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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Messung basaler musikalischer Diskriminationsfähigkeiten bei jungen CI-Kindern mittels evozierter Potentiale

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Anja Hahne - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Deutschland
  • author Alexander Mainka - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc30

doi: 10.3205/15dgpp14, urn:nbn:de:0183-15dgpp147

Published: September 7, 2015

© 2015 Hahne et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Die Entwicklung der auditiven Wahrnehmungsfähigkeiten jung versorgter CI-Kinder lassen sich behavioral nur schwer abschätzen. Über die neuronalen Verarbeitungsprozesse in der ersten Zeit nach CI-Versorgung ist wenig bekannt. Wir stellen eine Studie vor, in der die Verarbeitung basaler auditorischer Prozesse bei Kindern mit Cochlea-Implantat untersucht wurde.

Material und Methoden: Die Studie verwendet objektive elektrophysiologische Messungen. Mittels des von Vuust et al. (2010) vorgestellten multi-feature mismatch negativity (MMN) Paradigmas wurde die Diskriminationsfähigkeit für fünf akustische Dimensionen untersucht. Es handelte sich um Tonhöhe, Timbre, Intensität, Slide und Rhythmus, die in kleinen melodischen Einheiten präsentiert wurden. Die Abweichungen vom Standardmuster wurden relativ gering gewählt. An der Studie nahmen 16 CI-Kinder teil (mittleres Implantationsalter 17 Monate; Spanne 7–39 Monate). Zum Zeitpunkt der Messung hatten die Kinder ein mittleres Höralter von 12 Monaten.

Ergebnisse: Die Diskriminationsfähigkeiten der CI-Kinder variierten in Abhängigkeit von der untersuchten Dimension. Ein besonders deutlicher Effekt zeigte sich für die Timbre-Unterscheidung. Auch für einen leicht veränderten Rhythmus (30 ms später als in der Standardpräsentation) sowie für vorangestellte Triolen zeigten sich die Kinder sensitiv. Dagegen waren keine reliablen Effekte für Tonhöhen- und Intensitätsabweichungen zu beobachten.

Diskussion: Die Daten deuten auf eine hohe Sensitivität der Kinder hinsichtlich einiger basaler musikalischer Parameter nach einem Jahr CI-Tragedauer. Trotz des im Vergleich zu Normalhörenden deutlich späteren auditiven Inputs erlangen die Kinder innerhalb des ersten Jahres nach CI-Versorgung erstaunlich gute Diskriminationsleistungen, die denen postlingualer erwachsener CI-Träger ähneln (Hahne et al., submitted).

Fazit: Das angewandte Paradigma ist geeignet, basale Diskriminationsfähigkeiten von jungen CI-Kindern objektiv zu messen.


Text

Hintergrund

Die Entwicklung der auditiven Wahrnehmungsfähigkeiten von Kindern mit Cochlea Implantat Versorgung lassen sich behavioral nur schwer abschätzen. Um diese genauer zu untersuchen, bieten sich daher objektive Methoden an. Über die neuronalen Verarbeitungsprozesse in der ersten Zeit nach CI-Versorgung ist bisher jedoch wenig bekannt. Potentielle Beschränkungen auditiver Verarbeitung ergeben sich einerseits aus dem durch die elektrische Stimulation bedingten reduzierten Input und andererseits durch die sensible Phase innerhalb derer akustische Stimulation zur Ausreifung des auditorischen Systems erfolgen muss (vgl. [1]). Aufgrund der heute in Deutschland üblichen frühzeitigen Versorgung bei connataler Taubheit, ergibt sich für diese Kinder jedoch potentiell die Möglichkeit, auditorische Verarbeitungsprozesse ähnlich wie normalhörende Kinder zu entwickeln.

In der Studie wurde die Diskriminationsfähigkeit basaler auditorischer Parameter bei jungen CI-versorgten Kindern mit Hilfe des von Vuust et al. [2] vorgestellten multi-feature mismatch negativity (MMN) Paradigmas untersucht. Bei diesem Paradigma können Diskriminationsreaktionen für verschiedene Abweichungsdimensionen gleichzeitig untersucht werden.

Material und Methoden

An der Studie nahmen 16 bilateral versorgte CI-Kinder teil (mittleres Implantationsalter 17 Monate; Spanne 7–39 Monate). Zum Zeitpunkt der Messung hatten die Kinder ein mittleres Höralter von 12 Monaten. Zudem wurden bisher 12 normalhörende Erwachsene getestet.

Die Standardstimuli bestanden aus vier Achtelnoten (Albertibaß). Bei den Abweichungen wurde jeweils der dritte Ton verändert präsentiert. Es wurde die Diskriminationsfähigkeit für fünf akustische Dimensionen untersucht: Tonhöhe (–50ct (dur); +50ct (moll)), Timbre („Old time radio effect“ mit Lautheitsangleich), Intensität (–9 dB), Slide (2 triolische 32stel vor dem Schlag) und Rhythmus (–30 ms). Die Abweichungen vom Standardmuster wurden im Vergleich zu anderen CI-Studien relativ gering gewählt. Jeweils ein Standard und ein Deviant wurden abwechselnd dargeboten. Bevor sich ein Deviant derselben Kategorie wiederholte, erschien je ein Deviant der anderen Kategorien. Damit fungierte jeder Deviant gleichzeitig als Standard für die Dimensionen, in denen er unverändert blieb. Pro Kategorie gab es 121 Devianten.

Während der Messung saßen die Kinder auf dem Schoß eines Elternteils und sahen sich einen stumm geschalteten Animationsfilm an oder wurden durch einen Versuchsleiter mit geräuschlosem Spielzeug beschäftigt.

Die EEG-Aufzeichnung erfolgte mit nach dem internationalen 10-20-System angeordneten Ag-AgCl-Elektroden. Außerdem wurde das EOG abgeleitet. Es wurde auf das Mittel der Mastoidelektroden rereferenziert. Die Daten passierten einen Bandpassfilter von 1–30 Hz. Trials, in denen innerhalb eines sliding windows von 200 ms die Standardabweichung auf den Mittelelektroden 80 µV überschritt, wurden verworfen. Die Mittelung der ERPs erfolgte in einem Zeitfenster von 0–600 ms zum Onset des jeweils dritten Tones relativ zu einer 100 ms prä-stimulus Baseline.

Ergebnisse

Für normalhörende Erwachsene zeigten sich große MMN-Effekte für Tonhöhen- und für Slide-Devianten. Ein schwächerer MMN-Effekt wurde für die Bedingung Timbre beobachtet, während Rhythmus- und Intensitätsdevianten nur sehr geringfügig negativere Amplituden als für Standardstimuli hervorriefen.

Auch die Diskriminationsfähigkeiten der CI-Kinder variierten in Abhängigkeit von der untersuchten Dimension. Ein besonders deutlicher Effekt zeigte sich hier für die Timbre-Unterscheidung. Auch für einen leicht veränderten Rhythmus (30 ms später als in der Standardpräsentation) sowie für vorangestellte Triolen zeigten sich die Kinder sensitiv. Dagegen waren keine reliablen Effekte für Tonhöhen- und Intensitätsabweichungen zu beobachten.

Diskussion

Die Daten deuten auf eine hohe Sensitivität der Kinder hinsichtlich einiger basaler musikalischer Parameter nach einem Jahr CI-Tragedauer. Trotz des im Vergleich zu Normalhörenden deutlich späteren auditiven Inputs erlangen die Kinder innerhalb des ersten Jahres nach CI-Versorgung erstaunlich gute Diskriminationsleistungen, die denen postlingualer erwachsener CI-Träger ähneln [3]. Für eine detailliertere Evaluation und Interpretation der Daten ist es jedoch zunächst notwendig, eine parallelisierte Kontrollgruppe normalhörender Kinder zu erheben. Abschließend läßt sich jedoch festhalten, dass das Untersuchungsparadigma prinzipiell geeignet erscheint, basale Diskriminationsfähigkeiten von jungen CI-Kindern objektiv zu messen.


Literatur

1.
Kral A, Sharma A. Developmental neuroplasticity after cochlear implantation. Trends Neurosci. 2012;35(2):111-22. DOI: 10.1016/j.tins.2011.09.004 External link
2.
Vuust P, Brattico E, Glerean E, et al. New fast mismatch negativity paradigm for determining the neural prerequisites for musical ability. Cortex. 2011;47(9):1091-8. DOI: 10.1016/j.cortex.2011.04.026 External link
3.
Hahne A, Mainka A, Leuner A, Mürbe D. Adult cochlear implant users are able to discriminate basic tonal features in musical patterns: Evidence from event-related potentials. [submitted]