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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Evaluation der CI-Rehabilitation postlingual ertaubter Erwachsener mittels evozierter Sprachpotentiale

Vortrag

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  • corresponding author presenting/speaker Anja Hahne - SCIC, Universitätsklinikum, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - SCIC, Universitätsklinikum, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV48

doi: 10.3205/13dgpp90, urn:nbn:de:0183-13dgpp904

Published: September 5, 2013

© 2013 Hahne et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Postlingual ertaubte Erwachsene können in der Regel mit einem Cochlea-Implantat (CI) gut rehabilitiert werden, wenngleich es deutliche interindividuelle Differenzen gibt. In jedem Fall aber erfordert das Sprachverstehen mit CI zunächst einen Lernprozess, da die resultierenden sprachlichen Wahrnehmungen nicht mit den im Gehirn gespeicherten Repräsentationen übereinstimmen. Die vorliegende Studie untersucht diese Lernprozesse mittels evozierter Potentiale auf akustisch präsentierte Wörter.

Material und Methoden: 11 CI-versorgte Erwachsene mit beidseitiger, postlingualer Hörschädigung nahmen an dem Experiment teil. In den ersten vier Tagen nach Aktivierung des Sprachprozessors sowie nach weiteren 2 Monaten wurden bei allen Patienten EEG-Messungen durchgeführt. Es wurden Wörter präsentiert, die von Bildinformationen begleitet wurden, die entweder einer korrekten Bezeichnung des dargestellten Gegenstandes entsprachen oder nicht. Nach einer Lernphase wurden dieselben Bild-Wortpaarungen erneut präsentiert, gepaart mit neuen Bild-Wortkombinationen. Anschließend wurden akustisch evozierte Potentiale auf den Wortstimulus gemittelt.

Ergebnisse: Bereits in den ersten Tagen nach Erstanpassung konnte ein Kongruenzeffekt im EKP beobachtet werden. Dieser Effekt trat jedoch im Vergleich zu klassischen N400-Effekten sehr spät auf (~ ab 800 ms nach Wortonset). Im Anschluss an eine Lernphase war die Latenz des Effektes jedoch bereits um etwa 200 ms reduziert. Für zuvor nicht gehörte Wörter war der Kongruenzeffekt deutlich schwächer ausgeprägt. Nach 2 Monaten CI-Tragedauer hatten sich alle Kongruenzeffekte deutlich stabilisiert und zeigten frühere Onsetlatenzen und größere Amplituden, wenngleich die Latenzen noch nicht mit denen Normalhörender vergleichbar waren.

Diskussion: Die Daten quantifizieren den sprachlichen Adaptations- und Lernprozess bei postlingual ertaubten CI-Patienten. Während das Sprachverarbeitungssystem zu Beginn der Prozessoraktivierung noch erheblich mehr Zeit für ein Matching von gehörter Information und gespeicherter Repräsentation der Wörter benötigt, nimmt diese Verarbeitungszeit mit zunehmender Tragedauer ab. Interessant ist, dass die Lernprozesse sich zu Beginn vornehmlich auf die lexikale Ebene beschränken, während später dann auch verstärkt prälexikale Lernprozesse evident sind.


Text

Hintergrund

Postlingual ertaubte Erwachsene können in der Regel mit einem Cochlea-Implantat (CI) gut rehabilitiert werden, wenngleich es deutliche interindividuelle Differenzen gibt. In jedem Fall aber erfordert das Sprachverstehen mit CI zunächst einen Lernprozess, da die resultierenden sprachlichen Wahrnehmungen nicht mit den im Gehirn gespeicherten Repräsentationen übereinstimmen. Die vorliegende Studie untersucht diese Lernprozesse mittels evozierter Potentiale auf akustisch präsentierte Wörter. Im Fokus steht dabei die N400-Komponente. Sie kann als die etablierteste sprachliche EKP-Komponente angesehen werden und ermöglicht eine objektive Erfassung lexikaler Verarbeitung (vgl. [1]). Die N400-Komponente wird durch die Erwartung eines spezifischen Wortes in einem Kontext, durch die Worthäufigkeit und/oder die Wiederholung eines Wortes moduliert. In Lernstudien zeigte sich diese Komponente als ein valider Indikator lexikaler Lernprozesse. Sie scheint daher geeignet, den Lernerfolg innerhalb der Rehabilitation von CI-Patienten zu quantifizieren und zum Verständnis der zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen beizutragen.

Material und Methoden

11 CI-versorgte Erwachsene (5 weiblich, mittleres Alter 62 Jahre) mit beidseitiger, postlingualer Hörschädigung nahmen an dem Experiment teil. In den ersten vier Tagen nach Aktivierung des Sprachprozessors sowie nach weiteren 2 Monaten wurden bei allen Patienten EEG-Messungen durchgeführt. Dabei wurden 9 Skalppositionen des 10–20er Systems verwendet (Fz, Cz, Pz, F3/4, C3/4, P3/4). Als Referenz diente die Mastoidableitung der dem CI gegenüberliegenden Seite. Zusätzlich wurden das vertikale und das horizontale EOG von vier Positionen abgeleitet.

In der ersten Phase des Experiments wurden auf einem Computermonitor Photographien einfacher Objekte gezeigt. Bei den Objektnamen handelt es sich ausschließlich um trochäische Zweisilber (Bsp: Apfel), um eine Konfundierung mit der Silbenzahl oder dem Betonungsmuster zu vermeiden. 600 ms nach Beginn der Bildpräsentation wurde ein kongruentes oder inkongruentes Wort akustisch über Lautsprecher dargeboten. 1000 ms nach Ende der Audiopräsentation erschien ein Antwortbild auf dem Monitor und die Probanden sollten durch Drücken einer von zwei Tasten angeben, ob das gehörte Wort zu dem präsentierten Bild passte oder nicht. Anschließend folgte eine Lernphase, in der das Wort visuell dargeboten und der kongruente Audiofile viermal hintereinander abgespielt wurde. Im letzten Teil des Experiments wurden dann erneut Bilder mit kongruenten und inkongruenten Audiopräsentationen kombiniert, wobei die Hälfte der Wörter bereits in Phase 1 und 2 dargeboten worden war. Für die Auswertung wurden akustisch evozierte Potentiale auf den Beginn der Wortstimuli für 1000 ms relativ zu einer 200 ms Prästimulus-Baseline getrennt für kongruente und inkongruente Durchgänge gemittelt und inferenzstatistisch analysiert. Es gingen nur korrekt beantwortete Trials in die Analyse ein.

Ergebnisse

Bereits in den ersten Tagen nach Erstanpassung konnte ein Kongruenzeffekt im EKP beobachtet werden. Dieser Effekt trat jedoch im Vergleich zu klassischen N400-Effekten sehr spät auf und war in einem Zeitfenster von 850–1000ms für die parietalen Elektrodenpositionen signifikant (p<.05). Im Anschluss an die Lernphase war der Kongruenzeffekt für zuvor nicht gehörte Wörter ähnlich stark ausgeprägt wie für bereits gehörte Wörter (p jeweils <.05).

Nach 2 Monaten CI-Tragedauer waren die Kongruenzeffekte deutlich stärker ausgeprägt und waren nun in dem Zeitfenster 850–1000 ms auf centralen wie auf parietalen Positionen hoch signifikant. Auch in einem früheren Zeitfenster von 500–850 ms zeigte sich nun Kongruenzeffekt, der parietal stärker ausgeprägt war als central (central: p<.10; parietal: p<.05) und nach der Lernphase auch central statistische Signifikanz erreichte, wobei erneut kein statistischer Unterschied zwischen neuen und alten Wörtern beobachtbar war (alt: central: p<.05; parietal: p<.001; neu: central: p<.05; parietal: p<.01). Über parietalen Positionen zeigte sich sogar bereits in dem für normalhörende Probanden üblichen Zeitfenster von 300–500 ms ein signifikanter Kongruenzeffekt (p<.05), der nach der Übungsphase noch deutlicher ausgeprägt war (p<.01). Über zentralen Positionen konnte in diesem frühen Zeitfenster jedoch noch kein signifikanter Effekt beobachtet werden (p<.38). (Abbildung 1 [Abb. 1])

Diskussion

Die Daten quantifizieren den sprachlichen Adaptations- und Lernprozess bei postlingual ertaubten CI-Patienten. Während das Sprachverarbeitungssystem zu Beginn der Prozessoraktivierung noch erheblich mehr Zeit für ein Matching von gehörter Information und gespeicherter Repräsentation der Wörter benötigt, nimmt diese Verarbeitungszeit mit zunehmender Tragedauer ab. Bereits nach 2 Monaten CI-Versorgung liegt für die Gesamtgruppe die Onsetlatenz des Kongruenzeffektes in einem Zeitfenster, in dem auch für Normalhörende entsprechende Effekte beobachtet werden. Allerdings ist der Effekt deutlich länger anhaltend, was auf eine stärkere Ressourcenbeanspruchung schließen lässt. Bemerkenswert ist der insgesamt schnelle Adaptationsprozess an das durch die elektrische Stimulation veränderte Inputsignal bei postlingual hörgeschädigten Patienten.


Literatur

1.
Kutas M, Federmeier KD. Thirty years and counting: Finding meaning in the N400 component of the event-related brain potential (ERP). Annual Review of Psychology. 2011;62: 621-47.