2010). Darstellung, wissenschaftlicher Hintergrund, neueste Entwicklungen und klinische Durchführung sind Teil des Vortrages.

AVQI ist einer der ersten akustischen Indizes der gehaltene Phonation und die fortlaufende Sprache für die allgemeine Stimmqualität einer Sprechstimme berücksichtigt und beurteilt.

Material und Methoden: AVQI ist ein multiparametrisches Konstrukt auf Basis linearer Regressionsstatistik mit auditiv-perzeptiven Durchschnittswerten vom Grad der Heiserkeit als Beurteilerkriterium. Er setzt sich aus 6 verschiedenen Komponenten zusammen und wird automatisch in der Freeware „Praat“ analysiert und interpretiert (Maryn & Weenink, 2015). AVQI ist so konzipiert, dass man auf einem Zahlenstrang von 0 bis 10 den Schweregrad ablesen kann; auch wird die Grenze des physiologischen und pathologischen Umfanges der allgemeinen Stimmqualität visualisiert.

Ergebnisse: Es wurden bereits acht Studien zu AVQI veröffentlicht, weitere werden bald folgen. Viele Bereiche zu AVQI sind untersucht worden: wie die diagnostische Genauigkeit, die Übereinstimmungsvalidität zur perzeptiven Messung, interne und externe Validität, cross-linguistische Unterschiede im Niederländischen, Deutschen, Englischen und Französischen, Test-Retest und die interne Konsistenz. AVQI hat sich auch als sensitives Messinstrument bei Stimmqualitätsveränderungen nach Intervention bewährt.

Speziell soll in diesem Beitrag mittels einer Meta-Analyse die Übereinstimmungsvalidität zur perzeptiven Beurteilung vertieft werden.

Anschließend folgen praktische Hinweise für die klinische Durchführung.

Diskussion: AVQI ist ein robustes und sensibles Messinstrument für die akustische Stimmanalyse. Es ist gratis zu erhalten und mit wenigen Mitteln durchzuführen. AVQI kann im klinischen Alltag zuverlässige und valide Aussagen über die Stimmqualität des Patienten treffen und die Durchführung sowie die Interpretation sind in einem zeitlichen Aufwand von weniger als fünf Minuten realistisch.

Fazit: Zusammenfassend soll AVQI dem Arzt/Therapeuten mehr Sicherheit in der Beurteilung der Stimmqualität geben, sei es im klinischen Alltag oder im Bereich der Forschung.


Text

Einleitung

Die Überprüfung der Stimmqualität bei Patienten mit einer Dysphonie ist ein Standardverfahren in der klinischen Praxis und Wissenschaft. Es gibt verschiedene Verfahren, die Stimmqualität beurteilen, z.B. auditiv-perzeptive, akustische oder aerodynamische Messverfahren [1]. Das auditiv-perzeptive Verfahren gilt als „Goldstandard“ für die Bestimmung und Klassifizierung des Schweregrades der Stimmqualität, da der Stimmklang vom Ursprung perzeptiv ist [2]. Jedoch aufgrund der Subjektivität des Verfahrens gibt es viele verschiedene Einschränkungen und beeinflussende Faktoren, die vor allem in der klinischen Praxis kaum bis überhaupt nicht zu kontrollieren sind. Diese Faktoren können in drei Gruppen eingeteilt werden und richten sich an den Beurteiler, den Stimulus und die Beurteilungsskala/-verfahren [1]. Darum ist es entscheidend, die Zuverlässigkeit und Validität von objektiven Messverfahren weiter zu erforschen und der klinischen Praxis zur Verfügung zu stellen, um mehr Sicherheit und Genauigkeit zu erreichen, neben altbewährten Verfahren.

Der Acoustic Voice Quality Index

Im Jahre 2010 wurde der Acoustic Voice Quality Index (AVQI) entwickelt [3]. Er ist einer der ersten akustischen Indizes der gehaltene Phonation und fortlaufende Sprache für die allgemeine Stimmqualität (Heiserkeit) einer Sprechstimme berücksichtigt und beurteilt. AVQI ist ein multiparametrisches Konstrukt auf Basis linearer Regressionsstatistik mit auditiv-perzeptiven Durchschnittswerten vom Grad der Heiserkeit als Beurteilerkriterium. Er setzt sich aus 6 verschiedenen Komponenten zusammen (smoothed cepstral peak prominence, harmonics-to-noise ratio, shimmer local, shimmer local dB, general slope of the spectrum und tilt of the regression line through the spectrum). Dieser Index wird automatisch in der Freeware „Praat“ [4] analysiert und interpretiert [5]. Das benötigte Praat Skript ist gratis zu erhalten: http://www.vvl.be/documenten-en-paginas/praat-script-avqi-v0202

AVQI ist so konzipiert, dass man auf einem Zahlenstrang von 0 bis 10 den Schweregrad ablesen kann, auch wird die Grenze des physiologischen und pathologischen Umfanges der allgemeinen Stimmqualität visualisiert (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Cross-Lingualität von AVQI

Da AVQI aus 2 Sprachelementen besteht (fortlaufende Sprache und angehaltene Phonation) wurde AVQI ursprünglich für die niederländische/flämische Bevölkerung entwickelt. Jedoch aufgrund der guten Resultate von 289 Probanden aus 2 Studien [3], [6] gab es verschiedene Untersuchergruppen, die AVQI in andere Sprachen einer Validitätsprüfung unterzogen. Somit wurde AVQI im Deutschen [7], [8], Englischen [9], [8] und Französischen [8] als ebenfalls robustes Messverfahren bestätigt und gilt als relativ isoliert von interphonetischen Sprachunterschieden. Weitere Sprachen zur Cross-Lingualität von AVQI sind in Planung oder stehen kurz vor der Veröffentlichung.

Validität von AVQI

Insgesamt wurden in sechs Studien [3], [6], [7], [9], [8], [10] eine hohe Übereinstimmungsvalidität mittels „Spearman rank-order correlation coefficient“ (rs) von AVQI mit dem auditiv-perzeptiven Beurteilungsverfahren festgestellt (rs=0,780 bis rs=0,911) und mit jeweils einer hohen diagnostische Genauigkeit. Zwei weitere Studien [11], [12] von denen die Ergebnisse bekannt sind, aber noch nicht veröffentlicht wurden, zeigten vergleichbar hohe Ergebnisse. Um den wissenschaftlichen Wert von AVQI zu taxieren, wurde eine Meta-Analyse (Meta-Analyse Programs version 5.3, Ralf Schwarzer, Department of Psychology, Freie Universität Berlin) durchgeführt. Hierbei wurde als Gütekriterium die Übereinstimmungsvalidität verwendet. Das Resultat ergab aus diesen 8 Studien mit n=923 analysierten Daten eine homogene Effektstärke von r=0.816. Dies entspricht einer hohen Übereinstimmungsvalidität, die nach Kenntnissen der Autoren bei keinem anderen Stimmqualitätsparameter oder Stimmqualitätsindex in diesem Umfang gefunden wurde.

Weitere Ergebnisse zu AVQI

AVQI wurde neben der Validität auch nach anderen kritischen Punkten evaluiert, z.B. die Durchführung einer Test-Retest Studie [13], die Erforschung der Sensitivität von Stimmqualitätsveränderungen nach Interventionen [6] und die Beurteilung der internen Konsistenz [10], [13]. Alle diese Studien zeigten akzeptable bis sehr gute Ergebnisse und zeichnen AVQI als robustes und genaues Messverfahren aus. Lediglich bei der internen Konsistenz ist die gegenwärtige Version vom angehaltenen Vokal dominierend und mindert so die ökologische Validität. Hierzu sind weitere Maßnahmen durchgeführt worden, um AVQI zu verbessern [10], und werden in naher Zukunft durch weitere Studien ergänzt und dann der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt.

Fazit

AVQI kann im klinischen Alltag zuverlässige und valide Aussagen über die Stimmqualität des Patienten treffen. Die Durchführung sowie Interpretation ist in einem zeitlichen Aufwand von weniger als fünf Minuten realistisch und soll dem Arzt/Therapeuten mehr Sicherheit in der Beurteilung der Stimmqualität geben. Jedoch müssen bestimmte Voraussetzungen gewährleistet sein: wie die technischen Anforderungen an das Mikrofon, die Samplerate der Aufnahme, Umgebungsgeräusche und die Phonationsweise des Patienten (habituell und repräsentativ) [1].


Literatur

1.
Barsties B, De Bodt M. Assessment of voice quality: Current state-of-the-art. Auris Nasus Larynx. 2015 Jun;42(3):183-8. DOI: 10.1016/j.anl.2014.11.001 External link
2.
Oates J. Auditory-perceptual evaluation of disordered voice quality: pros, cons and future directions. Folia Phoniatr Logop. 2009;61(1):49-56. DOI: 10.1159/000200768 External link
3.
Maryn Y, Corthals P, Van Cauwenberge P, Roy N, De Bodt M. Toward improved ecological validity in the acoustic measurement of overall voice quality: combining continuous speech and sustained vowels. J Voice. 2010 Sep;24(5):540-55. DOI: 10.1016/j.jvoice.2008.12.014 External link
4.
Boersma P, Weenink D. Praat: doing phonetics by computer [Computer program]. Version 5.3.57. 2015. Verfügbar unter: http://www.praat.org/ External link
5.
Maryn Y, Weenink D. Objective dysphonia measures in the program Praat: smoothed cepstral peak prominence and acoustic voice quality index. J Voice. 2015 Jan;29(1):35-43. DOI: 10.1016/j.jvoice.2014.06.015 External link
6.
Maryn Y, De Bodt M, Roy N. The Acoustic Voice Quality Index: toward improved treatment outcomes assessment in voice disorders. J Commun Disord. 2010 May-Jun;43(3):161-74. DOI: 10.1016/j.jcomdis.2009.12.004 External link
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Barsties B, Maryn Y. Der Acoustic Voice Quality Index in Deutsch. Ein Messverfahren zur allgemeinen Stimmqualität [The Acoustic Voice Quality Index. Toward expanded measurement of dysphonia severity in German subjects]. HNO. 2012 Aug;60(8):715-20. DOI: 10.1007/s00106-012-2499-9 External link
8.
Maryn Y, De Bodt M, Barsties B, Roy N. The value of the acoustic voice quality index as a measure of dysphonia severity in subjects speaking different languages. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2014 Jun;271(6):1609-19. DOI: 10.1007/s00405-013-2730-7 External link
9.
Reynolds V, Buckland A, Bailey J, Lipscombe J, Nathan E, Vijayasekaran S, Kelly R, Maryn Y, French N. Objective assessment of pediatric voice disorders with the acoustic voice quality index. J Voice. 2012 Sep;26(5):672.e1-7. DOI: 10.1016/j.jvoice.2012.02.002 External link
10.
Barsties B, Maryn Y. The improvement of internal consistency of the Acoustic Voice Quality Index. Am J Otolaryngol. 2015 Apr;pii:S0196-0709(15)00098-8. DOI: 10.1016/j.amjoto.2015.04.012 External link
11.
Maryn Y, Kim HT, Kim J. Auditory-perceptual and acoustic methods in measuring dysphonia severity of Korean speech. In Submission.
12.
Kankare E, Barsties B, Maryn Y, Ilomäki I, Laukkanen AM, Tyrmi J, Rantala L, Asikainen M, Rorarius E, Siirilä M, Vilpas S. A preliminary study of the Acoustic Voice Quality Index in Finnish speaking population. Accepted Poster at PEVOC congress 2015 in Firenze.
13.
Barsties B, Maryn Y. Test-Retest-Variabilität und interne Konsistenz des Acoustic Voice Quality Index [Test-retest variability and internal consistency of the Acoustic Voice Quality Index]. HNO. 2013 May;61(5):399-403. DOI: 10.1007/s00106-012-2649-0 External link