gms | German Medical Science

32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Verständnis von Wörtern mit Vorlage bei prä- und postlingual ertaubten, erwachsenen CI-Trägern

Poster

Search Medline for

  • corresponding author Theresa Finkl - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Anja Hahne - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc58

doi: 10.3205/15dgpp21, urn:nbn:de:0183-15dgpp212

Published: September 7, 2015

© 2015 Finkl et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das Sprachverstehen mit Cochlea-Implantat (CI) hängt von zahlreichen Faktoren ab, wobei der Zeitpunkt der Ertaubung den wesentlichsten Indikator darstellt. Tritt eine hochgradige Schwerhörigkeit bereits vor dem Spracherwerb ein, entwickeln jene Patienten, die erst im Erwachsenenalter ein CI erhalten, auch nach Implantation in der Regel nur ein deutlich eingeschränktes Sprachverstehen. Wir präsentieren Ergebnisse einer laufenden Studie, in der wir das Verständnis auf der Ebene von Wörtern mit Vorlage erfassen und dieses mit Kennwerten eines Tests zur verbalen Lernfähigkeit korrelieren.

Material und Methoden: 31 erwachsene CI-Träger nahmen an der Studie teil (8 prälingual, 23 postlingual, davon 9 einseitig ertaubt; alle einseitig mit einem CI versorgt; Durchschnittsalter 48 Jahre; 13 Männer). Das Experiment bestand aus einem Bild-Wort-Paradigma, bei dem die Teilnehmer in den ersten Tagen sowie 4 Monate nach Erstanpassung entscheiden mussten, ob ein über das CI dargebotenes zweisilbiges Wort zu einem gleichzeitig präsentierten Bild passt. Zusätzlich wurde die verbale Lernfähigkeit mit einer adaptierten Version des California Verbal Learning Tests (CVLT) erfasst.

Ergebnisse: Für das Bild-Wort-Paradigma zeigten sich im Vergleich zwischen prä- und postlingualer Gruppe wie erwartet zu beiden Messzeitpunkten hochsignifikante Unterschiede in der Performanz, wohingegen die Ergebnisse von postlingual beidseits vs. einseitig ertaubten Teilnehmern nahezu identisch waren. Die prozentuale Verbesserung war in allen Gruppen ähnlich. Es gab keine signifikante Korrelation zwischen den Daten des Bild-Wort-Paradigmas und den Kennwerten des CVLTs.

Diskussion: Die prälingual ertaubten CI-Träger antworteten bei der ersten Messung aufgrund der Deprivation ihres Hörsystems auf Zufallsniveau. Die postlingual ertaubte Gruppe, deren Gehirn bereits mit der Verarbeitung von Sprache vertraut war, begann mit einer Trefferquote von 80%. Beide Gruppen steigerten sich jedoch ähnlich stark, was im Einklang mit dem Test zur verbalen Lernfähigkeit steht, in dem beide Gruppen vergleichbar abschnitten. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich verbale Lernfähigkeit unabhängig von auditivem Input entwickelt und prälingual wie postlingual ertaubten CI-Trägern in gleichem Maße Fortschritte auf der Ebene von Wörtern mit Vorlage ermöglicht.


Text

Hintergrund

Das Sprachverstehen mit Cochlea Implantat (CI) hängt von zahlreichen Faktoren ab, wobei der Zeitpunkt der Ertaubung und bei postlingual ertaubten Menschen vor allem die Dauer der hochgradigen Schwerhörigkeit die wesentlichsten Indikatoren darstellen [1]. Daneben spielen auch kognitive Fähigkeiten eine Rolle für ein erfolgreiches Sprachverstehen. So konnten Heydebrand et al. [2] zeigen, dass bei beidseitig ertaubten CI-Trägern vor allem verbales Arbeitsgedächtnis und verbale Lernfähigkeit starke Prädiktoren für das Sprachverstehen mit CI sind. Wir präsentieren Ergebnisse einer laufenden Studie, in der wir das Sprachverständnis bei 3 Gruppen von CI-Trägern auf der Ebene von Wörtern mit Vorlage erfassen und dieses mit Kennwerten eines Tests zur verbalen Lernfähigkeit korrelieren.

Material und Methoden

31 erwachsene CI-Träger nahmen an der Studie teil (8 prälingual, 23 postlingual, davon 9 einseitig ertaubt; alle im Erwachsenenalter einseitig mit einem CI versorgt; Durchschnittsalter 48 Jahre; 13 Männer). Das Experiment bestand aus einem Bild-Wort-Paradigma, bei dem die Teilnehmer in den ersten Tagen sowie 4 Monate nach Erstanpassung entscheiden mussten, ob ein über das CI dargebotenes zweisilbiges Wort zu einem gleichzeitig präsentierten Bild passt. Zusätzlich wurde einmalig die verbale Lernfähigkeit mit einer adaptierten Version des California Verbal Learning Tests (CVLT; [3]) erfasst. Bei diesem Test müssen sich die Probanden über mehrere Durchgänge hinweg 16 Wörter merken und korrekt wiedergeben. Die Kennwerte Lernsumme sowie Behaltensleistung nach 15 und nach 30 Minuten wurden berechnet und nach Alter sowie Geschlecht korrigiert.

Ergebnisse

Die prälingual ertaubten CI-Träger antworteten im Bild-Wort-Paradigma bei der ersten Messung zu 42% korrekt, wohingegen beide postlingual ertaubten Gruppen mit einer nahezu identischen Trefferquote von ca. 80% begannen (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Alle Gruppen steigerten sich jedoch prozentual ähnlich stark auf 92% (postlingual beidseitig), 90% (postlingual einseitig), sowie 67% (prälingual), was im Einklang mit den Kennwerten zur verbalen Lernfähigkeit steht, bei denen sie ebenfalls vergleichbar abschnitten.

Eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung zeigte wie erwartet zu beiden Messzeitpunkten signifikante Unterschiede in der Performanz (Haupteffekt Gruppe F(2,28) = 9,6; p<0,001). Auch der Haupteffekt Messzeitpunkt wurde signifikant bei F(1,28) = 27,3 und p<0,0001, wobei es keine signifikante Interaktion zwischen Messzeitpunkt und Gruppe gab (F(2,28) = 2,4; p>0,05). Die drei Gruppen unterschieden sich weder in Bezug auf die prozentuale Verbesserung vom ersten zum zweiten Messtermin noch in den Kennwerten des CVLT signifikant. Es gab keine reliable Korrelation zwischen den Ergebnissen des Bild-Wort-Paradigmas und des CVLT.

Diskussion

Wie erwartet schnitten die postlingual ertaubten Gruppen im Bild-Wort-Paradigma deutlich besser ab als die prälingual ertaubten CI-Träger, welche aufgrund der langjährigen Deprivation ihres Hörsystems zunächst nur auf Zufallsniveau antworteten. Bei den postlingual ertaubten CI-Trägern hingegen traf der auditive Reiz auf ein ausgereiftes Hör- und Sprachnetzwerk. Im Gegensatz zu Heydebrand et al. [2] konnten wir keine signifikante Korrelation zwischen den Kennwerten des CVLT und dem Experiment zum Wortverstehen finden. Unsere Ergebnisse deuten hingegen an, dass sich verbale Lernfähigkeit unabhängig von auditivem Input entwickelt und prälingual wie postlingual ertaubten CI-Trägern in ähnlichem Maße Fortschritte auf der Ebene von Wörtern mit Vorlage ermöglicht. Zudem scheinen die einseitig Ertaubten gegenüber den beidseitig Ertaubten nicht im Vorteil zu sein, was die Entwicklung des Sprachverstehens mit CI anbelangt. Im weiteren Verlauf der Studie werden Folgemessungen durchgeführt, um zu erforschen, inwieweit die prälinguale Gruppe zu den postlingual ertaubten CI-Trägern aufschließen kann.

Fazit

Postlingual ertaubte CI-Träger entwickeln oft schon innerhalb weniger Tage nach Erstanpassung ein gutes Sprachverstehen, was sich auch in den vorliegenden Ergebnissen zum Verständnis von Zweisilbern mit Vorlage zeigt. Dabei scheint es keinen Unterschied zu machen, ob sie auf dem zweiten Ohr normal hören oder ebenfalls hochgradig schwerhörig sind. Prälingual ertaubte, spät versorgte CI-Träger erlangen zwar in der Regel auch nach Implantation kein freies Sprachverstehen, können jedoch auf der Ebene von Wörtern mit Vorlage ähnliche Fortschritte erzielen wie postlingual Ertaubte. Hierbei könnte die verbale Lernfähigkeit eine Rolle spielen, die trotz auditiver Deprivation bei den prälingual Ertaubten vergleichbar ausgeprägt zu sein scheint wie bei den postlingual ertaubten Vergleichsgruppen.


Literatur

1.
Holden LK, Finley CC, Firszt JB, Holden TA, Brenner C, Potts LG, Gotter BD, Vanderhoof SS, Mispagel K, Heydebrand G, Skinner MW. Factors affecting open-set word recognition in adults with cochlear implants. Ear Hear. 2013 May-Jun;34(3):342-60. DOI: 10.1097/AUD.0b013e3182741aa7 External link
2.
Heydebrand G, Hale S, Potts L, Gotter B, Skinner M. Cognitive predictors of improvements in adults' spoken word recognition six months after cochlear implant activation. Audiol Neurootol. 2007;12(4):254-64. DOI: 10.1159/000101473 External link
3.
Niemann H, Sturm W, Thöne-Otto AIT, Willmes K. California Verbal Learning Test: Deutschsprachige Adaptation. Frankfurt am Main: Pearson Assessment & Information GmbH; 2008.