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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Zur Sensitivität und Spezifität von AVWS-Tests für Grundschulkinder

Postervortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Andreas Nickisch - kbo-KInderzentrum München, München, Deutschland
  • author Christiane Kiese-Himmel - Fachgebiet Phoniatrisch/Pädaudiologische Psychologie am Institut Medizinische Psychologie u. Medizinische Soziologie, Göttingen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocP8

doi: 10.3205/14dgpp32, urn:nbn:de:0183-14dgpp321

Published: September 2, 2014

© 2014 Nickisch et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Sensitivität und Spezifität sind Maße zur Beurteilung der Güte eines Tests.

Material und Methoden: Unter Einbezug von klinischen Fällen (AVWS) und Kontrollen wurden Sensitivität und Spezifität von 10 diagnostischen Tests einer AVWS-Testkombination mittels ROC-Analysen bestimmt. Ferner wurde der maximale Youden-Index (Sensitivität + Spezifität minus 1) berechnet, der die maximale Effektivität eines Tests angibt. Von 178 Grundschulkindern der 2.-4. Klasse war bei 91 Kindern (51%) diagnostisch eine AVWS gesichert und mit den Daten von 87 unauffälligen Kindern ohne SSES oder LRS verglichen (Non-AVWS) worden.

Ergebnisse: Für alle diagnostischen Tests wurde das Verhältnis von Sensitivität und Falsch-Positiv-Rate (1 minus Spezifität) ermittelt. Eine sehr gute Relation ließ sich für den „Mottier-Test“ belegen (Area Under Curve AUC: .96; p=.000; 95%-CI: .93– .99). Der Cut-Off-Wert zur Trennung von Kindern mit AVWS vs. Non-AVWS lag bei 17,5 Rohwertpunkten (Sensitivität: 90,1%; Falsch-Positiv-Rate: 6,9%). Der maximale Youden-Index (0,83) lag ebenfalls bei diesem Schwellenwert. Eine gleichermaßen hohe diskriminatorische Testgüte wurde für den HSET-Subtest „Imitation grammatischer Strukturformen“ nachgewiesen. Die AUC als globales Maß für die Testgüte betrug .94 (p=.000; CI: .90–.98). Bei einem Schwellenwert von 21,5 wurden 85% der Kinder richtig klassifiziert (Falsch-Positiv-Rate 2,3%.) Der Youden-Index war mit 0,82 beim selben Schwellenwert am größten.

Diskussion: Der Einsatz bestimmter non-invasiver diagnostischer Tests aus der AVWS-Testbatterie gem. der jeweiligen Sensitivitätswerte scheint besonders empfehlenswert, weil in der AVWS-Diagnostik dadurch die Möglichkeit verbessert wird, eine AVWS auszuschließen. Zur inhaltlichen Bestimmung der AVWS sowie der therapierelevanten auditiven Bereiche ist die vollständige Anwendung der AVWS-Testbatterie unverzichtbar.


Text

Hintergrund

In Vorstudien an Zweit-, Dritt-, und Viertklässlern [1], [2] konnte gezeigt werden, dass die diagnostische Klassifikation in „AVWS“ und „Non-AVWS“ durch die Kombination von 3 bzw. 4 Untersuchungsinstrumenten aus der bewährten AVWS-Testbatterie mit einer korrekten Gruppenzuordnung von 94,1% bzw. 97,5% gut gelang. Bei Zweitklässlern war dies mit 4 Tests (Mottier-Test; Göttinger Sprachaudiometrie im Störgeräusch; Uttenweiler-Test; PET-Subtest Zahlenfolgengedächtnis) möglich, bei Dritt- und Viertklässlern mit 3 Untersuchungsinstrumenten (Mottier-Test; Göttinger Sprachaudiometrie im Störgeräusch; Phonemdifferenzierung aus dem Heidelberger Lautdifferenzierungstest). Dennoch gab es eine kleine Zahl falsch klassifizierter Kinder, weswegen nun statistische Gütekriterien zum Klassifikationsvermögen der einzelnen Untersuchungsinstrumente der AVWS-Testbatterie erarbeitet werden sollten.

Studienkollektiv

Insgesamt wurden 178 Grundschulkinder der 2.–4. Klasse untersucht. Bei 91 Kindern war diagnostisch eine AVWS gesichert worden (Durchschnittsalter 8,53 Jahre; SD 0,98; Range 7–10). Diese Gruppe (AVWS) wurde mit den Daten von 87 unauffälligen Kindern ohne SSES oder LRS verglichen (Non-AVWS; Durchschnittsalter 8,36 Jahre; SD 1,0; Range 7–10).

Methode

Anhand der erhobenen Daten wurden die Sensitivität und die Spezifität der 10 diagnostischen Tests der AVWS-Testbatterie mittels Analyse der Receiver Operating Characteristic (ROC-) Kurven bestimmt. Aus dem Psychoakustischen Testsystem (PaTsy) wurden nur die beiden Subtests in die Analyse einbezogen, bei denen in den o.g. Vorstudien signifikante Gruppendifferenzen zwischen AVWS- und Non-AVWS-Gruppe vorlagen. Das war der Fall bei der „Tonhöhendifferenzierung“ und der „monauralen Ordnungsschwelle“. Zudem wurde für jeden Test der Youden Index als Maß zur Beurteilung der diagnostischen Testgüte berechnet und mit diesem Kriterium der Cutpoint bestimmt, d.h. dasjenige Testresultat, welches die Grenze von „AVWS“ und „Non-AVWS“ mit dem günstigsten Verhältnis von Sensitivität und Falsch-Positiv-Rate anzeigt (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Ergebnisse

Eine hohe diskriminatorische Testgüte ließ sich für den „Mottier-Test“ belegen (AUC-Area Under the Curve: .96; p=.000). Der Cut-Off-Wert zur Trennung von Kindern mit AVWS vs. Non-AVWS lag bei 17,5 Rohwertpunkten (Sensitivität: 90,1%; Spezifität: 93,1%; Falsch-Positiv-Rate: 6,9%; maximaler Youden Index: 0,83).

Eine gleichermaßen hohe diskriminatorische Testgüte wurde für den HSET-Subtest „Imitation grammatischer Strukturformen“ nachgewiesen. Der maximale Youden Index betrug 0,82. Die AUC, ein globales Maß für die Testgüte, belief sich auf .94 (p=.000). Bei einem Schwellenwert von 21,5 wurden 84,7% der Kinder richtig klassifiziert; Falsch-Positiv-Rate: 2,3%; Spezifität: 97,7%.

Eine mittlere bis hohe diskriminatorische Testgüte (AUC zwischen 0.83 und 0.88) wurde für die folgenden 3 Untersuchungsinstrumente ermittelt: den Subtest Zahlenfolgen (PET), Göttinger Sprachaudiometrie im Störgeräusch sowie Subtest Phonemidentifikation aus dem HLAD.

Die AUC war mittelmäßig (zwischen .75 und .78) für die folgenden 3 Untersuchungsinstrumente: Subtest Phonemdifferenzierung (HLAD), den Uttenweiler-Test und den Subtest Phonemanalyse aus dem HLAD.

Im Gegensatz zu den vorher genannten Instrumenten sind Testresultate in den beiden Patsy-Tests umso schlechter zu bewerten, je höher der Ergebniswert ist. Die AUC für die Prüfdimension Tonhöhe war mit .80 mäßig bis hoch sowie für die monaurale Ordnungsschwelle mit .72 mäßig.

Diskussion

Ziel der AVWS-Diagnostik ist die Vermeidung von Fehlklassifikationen. In den aktuellen internationalen und nationalen Konsensuspapieren wird für die Diagnosestellung einer AVWS postuliert, dass in mindestens zwei auditiven Funktionen Testergebnisse ≥2 Standardabweichungen unter dem Altersmittel nachgewiesen sind. Nicht alle eingesetzten Untersuchungsinstrumente verfügen aber über aktuelle Norm- oder empirisch verifizierte Trennwerte zwischen „auffälligen“ und „unauffälligen“ Testresultaten. Cutpoints, die durch nicht optimale Kriterien gewonnen oder gar willkürlich festgelegt werden, bergen die Gefahr von Fehlklassifikationen, wenngleich es letztlich jedoch immer auf eine wertende Abwägung zwischen Sensitivität und Spezifität im Hinblick auf die Intention eines Untersuchungsinstruments ankommt.

Die individuelle Problematik ist stets auch auf dem Hintergrund des jeweiligen Testergebnisses eines Kindes zu reflektieren und im Sinne eines sogen. „Cross-Checks“ mit den übrigen Testergebnissen sowie vor allem auch mit den geschilderten Auffälligkeiten oder Beschwerden, z.B. im Schulalltag, in Bezug zu setzen [3], [4]. Nur so lässt sich eine adäquate Gewichtung der beeinträchtigten Funktionen im Hinblick auf Therapiemaßnahmen bzw. Förderkonzepte vornehmen.

Fazit

Durch die vorliegende Studie stehen nun für Grundschulkinder der 2. bis 4. Schulklassenstufe für die überprüften Untersuchungsinstrumente jeweils Cut-Off-Werte zur Verfügung (unter Kenntnis der jeweiligen Sensitivität, Spezifität und Falsch-Positiv-Rate), was für die Zukunft eine deutlich bessere Transparenz und Klarheit in der Diagnostik auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bedeutet.


Literatur

1.
Nickisch A, Kiese-Himmel C. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistungen 8- bis 10-Jähriger: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern. Laryngorhinootologie. 2009 Jul;88(7):469-76. DOI: 10.1055/s-0028-1119403 External link
2.
Nickisch A, Gohde K, Kiese-Himmel C. AVWS bei Regeschülern im 2. Schuljahr: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern?. Laryngorhinootologie. 2013 Sep;92(9):594-9. DOI: 10.1055/s-0031-1299758 External link
3.
Nickisch A, Schönweiler R; German Society for Phoniatry and Pedaudiology. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen – Differenzialdiagnose. Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. HNO. 2011 Apr;59(4):380-4. DOI: 10.1007/s00106-011-2261-8 External link
4.
American Academy of Audiology. Diagnosis, Treatment and Management of Children and Adults with Central Auditory Processing Disorder. 2010. (American Academy of Audiology Clinical Practice Guidelines.) Available from: http://www.audiology.org/resources/documentlibrary/documents/capd%20guidelines%208-2010.pdf [last accessed at 2014-05-28] External link