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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Verbesserungen von Gedächtnisleistungen im Rahmen einer stationären Sprach- und sensomotorisch-perzeptiven Therapie von Sprachentwicklungsstörungen

Poster

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc56

doi: 10.3205/15dgpp27, urn:nbn:de:0183-15dgpp278

Published: September 7, 2015

© 2015 Dietrich et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Kinder mit schweren spezifischen Sprachentwicklungsstörungen leiden typischerweise auch unter eingeschränkten Sequenzierungsleistungen. Daher werden diese häufig in die Übungstherapie miteinbezogen, obwohl vielfach bezweifelt wird, dass sich Gedächtnisleistungen therapeutisch beeinflussen lassen.

Material und Methoden: Bei 235 Kindern, die wegen einer schweren Sprachentwicklungsstörung stationär behandelt wurden (5 Wochen Intensivbehandlung innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten), wurden die Gedächtnisleistungen am Anfang und am Ende der Therapie verglichen. Die auditiven Sequenzierungsleistungen wurden mit dem Mottier-Test, dem Untertest Nachsprechen von Kunstwörtern (NK) aus dem Heidelberger Auditiven Screening bei der Einschulungsuntersuchung (HASE) und dem Untertest Zahlennachsprechen (ZFG) aus der K-ABC überprüft, die im visuellen Gedächtnis mit dem Symbolfolgengedächtnis (SFG) aus dem Psycholinguistischen Entwicklungstest. Geprüft wurde auch der Einfluss des Geschlechts, des Alters einer Ein- oder Mehrsprachigkeit und der nonverbalen Intelligenz.

Ergebnisse: Vor der Therapie zeigten die Kinder bei den auditiven Gedächtnisleistungen durchweg nicht altersentsprechende Ergebnisse, z.B. beim ZFG im Median einen Prozentrang (PR) von 9 (Spannweite PR 0–84). Im SFG waren die Kinder zum Aufnahmezeitpunkt mit einem mittleren PR von 49,78 (SD+25,35) unauffällig. Nach der Therapie zeigten die Kinder signifikant bessere Leistungen im auditiven und visuellen Gedächtnis, wobei die Verbesserungen weitgehend unabhängig von den untersuchten Einflussfaktoren waren. Lediglich bei den visuellen Gedächtnisleistungen zeigten Mädchen größere Verbesserungen. Im Median lag der PR im ZFG nach der Therapie bei 16 (0–91). Im SFG erreichten die Kinder sogar einen PR 60,35 (+24,70)

Diskussion: Zumindest in der Testsituation zeigten die Kinder nach der Therapie weniger gravierende Einschränkungen des auditiven Gedächtnisses, was jedoch auch durch eine bessere Arbeitshaltung bedingt sein könnte.

Fazit: Ein Training des Gedächtnisses bei Kindern mit SSES scheint möglich.


Text

Einleitung

Kinder mit schweren spezifischen Sprachentwicklungsstörungen zeigen typischerweise auch eingeschränkte Sequenzierungsleistungen. Aus diesem Grund werden häufig die Übungen für die Entwicklung des auditiven sowie visuellen Gedächtnisses im Rahmen der Therapie durchgeführt, auch wenn vielfach bezweifelt wird, dass sich Gedächtnisleistungen therapeutisch beeinflussen lassen.

Material und Methoden

Bei 235 Kindern mit schweren Sprachentwicklungsstörungen, welche stationär fünf Wochen lang innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten intensiv behandelt worden sind, wurden die Gedächtnisleistungen am Anfang und am Ende der Therapie verglichen. Die auditiven Sequenzierungsleistungen wurden mit dem Mottiertest, dem Untertest Nachsprechen von Kunstwörtern (NK) aus dem Heidelberger Auditiven Screening bei der Einschulungsuntersuchung (HASE) und dem Untertest Zahlennachsprechen (ZFG) aus der K-ABC überprüft. Die visuelle Gedächtnisleistung wurde mit dem Symbolfolgengedächtnis (SFG) aus dem Psycholinguistischen Entwicklungstest untersucht. Außerdem wurde der Einfluss des Geschlechts, des Alters, der Ein- oder Mehrsprachigkeit und der nonverbalen Intelligenz geprüft. Beim Mottiertest sowie NK aus HASE wurden im Rahmen der statistischen Untersuchung die Rohwerte analysiert, bei ZFG sowie SFG die Prozentränge.

Ergebnisse

Die auditiven Gedächtnisleistungen der Kinder zeigten vor der Therapie durchweg nicht altersentsprechende Ergebnisse: Beim Mottiertest einen Mittelwert des Rohwerts von 6,05 (Standartabweichung (SD) ±3,5), beim NK aus HASE einen Mittelwert von 3,96 (SD±1,7) und beim ZFG im Median einen PR von 9 (Spannweite PR 0–84). Im SFG waren die Kinder zum Aufnahmezeitpunkt mit einem mittleren PR von 49,78 (SD±25,35) und im Median bei 54 (Spannweite PR 1–99) unauffällig.

Nach der Therapie zeigten die Kinder signifikant bessere Leistungen im auditiven sowie visuellen Gedächtnis, wobei die Verbesserungen weitgehend unabhängig von den untersuchten Einflussfaktoren waren: Beim Mottiertest erreichten die Kinder einen Mittelwert von 7,20 (SD±4,4), beim NK aus HASE einen Mittelwert von 4,85 (SD±2,0) (Abbildung 1 [Abb. 1]) und im ZFG lag der PR im Median bei 16 (Spannweite PR 0–91). Im SFG erreichten die Kinder nach der Therapie einen PR im Median von 69 (Spannweite PR 0–99) (Abbildung 2 [Abb. 2]). Mädchen zeigten hier größere Verbesserungen.

Diskussion

Nach Baddeley und Hitch beinhaltet das phonologische Arbeitsgedächtnis eine „zentrale Exekutive“ (zuständig für die Aufmerksamkeit und Kontrolle) sowie ein unselbständiges Subsystem „phonologische Schleife“, welches mittels passiven phonetischen Speichers und aktiven subvokalen Wiederholungsprozesses zum Memorieren beiträgt [1]. Unser Untersuchungsdesign erlaubt keine Aussage darüber, ob sich der passive individuelle phonetische Speicher rascher vergrößert hat als dies der natürlichen Entwicklung entspricht. Die zunehmende Artikulationsgeschwindigkeit ermöglicht auch die schnellere Wiederholung der Worte und somit kann die Information in der phonologischen Schleife eher aufgefrischt werden [2]. Die Verbesserung der auditiven Gedächtnisleistung ist vermutlich eher auf das Trainieren der Aufmerksamkeit zurückzuführen. Diese könnte mithilfe von einer stationären Therapie positiv beeinflusst werden sowie durch eine bessere Arbeitshaltung des Patienten in der Testsituation unterstützt werden.

Fazit

Die vorliegende Untersuchung anhand der vier Gedächtnistests zeigt eine signifikante Verbesserung der Gedächtnisleistung nach intensiver stationärer Therapie. Die Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen profitieren also von der Therapie im Bezug auf die Sequenzierungsleistungen, auch wenn man die Ursache der Verbesserung nicht genau eruieren kann. Dies unterstützt ihrerseits einen schnelleren Spracherwerb sowie die Gesamtentwicklung des Kindes.


Literatur

1.
Baddeley AD, Hitch GJ. Working memory. In: Brower GH, ed. The psychology of learning and motivation: Advances in Research and Theory. Vol. 8. New York: Academic Press; 1974. p.47-90. (). DOI: 10.1016/s0079-7421(08)60452-1 External link
2.
Hulme C, Thomson N, Muir C et al. Speech rate and the development of short-term memory span. J Exp Child Psychol. 1984;38(2):241-53. DOI: 10.1016/0022-0965(84)90124-3 External link