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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Die oropharyngeale Dysphagie: Bedeutung, Genese und ihre sozioökonomische Relevanz

Habilitationsvortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Hey - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, KHNO, Universitätsklinikum, Frankfurt/Main, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV17

doi: 10.3205/14dgpp27, urn:nbn:de:0183-14dgpp274

Published: September 2, 2014

© 2014 Hey.
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Zusammenfassung

Mehr als fünf Millionen Menschen sind in Deutschland von einer oropharyngealen Dysphagie betroffen. Die Tendenz ist steigend. Gründe hierfür sind die zunehmende Altersstruktur unserer Gesellschaft und die verbesserte Akutversorgung. Multiple Erkrankungen aus den unterschiedlichsten medizinischen Teilgebieten können Schluckstörungen verursachen. Allen voran stehen der akute Schlaganfall und Kopf-Hals-Tumoren, darüber hinaus zunehmend im Fokus auch geriatrische und langzeitintubierte Patienten. Damit involviert und fordert dieses Symptom, wie kaum ein anderes eine Vielzahl medizinischer Fachdisziplinen. Neben dem Verlust an Lebensqualität für die Patienten führt eine oropharyngeale Schluckstörung auch zu hohen finanziellen Belastungen des Gesundheitssystems, infolge einer gesteigerten Inzidenz von Komorbiditäten wie Malnutrition, vor allem jedoch Aspirationspneumonie, verbunden mit prolongierter stationärer Verweildauer. Das Missmanagement einer oropharyngealen Schluckstörung erhöht die allgemeinen Behandlungskosten mitunter enorm. Bei einer Aspirationspneumonie beispielsweise belaufen sich die finanziellen Aufwände auf 17.000 US-Dollar pro Ereignis, ein Betrag, der bei Auftreten weiterer Komorbiditäten deutlich ansteigt. Allein in den USA wurden im Zeitraum 2005 bis 2006 die Kosten des Missmanagements einer Schluckstörung auf 547.307.964 US $ pro Jahr geschätzt.

Diese Zahlen unterstreichen die sozioökonomische Relevanz der Schluckstörung und die Notwendigkeit der konsequenten Implementierung eines evidenzbasierten Dysphagiemanagements, ausgerichtet auf die jeweilige Patientenpopulation, mit früher Identifikation durch valide, zeiteffiziente Screeningverfahren, zuverlässiger apparativer Diagnostik und Therapiemethoden.


Text

Eine oropharyngeale Dysphagie wird hinsichtlich ihrer Bedeutung und sozioökonomischen Relevanz nach wie vor unterschätzt. Dabei sind mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland von einer solchen Schluckstörung betroffen. Die Tendenz ist steigend. Gründe hierfür sind die zunehmende Altersstruktur unserer Gesellschaft und die verbesserte Akutversorgung. Multiple Erkrankungen aus den unterschiedlichsten medizinischen Teilgebieten können durch Einschränkungen der sensomotorischen Steuerung und/oder veränderte schluckrelevante oropharyngolaryngeale Strukturen eine Dysphagie bedingen. Allen voran steht bei Erwachsenen der akute Schlaganfall mit einer Inzidenz von 260.000 Betroffenen pro Jahr in Deutschland als häufigste Ursache [1]. Bei den strukturell bedingten sind es im Wesentlichen Kopf-Hals-Tumor-Patienten mit einer jährlichen Inzidenz von 16.520 [2].

Während diese Erkrankungen als Genese weitläufig bekannt sind, geraten zunehmend weitere Patientenpopulation wie die geriatrischen, vor allem jedoch auch Patienten nach Langzeitintubation ins Bewusstsein und damit den Fokus des klinischen und wissenschaftlichen Interesses.

Damit involviert und fordert dieses Symptom, wie kaum ein Anderes eine Vielzahl medizinischer Fachdisziplinen. Neben dem Verlust an Lebensqualität für die Patienten führt eine oropharyngeale Dysphagie auch zu hohen finanziellen Belastungen des Gesundheitssystems [3], infolge einer gesteigerten Inzidenz von Komorbiditäten wie Malnutrition, vor allem jedoch Aspirationspneumonie, verbunden mit prolongierter stationärer Verweildauer [4], [5]. Das Missmanagement einer oropharyngealen Schluckstörung erhöht die allgemeinen Behandlungskosten mitunter enorm. Bei einer Aspirationspneumonie beispielsweise belaufen sich die finanziellen Aufwände auf 17.000 US-Dollar pro Ereignis, ein Betrag, der bei Auftreten weiterer Komorbiditäten deutlich an Höhe gewinnt [3]. Allein in den USA wurden im Zeitraum 2005 bis 2006 die Kosten des Missmanagements einer Schluckstörung auf 547.307.964 US $ pro Jahr geschätzt [6].

Die Inzidenz einer oropharyngealen Dysphagie und die durch Sekundärkomplikationen verursachten Kosten unterstreichen die sozioökonomische Relevanz der Schluckstörung als Folgeproblematik vieler Erkrankungen und die Notwendigkeit der konsequenten Implementierung eines evidenzbasierten Dysphagiemanagements. Mehr denn je wird bei dem derzeitigen aktuellen Interesse dieser hochbrisanten Problematik auch der Bedarf an Standardisierung in Bezug auf Diagnostik und Therapie sowie eine einheitliche Sprache evident.

Doch wie der Masse an Betroffenen begegnen? Wie 5 Millionen Dysphagiepatienten eine gute Lebensqualität ermöglichen und damit auch dem Gesundheitssystem die hohen Kosten einer Schluckproblematik ersparen, mindestens reduzieren?

Die beiden weltweit als Goldstandard etablierten und anerkannten komplementären Diagnostikverfahren, FEES (Fiberoptisch Endoskopische Evaluation des Schluckvorganges nach Langmore) und VFSS (Videofluoroskopie) sind zeit- und personalintensiv, sofern sie korrekt durchgeführt und ausgewertet werden.

Ein vorstellbarer Lösungsansatz bildet die flächendeckende Einführung und Umsetzung von validen und zeiteffizienten Screeningverfahren. Auch wenn sie die Topodiagnostik, Pathophysiologie und damit die Biomechanodynamik einer Schluckstörung nicht erfassen, so bieten sie die Chance auf frühzeitige Identifizierung einer Aspiration, Oralisierungseinschränkung und damit einer therapierelevanten Schluckstörung, sofern sie auf die jeweilige Patientenpopulation zugeschnitten und untersucht wurden.

Die frühzeitige Identifizierung eines Schluckproblems wiederum ist der erste entscheidende Schritt zur Vermeidung von Aspiration und Malnutrition sowie die Einleitung einer Frührehabilitation bereits im akutstationären Setting, sprich für ein suffizientes Dysphagiemanagement. Ein solches sollte daher zwingend, mindestens bei den Patientenpopulationen, die eine hohe Anzahl von Hochrisikopatienten aufweisen, konsequent Anwendung finden, wie dies beispielsweise bei Schlaganfallpatienten, aber auch bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumor der Fall ist.

Dabei kann, muss und sicherlich wird langfristig dieser Ansatz multiprofessionell und interdisziplinär erfolgen als wesentliche Voraussetzung für eine optimale Krankenversorgung unter sozioökonomischen Gesichtspunkten.


Literatur

1.
Heuschmann PU, Busse O, Wagner M, Endres M, Villringer A, Röther J, Kolominsky-Rabas PL, Berger K; Kompetenznetz Schlaganfall; Deutsche Schlaganfall Gesellschaft; Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Schlaganfallhäufigkeit und Versorgung von Schlaganfallpatienten in Deutschland. Akt Neurol. 2010;37:333-40. DOI: 10.1055/s-0030-1248611 External link
2.
Robert Koch-Institut; Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V., Hrsg. Krebs in Deutschland 2009/2010. 9. Ausgabe. Berlin: Robert Koch-Institut; 2013. (Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes.)
3.
Altman KW, Yu GP, Schaefer SD. Consequence of dysphagia in the hospitalized patient: impact on prognosis and hospital resources. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2010 Aug;136(8):784-9. DOI: 10.1001/archoto.2010.129 External link
4.
Daniels SK, Anderson JA, Willson PC. Valid items for screening dysphagia risk in patients with stroke: a systematic review. Stroke. 2012 Mar;43(3):892-7. DOI: 10.1161/STROKEAHA.111.640946 External link
5.
Semenov YR, Starmer HM, Gourin CG. The effect of pneumonia on short-term outcomes and cost of care after head and neck cancer surgery. Laryngoscope. 2012 Sep;122(9):1994-2004. DOI: 10.1002/lary.23446 External link
6.
Cichero JA, Altman KW. Definition, prevalence and burden of oropharyngeal dysphagia: a serious problem among older adults worldwide and the impact on prognosis and hospital resources. Nestle Nutr Inst Workshop Ser. 2012;72:1-11. DOI: 10.1159/000339974 External link