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32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Auswirkungen einer Hörbehinderung auf die psychische Verfassung Betroffener

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Kathleen Tretbar - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Michael Fuchs - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland
  • author Sylvia Meuret - Universitätsklinikum, Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc05

doi: 10.3205/15dgpp11, urn:nbn:de:0183-15dgpp112

Published: September 7, 2015

© 2015 Tretbar et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Im Rahmen der Voruntersuchung für ein Cochlea Implantat (CI) wird gemäß der Leitlinie ein psychologisches Gespräch durchgeführt, um einem möglichen (psychologischen) Interventionsbedarf zu erfassen und ggf. einleiten zu können. Nach einem Jahr mit dem CI erfolgt eine erneute psychologische Untersuchung.

Material und Methoden: Bei Patienten, die aus audiologischer Sicht für ein CI in Frage kommen, wurde präoperativ mithilfe des Beck-Depressions-Inventars (BDI) die Ausprägung depressiver Symptome erfasst. Die Stichprobe umfasste 107 Patienten mit einer bilateralen Hörminderung. Eine erneute Erhebung der depressiven Symptome erfolgt nach einem Jahr mit dem Implantat (N=17).

Ergebnisse: Im Durchschnitt lag der BDI-Wert vor einer möglichen Implantation bei 10.83 Punkten (Range 0 bis 35, SD=8.08), dies entspricht schon einer milden bis mäßigen Ausprägung depressiver Symptome und unterscheidet sich signifikant von der Normstichprobe mit gesunden Probanden. Die Ausprägung depressiver Symptome bei den Frauen unterschied sich nicht von denen der Männer. Nach einem Jahr mit dem CI lag der durchschnittliche BDI-Wert im unauffälligen Bereich bei 9.72 Punkten (Range 0 bis 36, SD=8.84). Dies entspricht einer tendenziellen Verbesserung.

Diskussion: Die Aufmerksamkeit für depressive Symptome bei hörgeschädigten Patienten sollte auch im phoniatrisch-(päd)audiologischen Bereich geschult werden um ggf. eine weitere Behandlung einleiten zu können. Es konnte anhand der wiederholten Erfassung depressiver Symptome eine tendenzielle Verbesserung nach Cochlea Implantation festgestellt werden.


Text

Hintergrund

Eine Hör- und folglich auch Kommunikationsbehinderung wirkt sich auf alle Lebensbereiche und somit auch auf die psychische Gesundheit des Betroffenen aus. Bei Menschen zwischen 20 und 64 Jahren hat ein Hörverlust besonders negative Auswirkungen auf die Ausprägung von Depressionen, Ängstlichkeit, Selbstwertgefühl und Wohlbefinden. Bei Menschen über 65 Jahre stellte Tambs [1] hingegen keine negativen Effekte fest. In verschiedenen Untersuchungen wurde durch die Versorgung mit einem Cochlea Implantat (CI) eine Zunahme der Lebensqualität und infolgedessen eine Abnahme von depressiven Symptomen bei postlingual hörbehinderten Patienten festgestellt [2], [3], [4]. Bei prälingualen Schwerhörigen, die mit einem CI versorgt wurden, zeigte sich eine Zunahme der Lebensqualität (und somit Abnahme depressiver Symptome), jedoch nicht in dem Ausmaß wie bei postlingual schwerhörigen CI-Trägern [5]. Bei den meisten Veröffentlichungen wurde nicht exakt angegeben, ob es sich um Probanden mit einer bilateralen Hörbehinderung handelt. Die vorliegende Studie am Cochlea-Implantat-Zentrum Leipzig (CIZL) setzte sich die Untersuchung depressiver Symptome nach Geschlecht, Zeitpunkt des Hörverlustes und Altersgruppe im Verlauf der CI-Versorgung zum Ziel.

Material und Methoden

Alle erwachsenen Patienten, die aus audiologischer Sicht für ein CI in Frage kommen, erhalten im Rahmen der präoperativen Diagnostik ein psychologisches Gespräch. Ziel ist es u.a. einen möglichen (psychologischen) Interventionsbedarf zu erfassen und ggf. einleiten zu können. Nach einem Jahr mit dem CI erfolgt am CIZL eine erneute psychologische Untersuchung, um die Entwicklung des Patienten gemeinsam zu reflektieren. In der VU sowie der Wiedervorstellung nach einem Jahr mit dem CI (WV) wird mithilfe des Beck Depressions-Inventars (BDI) die Ausprägung allgemeiner depressiver Symptome erfasst, da es für schwerhörige Patienten kein spezifisches Instrument zur Messung depressiver Symptome gibt. Die vorliegende Stichprobe umfasste 107 Patienten mit einer bilateralen Hörbehinderung. Insgesamt nahmen zur VU 107 und zur WV 18 Patienten an der Erhebung teil. Die verbleibenden Patienten waren erst weniger als ein Jahr mit dem CI versorgt, haben sich gegen eine CI-Versorgung entschieden oder kamen nach der VU nicht für ein CI infrage. Die Stichprobe enthielt zum Zeitpunkt der VU 40 männliche sowie 67 weibliche Patienten im Alter von 18 bis 85 Jahren (M=56.5; SD=15.8). In der VU war nur etwa jeder Vierte (26%) seit seiner Geburt bzw. vor dem Spracherwerb hörbehindert, im Vergleich dazu bestand die WV-Gruppe aus etwa 38% prälingual hörbehinderten Patienten.

Ergebnisse

Im Durchschnitt lag der BDI-Wert vor einer möglichen Implantation bei 10.83 Punkten (Range 0 bis 35, SD=8.08), dies entspricht einer milden bis mäßigen Ausprägung depressiver Symptome und unterscheidet sich signifikant von der Normstichprobe aus gesunden Probanden mit einem Mittelwert von 6.45 Punkten [6]. In Abbildung 1 [Abb. 1] werden die durchschnittlichen BDI-Werte der VU und WV aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Eintritt des Hörverlustes und Altersgruppe dargestellt.

Nach einem Jahr mit dem CI zeigt sich bei den männlichen Patienten, den postlingualen (und somit eher hörend sozialisierten) Schwerhörigen und den Patienten über 65 Jahren eine deutliche Verbesserung der depressiven Symptome, im Vergleich dazu wird bei den weiblichen Patienten und bei den Teilnehmern bis 64 Jahre nur eine tendenzielle Verbesserung sichtbar. Einzig bei den prälingualen Hörbehinderten zeigt sich im Verlauf eine Zunahme der depressiven Symptome.

Diskussion

Im Rahmen der VU wurden über alle Untergruppen hinweg erhöhte depressive Symptome deutlich. Eine tendenzielle Verbesserung der depressiven Symptomatik konnte nach der Implantation festgestellt werden, ausgenommen davon waren die prälingualen Schwerhörigen. Diese (wenn auch kleine) Untersuchungsgruppe gab eine deutliche Verschlechterung der depressiven Symptome an. Daraus kann abgeleitet werden, dass es günstig ist auch schon vor einer Implantation Interventionen, wie z.B. Psychoedukation zu depressiven Erkrankungen, anzubieten bzw. auch mögliche Risikofaktoren (bspw. überhöhte Erwartungshaltung an das CI) zu minimieren. Die vorliegenden Ergebnisse legen die Vermutung nahe, dass männliche Patienten und CI-Träger, die erst im Laufe ihres Lebens ihr Hörvermögen verloren haben, hinsichtlich der psychischen Gesundheit mehr von dem CI profitieren. Als Limitation muss aber auch der Stichprobenumfang und das krankheitsunspezifische Messinstrument gesehen werden. Momentan dienen die Daten vielmehr der Formulierung von Annahmen, die es zu prüfen gilt.

Fazit

Es ist notwendig, einen Depressionsfragebogen zu entwickeln, der auch die Lebenswelt Schwerhöriger berücksichtigt. Die Unterscheidung zwischen uni- und bilateraler Schwerhörigkeit sowie dem Eintritt des Hörverlustes ist für die Interpretation der Testergebnisse erforderlich. Generell sollte die Aufmerksamkeit für depressive Symptome bei hörgeschädigten Patienten auch im phoniatrisch-(päd)audiologischen Bereich geschult werden, um ggf. eine weitere Behandlung einleiten zu können.


Literatur

1.
Tambs K. Moderate Effects of hearing loss on mental health and subjective well-being: Results from the nord-trøndelag hearing loss study. Psychosom Med. 2004 Sep-Oct;66(5): 776-82. DOI: 10.1097/01.psy.0000133328.03596.fb External link
2.
Knutson JF, Murray KT, Husarek S, Westerhouse K, Woodworth G, Gantz BJ, Tyler RS. Psychological change over 54 months of cochlear implant use. Ear Hear. 1998 Jun;19(3):191-201. DOI: 10.1097/00003446-199806000-00003 External link
3.
Mo B, Lindbaek M, Harris S. Cochlear implants and quality of life: A prospective study. Ear Hear. 2005 Apr;26(2):186-94. DOI: 10.1097/00003446-200504000-00006 External link
4.
Olze H, Szczepek AJ, Haupt H, Förster U, Zirke N, Gräbel S, Mazurek B. Cochlear implantation has a positive influence on quality of life, tinnitus, and psychological comorbidity. Laryngoscope. 2011 Oct;121(10):2220-7. DOI: 10.1002/lary.22145 External link
5.
Francis HW, Chee N, Yeagle J, Cheng A, Niparko JK. Impact of cochlear implants on the functional health status of older adults. Laryngoscope. 2002 Aug;112(8 Pt 1):1482-8. DOI: 10.1097/00005537-200208000-00028 External link
6.
Hautzinger M, Bailer M, Worall H, Keller F. BDI. Beck-Depression-Inventar. Bern: Verlag Hans Huber; 1994.