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31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

18.09. - 21.09.2014, Lübeck

Zusammenhang von 2D:4D – ein möglicher Marker pränatalen Testosterons – mit ausgesuchten Sprachentwicklungsleistungen im Kindergartenalter

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. Akademie für Hörgeräte-Akustik. 31. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) zusammen mit dem 5. Pädakustiker-Symposium der Akademie für Hörgeräte-Akustik. Lübeck, 18.-21.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocV16

doi: 10.3205/14dgpp26, urn:nbn:de:0183-14dgpp267

Published: September 2, 2014

© 2014 Lange et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Der Zusammenhang zwischen pränatalem Testosteron (PT), messbar über das Längenverhältnis von Zeigefinger-Ringfinger (2D:4D; je höher, desto niedriger PT), und verschiedenen Aspekten von Verhalten, Erleben und Kognition wurde in den vergangenen Jahren vielfach gezeigt. Die vorliegende Studie knüpft daran an und untersucht, ob der in der Literatur vermutete Zusammenhang zwischen PT und Sprachentwicklung im Kindergartenalter besteht.

Material und Methoden: Von 173 Kindergartenkindern (91 Jungen, 82 Mädchen) im Alter von 3–4 Jahren wurden 2D:4D bestimmt und deren Sprachleistungen anhand folgender Instrumente beurteilt: SETK 3-5-Subtests Verstehen Sätze (VS), Phonologisches Arbeitsgedächtnis Nichtwörter (PGN); KISTE-Subtests Erkennen Grammatikalischer u. Semantischer Inkonsistenzen (IGR, ISEM) inkl. Gesamtscore; WET-Subtests Wörter Erklären (WE), Puppenspiel (PS).

Ergebnisse: Jungen und Mädchen unterschieden sich signifikant hinsichtlich 2D:4D. Da 2D:4D mit dem Geschlecht konfundiert ist, wurden alle Analysen (lineare Regressionen) getrennt für Jungen und Mädchen durchgeführt. Bei Jungens korrelierte 2D:4D durchgängig signifikant positiv mit den Sprachleistungen VS, WE und PS (10% erklärte Varianz). Bei PS trennte 2D:4D signifikant zwischen Mädchen mit normaler (C≥4) und solchen mit auffälliger Sprachentwicklung (C<4). Da 2D:4D gem. Literatur mit Ethnie konfundiert ist, wurde eine ethnisch homogene Subgruppe gebildet (N=63), in der wiederum geschlechtsspezifisch ausgewertet wurde. Erneut war 2D:4D positiv mit Sprachleistungen assoziiert: WE tendenziell signifikant für Jungen, signifikant für Mädchen (16% erklärte Varianz), PS signifikant sowohl für Jungen (16% erklärte Varianz) als auch für Mädchen (28% erklärte Varianz).

Fazit: Es besteht ein Zusammenhang von PT mit den ausgesuchten Sprachentwicklungsmarkern. Wie der Mechanismus dahinter beschaffen ist, wird diskutiert.


Text

Hintergrund

Der Zusammenhang zwischen pränatalem Testosteron (PT), messbar über das Längenverhältnis von Zeigefinger-Ringfinger (2D:4D; je höher, desto niedriger PT), und verschiedenen Aspekten von Verhalten, Erleben und Kognition wurde in den vergangenen Jahren vielfach gezeigt [1]. Mittlerweile ist auch ein Zusammenhang zwischen 2D:4D und Wortschatzentwicklung dokumentiert [2]. Die vorliegende Studie knüpft daran an und untersucht, ob der Zusammenhang zwischen PT und Sprachentwicklung im Kindergartenalter tatsächlich besteht, und zwar nicht nur bezüglich des Wortschatzes, sondern auch hinsichtlich des Verständnisses grammatikalischer Strukturen. Außerdem wird der Frage nachgegangen, ob 2D:4D zwischen Kindern mit normaler und solchen mit auffälliger Sprachentwicklung trennen kann.

Methode und Studienkollektiv

In einer korrelativen Studie wurde 2D:4D an 173 Kindergartenkindern (91 Jungen, 82 Mädchen) im Alter von 3 bis 4 Jahren bestimmt. Dazu wurden die Finger beider Hände in jeweils zwei Modi (Finger zusammen; Finger gespreizt) mittels eines Flachbettscanners (Canon CanoScan LiDE 25) gescannt und anschließend von zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander hinsichtlich 2D:4D vermessen (mit zufrieden stellender Beurteilerübereinstimmung). Für die statistischen Analysen wurde ein Mittelwert aus den ermittelten 2D:4D-Verhältnissen verwendet.

Die Sprachleistungen der Kinder wurden anhand folgender Instrumente beurteilt:

  • Subtests „Verstehen von Sätzen“ (VS) und „Phonologisches Arbeitsgedächtnis für Nichtwörter“ (PGN) aus dem Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3-5; [3])
  • Subtests „Erkennen Semantischer Inkonsistenzen“ (ISEM) und „Erkennen Grammatischer Inkonsistenzen“ (IGR) aus dem Kindersprachtest für das Vorschulalter (KISTE; [4]) inkl. Bildung eines Gesamtscores;
  • Subtests „Wörter Erklären“ (WE; erfasst Wortschatz, Begriffsbildung) und „Puppenspiel“ (erfasst Sprachverständnis und verbales Interaktionsverstehen) aus dem Wiener Entwicklungstest (WET; [5]);

In einer linearen Regression wurden als abhängige Variable die Normwerte für die individuelle Sprachleistung verwandt. Unabhängige Variable war 2D:4D der rechten Hand. Die rechte Hand wurde gewählt, da rechtes 2D:4D vermutlich ein valideres Maß für PT darstellt als linkes 2D:4D [6]. Als Effektgröße für diesen Zusammenhang wurde der Determinationskoeffizient (R2) bestimmt.

Ergebnisse

Jungen und Mädchen unterschieden sich statistisch signifikant und mit moderater Effektstärke hinsichtlich 2D:4D (rechte Hand: Ms=0.938 vs. 0.951; p=.002, d=-0.49). Da 2D:4D mit dem Geschlecht konfundiert ist, wurden daraufhin alle Analysen getrennt für Jungen und Mädchen durchgeführt.

Bei den Jungen korrelierte 2D:4D durchgängig signifikant positiv mit den Sprachleistungen bei VS (p=.019, R2=.052), WE (p=.039, R2=.038) und PS (p=.002, R2=.100). Bei den Mädchen gingen die Zusammenhänge in dieselbe Richtung, verfehlten aber die statistische Signifikanz. Bei PS hingegen trennte 2D:4D statistisch bedeutsam zwischen Mädchen mit normaler (C≥4) und solchen mit auffälliger Sprachentwicklung (C<4) (Ms=0.966 vs. 0.945; p=.005; d=0.71).

Da 2D:4D gem. Literatur mit Ethnie konfundiert ist [7], wurde eine ethnisch homogene Subgruppe gebildet (kaukasisch-weiß/europäisch; N=63), in der wiederum geschlechtsspezifisch ausgewertet wurde. Erneut war 2D:4D positiv mit den Sprachleistungen assoziiert: WE tendenziell signifikant für Jungen (p=.058, R2=.080), signifikant für Mädchen (p=.021, R2=.164), PS signifikant sowohl für Jungen (p=.013, R2=.157) als auch für Mädchen (p=.003, R2=.275).

Diskussion

Ein negativer Zusammenhang von PT mit ausgesuchten Sprachentwicklungsmarkern konnte bestätigt werden, entsprechend dem einleitend dargestellten Sachverhalt. Dieser wurde nicht nur für Wortschatz, sondern auch für das Verständnis grammatikalischer Strukturen gefunden. In dieser Leistungsdimension trennte 2D:4D außerdem signifikant zwischen Mädchen mit normaler und solchen mit auffälliger Entwicklung. Das heißt, dass nicht nur männliches Geschlecht einen Risikofaktor für die Sprachentwicklung darstellt, sondern ebenso PT (auch bei Mädchen).

Nun stellt sich die Frage, wie der Mechanismus hinter den gefundenen Zusammenhängen beschaffen ist. Eine Hypothese [8] nimmt an, dass PT einen Störfaktor bei der Entwicklung der linken Hirnhemisphäre darstellt, wo Sprache bei den meisten Menschen verarbeitet wird. Denkbar ist allerdings auch, dass PT, vermittelt über postnatale Verhaltenspräferenzen, auf die Sprachentwicklung Einfluss nimmt: Niedriges PT könnte mit der Präferenz für soziale Interaktionen zusammenhängen, die dann positiv auf die Sprachentwicklung wirkt.

Fazit

2D:4D bietet einen vielversprechenden Forschungsansatz für (sprach-)entwicklungsbezogene Aspekte. Der Aufwand ist – verglichen mit direkteren Methoden (z.B. PT-Bestimmung mittels Amniozentese) – vergleichsweise gering.


Literatur

1.
Manning JT. Digit ratio. A pointer to fertility, behavior, and health. New Brunswick, NJ: Rutgers University Press; 2002.
2.
Albores-Gallo L, Fernndez-Guasti A, Hernndez-Guzmn L, List-Hilton C. 2D:4D finger ratio and language development. Rev Neurol. 2009;48: 577-81.
3.
Grimm H. Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder SETK 3-5. In: Diagnose von Sprachverarbeitungsfähigkeiten und auditiven Gedächtnisleistungen. Göttingen: Hogrefe; 2001.
4.
Häuser D, Kasielke E, Scheidereiter U. Kindersprachtest für das Vorschulalter (KISTE). Weinheim, Basel: Beltz; 1994.
5.
Kastner-Koller U, Deimann P. Der Wiener Entwicklungstest (WET). 2. Auflage. Göttingen: Hogrefe; 2002.
6.
Hönekopp J, Watson S. Meta-analysis of digit ratio 2D:4D shows greater sex difference in the right hand. Am J Hum Biol. 2010;22: 619-30. DOI: 10.1002/ajhb.21054 External link
7.
Manning JT, Churchill AJ, Peters M. The effects of sex, ethnicity, and sexual orientation on self-measured digit ratio (2D:4D). Arch Sex Behav. 2007;36: 223-33. DOI: 10.1007/s10508-007-9171-6 External link
8.
Geschwind N, Galaburda AM. Cerebral Lateralization: biological mechanisms, associations and pathology. Cambridge, MA: MIT Press; 1987.