gms | German Medical Science

32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

24.09. - 27.09.2015, Oldenburg

Auswirkungen einer musikpädagogischen Intervention auf das Singstimmprofil bei Kindern im Grundschulalter

Vortrag

  • author presenting/speaker Lennart Pieper - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Mike Körner - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Matthias Wiedemann - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • author Franziska Wagner - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
  • corresponding author Michael Fuchs - Universität Leipzig, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 32. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Oldenburg, 24.-27.09.2015. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2015. Doc06

doi: 10.3205/15dgpp01, urn:nbn:de:0183-15dgpp013

Published: September 7, 2015

© 2015 Pieper et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Das Sprech- und Singstimmprofil ist auch bei Kindern essentieller Bestandteil einer multimodalen Stimmdiagnostik. Neben der Frage nach alters- und geschlechtsspezifischen Normwertbereichen, liegt ein besonderer Interessenschwerpunkt in der Untersuchung eines möglichen Einflusses von musikalischer Förderung auf die Kinderstimme.

Material und Methoden: An einer zufällig ausgewählten Stichprobe aus 135 Drittklässlern an 9 Leipziger Grundschulen (62 Knaben, 74 Mädchen) wurden das Sprech- und Singstimmprofil (manueller Modus) unter Verwendung eines selbstkalibrierenden Mikrofons gemessen (DiVAS®, Xion medical). Die Daten wurden zum Schuljahresbeginn von geschulten Medizinern und Musikpädagogen unter Verwendung einer SOP erhoben. Anschließend erfolgte die Unterteilung der Stichprobe in Interventions- und Kontrollgruppe, wobei die Kinder der Interventionsgruppe über ein Jahr eine den regulären Musikunterricht ergänzende musikpädagogische Förderung zur Ausbildung und Entwicklung der kindlichen Stimme erhielten. Am Schuljahresende erfolgte anschließend die postinterventionelle Datenerhebung.

Ergebnisse: Im Prä-Postinterventionellen Vergleich fanden sich in beiden Gruppen bei den Parametern F0max, SPLmax, SPLmin, MPT, Jitter und DSI zum Messzeitpunkt B bessere Werte gegenüber Messzeitpunkt A. Ein signifikantes bis hochsignifikantes Niveau erreichten dabei die Interventionsgruppe bei den Parametern SPLmin (MA=51,86 dB; MB=49,77dB; p<0,001), MPT (MA=9,86 sec.; MB=11,41 sec; p=0,001) und DSI (MA=3,32; MB=4,34; p<0,001). Bei den Kindern der Kontrollgruppe zeigten sich signifikante Verbesserungen bei den Parametern SPLmax (MA=83,20 dB; MB=84,98 dB; p=0,039) und MPT (MA=11,43 sec.; MB=12,90 sec.; p=0,007). Bezüglich des Parameters F0min hingegen zeigten ausschließlich die Kinder der Interventionsgruppe eine Verbesserung (n.s.).

Fazit: Beim Vergleich der Daten der beiden Messzeitpunkte A und B zeigt sich, dass sich die Stimmparameter bei Kindern im Grundschulalter im Laufe eines Jahres messbar verbessern. Darüber hinaus scheint sich ein ergänzendes musikpädagogisches Angebot fördernd auf die stimmlichen Fähigkeiten der Kinder auszuwirken. So sind musikalisch geförderte Kinder postinterventionell in der Lage leiser zu singen und zeigen eine größere Zunahme der maximalen Phonationszeit. Zudem schaffen es geförderte Kinder ihre Stimme im Verlauf tiefer einzusetzen, wohingegen Kinder ohne Förderung eine gegenläufige Tendenz zeigten.


Text

Hintergrund

Das Sprech- und Singstimmprofil ist auch bei Kindern essentieller Bestandteil einer multimodalen Stimmdiagnostik. Neben der Frage nach alters- und geschlechtsspezifischen Normwertbereichen, die bereits anhand der Ergebnisse des ersten Untersuchungsabschnitts dieser Studie im vergangenen Jahr aufgezeigt werden konnten [1], liegt ein weiterer besonderer Interessenschwerpunkt in der Untersuchung des möglichen Einflusses einer musikpädagogischen Förderung von Grundschulkindern auf deren stimmlichen Fähigkeiten.

Material und Methoden

In neun Leipziger Grundschulen, die sich gleichmäßig auf Stadtteile mit unterschiedlichem sozialen Niveau verteilten, wurde an einer zufällig ausgewählten Stichprobe aus 135 Drittklässlern (62 Knaben, 73 Mädchen) das Singstimmprofil (manueller Aufzeichnungsmodus) unter Verwendung eines selbstkalibrierenden Mikrofons gemessen (DiVAS®, Xion medical). Die Messungen erfolgten zu Beginn (Zeitpunkt A) und am Ende (Zeitpunkt B) der dritten Klassenstufe und wurden jeweils von geschulten Medizinern und Musikpädagogen unter Verwendung einer SOP durchgeführt. Nach Messzeitpunkt A erfolgte die Unterteilung der Stichprobe in Interventions- und Kontrollgruppe, wobei 73 Kinder (34 Knaben, 39 Mädchen, mittleres Alter 8,8 Jahre) der Interventionsgruppe und 62 Kinder (28 Knaben, 34 Mädchen, mittleres Alter 9,1 Jahre) der Kontrollgruppe zugeordnet wurden. Zwischen den Zeitpunkten A und B erhielten die Kinder der Interventionsgruppe eine den regulären Musikunterricht ergänzende musikalische Förderung zur Ausbildung und Entwicklung der kindlichen Stimme, die von Musikpädagogen und Musikpädagoginnen der Johann Sebastian Bach Musikschule Leipzig begleitet wurde. Im Zuge dieser Förderung trainierten die Kinder u.a. ihre Stimmwahrnehmung sowie den optimalen Einsatz ihrer Stimme und erlernten sängerische Atemtechniken. Ausgewertet wurden im Anschluss an die Messungen die höchste und niedrigste Grundfrequenz (F0max/F0min), der maximale und minimale Schalldruckpegel (SPL max/min), die maximale Phonationsdauer (MPT), der Jitter und der Dysphonia Severity Index (DSI).

Die Daten der 135 Probanden wurden nach dem Mittelwert der einzelnen Variablen und mittels Wilcoxon-Test auf einem zweiseitigen Signifikanzniveau von 5% verglichen.

Ergebnisse

Im Singstimmprofil ergaben sich folgende Ergebnisse der einzelnen Parameter (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]).

Im prä-postinterventionellen Vergleich fanden sich in beiden Gruppen bei den Parametern F0max, SPLmax, SPLmin, MPT, Jitter und DSI zum Messzeitpunkt B bessere Werte gegenüber Messzeitpunkt A.

In der Interventionsgruppe zeigten die Kinder eine signifikant verlängerte maximale Tonhaltedauer (MPT; p=0,001) sowie hochsignifikante Verbesserungen im Bereich des DSI (p≤0,001). Des Weiteren konnten Kinder der Interventionsgruppe nach Durchlaufen der Intervention ihre Stimme signifikant leiser einsetzen als noch im Jahr zuvor (SPLmin; p≤0,001). Kinder der Kontrollgruppe hingegen waren zum Zeitpunkt der zweiten Messung in der Lage ihre Stimme signifikant lauter einzusetzen als zum Messzeitpunkt A (SPLmax; p=0,039). Eine signifikante Verbesserung zeigte sich bei der Kontrollgruppe, ebenso wie bei der Interventionsgruppe, auch bei der MPT (p=0,007).

Bezüglich der maximalen Stimmfrequenz (F0max) boten beide Gruppen eine ähnlich gute Verbesserung, welche jedoch weder in der Interventionsgruppe (p=0,148) noch in der Kontrollgruppe (p=0,126) ein Signifikanzniveau erreichte. Im Intergruppenvergleich zeigte sich zudem, dass alleine die Kinder der Interventionsgruppe nach Ablauf des Schuljahres ihre Stimme tiefer einsetzen konnten als noch im Vorjahr (p=0,652).

Diskussion

Die vorliegende Studie ermittelte objektive Messdaten zum Singstimmprofil von Grundschulkindern, die sowohl die interventionsunabhängige Entwicklung der Stimmparameter als auch den Effekt einer einjährigen musikpädagogischen Intervention bei Kindern im Grundschulalter dokumentiert. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Parameter im Singstimmprofil von Kindern einer temporären Entwicklung unterliegen und sich im Laufe eines Schuljahrs bereits messbar verändern. Des Weiteren erlauben die Daten die Aussage, dass sich ein ergänzendes musikpädagogisches Angebot fördernd auf die stimmlichen Fähigkeiten von Kindern auswirkt und somit eine positive Beeinflussung der Stimmentwicklung möglich und messbar ist.

Geförderte Kinder sind demnach postinterventionell in der Lage ihre Stimme leiser einzusetzen und zeigen eine größere Zunahme der maximalen Phonationszeit. Eine Zunahme der Phonationszeit zeigte sich auch bei den Kindern der Kontrollgruppe und ist möglicherweise durch die bei beiden Gruppen vermutlich gleich große entwicklungsphysiologische Zunahme des Lungenvolumens zu erklären. Des Weiteren mag die Zunahme der Phonationszeit auf eine altersabhängige Verbesserung der Luftstromführung auf Glottiseben zurückzuführen sein, da bei Kindern mit zunehmendem Alter zum einen die Tendenz zur Abnahme des Drucks unterhalb der Stimmlippen besteht und zum anderen eine Zunahme der Durchflussrate an den Stimmlippen zu beobachten ist [2].

Kinder ohne musikalische Förderung schafften es zwar ihre Stimme nach einem Jahr lauter einzusetzen, jedoch steht diese Zunahme der stimmdynamischen Verbesserung der Interventionsgruppe leisere Töne produzieren zu können gegenüber, die bei der Interventionsgruppe deutlicher ausfielen.

Im Tonhöhenumfang zeigten sich bei beiden Gruppen lediglich Tendenzen. So schaffen es Kinder mit musikalischer Förderung ihre Stimme im Verlauf tiefer einzusetzen.

Bei den DSI-Werte zeigte sich in beiden Gruppen eine Verschiebung zu besseren Werten, die jedoch nur in der Interventionsgruppe ein signifikantes Niveau erreichte. An dieser Stelle ist jedoch kritisch anzumerken, dass die Verwendung des DSI bei Kindern nach aktueller Studienlage noch nicht ausreichend verifiziert ist und dieser Parameter daher mit Vorsicht zu betrachten ist.

Die Ergebnisse der Studie bestätigen somit den (positiven) Effekt einer musikpädagogischen Intervention und erlauben zudem die Abschätzung von zu erwartenden Veränderungen im Singstimmprofil von Grundschulkindern im Laufe eines Jahres.


Literatur

1.
Wagner F, Pieper L, Körner M, Schubotz M, Wiedemann M, Fuchs M, Ludwig A. Epidemiologische Daten aus Sprech- und Singstimmprofilen von Grundschülern. In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV18. DOI: 10.3205/14dgpp28 External link
2.
Keilmann A, Bader CA. Development of aerodynamic aspects in children's voice. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 1995;31:183-90. DOI: 10.1016/0165-5876(94)01089-G External link