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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Next-generation Sequencing in der Diagnostik der genetischen Schwerhörigkeit

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV43

doi: 10.3205/13dgpp85, urn:nbn:de:0183-13dgpp853

Published: September 5, 2013

© 2013 Tropitzsch et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die genetische Heterogenität der Schwerhörigkeit erschwert die molekulargenetische Diagnostik. Neue Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung (next-generation sequencing, NGS) erlauben es alle bisher bekannten Gene für Schwerhörigkeit in Form eines Panels von 95 Genen oder durch „Whole Exome Sequencing“ simultan und umfassend zu untersuchen.

Material und Methoden: Ein Kollektiv 120 schwerhöriger Personen wurde, nach Ausschluss einer Mutationen in den Genen GJB2, GJB3 und GJB6 für die Hochdurchsatzsequenzierung ausgewählt. Aus der DNA aller 120 Patienten wurden 95 Schwerhörigkeitsgene mit einem individuell entwickelten Kit angereichert und anschließend parallel sequenziert. Die hierdurch gefundenen Varianten wurden mit einer zweiten, unabhängigen Methode (klassische Sanger Sequenzierung) validiert.

Ergebnisse: Durch Agilent In Solution Anreicherung und parallele Sequenzierung wurden einzelne Basenaustausche und Deletionen in bekannten Genen für erbliche Schwerhörigkeit identifiziert. Höchstwahrscheinlich pathogene Mutationen folgten in 53% einem autosomal dominanten und in 45% einem autosomal rezessiven Erbgang. In 2% der Fälle lag ein X-chromosomaler Erbgang vor. In 17% der Fälle konnten Mutationen im Zusammenhang mit syndromaler Schwerhörigkeit nachgewiesen werden. Bei 34% wurde keine pathogene Mutation in den 95 untersuchten Schwerhörigkeitsgenen identifiziert.

Diskussion: Die simultane Hochdurchsatzsequenzierung von 95 bekannten Schwerhörigkeitsgenen wurde in Form eine „Hörpanels“ etabliert. Die Panel-Hochdurchsatzsequenzierung eignet sich für ein kosteneffizientes Screening bei Verdacht auf genetische Schwerhörigkeit und erlaubt eine Aufklärung der genetischen Ursache in über 60% der Fälle.

Anmerkung: Der Erstautor weist auf folgenden Interessenskonflikt hin: Dr. Sarah Fehr und Dr. Moritz Menzel sind Angestellte der CeGat GmbH, Tübingen; Dr. Dr. Saskia Biskup ist Gründerin und Geschäftsführerin der CeGat GmbH, Tübingen.


Text

Einleitung und Hintergrund

Schwerhörigkeit ist die häufigste neurosensorische Erkrankung. Bei Lebendgeburten liegt die Inzidenz bei 1–2 pro Eintausend [1]. Bei über der Hälfte der betroffenen Kinder liegt eine genetische Ursache für die Schwerhörigkeit vor. Bei 70% der Neugeborenen mit erblich bedingter Schwerhörigkeit finden sich keine anderen assoziierten Symptome. Somit wird die Schwerhörigkeit als nicht-syndromal klassifiziert. Autosomal rezessive nicht-syndromale Schwerhörigkeit findet sich in 80% der Fälle, autosomal dominante nicht-syndromale Schwerhörigkeit in 20%. Schwerhörigkeit ist phänotypisch und genetisch sehr heterogen, es wurden allein für die nicht-syndromale Schwerhörigkeit 61 Gene und über 100 Loci identifiziert. Viele weitere Gene sind für die syndromale genetische Schwerhörigkeit bekannt. Die traditionelle genetische Diagnostik mittels Sanger-Sequenzierung limitierte die Untersuchung aus Zeit und Kostengründen oft auf Connexine und ggf. auf bestimmte syndromale Gene bei Vorliegen von Begleitsymptomen. Im letzten Jahrzehnt haben technische Entwicklungen die Möglichkeiten der genetischen Diagnostik revolutioniert. Durch Hochdurchsatzsequenzierung, dem sogenannten „next generation Sequencing“ (NGS) lassen sich multiple Gene, die Ursache einer heterogenen Erkrankung sein können, parallel sequenzieren. NGS steigert die Effizienz der genetischen Diagnostik und senkt gleichzeitig die Kosten [2], [3], [4].

Es wurde folglich ein auf genetische Schwerhörigkeit abgestimmtes Diagnostikpanel entwickelt, bei dem mittels NGS 95 bekannte Schwerhörigkeitsgene parallel sequenziert werden können (Paneldiagnostik).

Material und Methode

Es wurden 120 Patienten mit mittel- bis hochgradiger Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit für die Untersuchung selektiert. Die Patienten waren zwischen 1 und 88 Jahre alt. Bei allen Patienten erfolgte der Ausschluss von Mutationen in GJB2 (Cx26), GJB3 (Cx31) und GJB6 (Cx30) mittels Sanger Sequenzierung. Patienten ohne Mutationen in diesen Genen wurden für die weiterführende Paneldiagnostik vorgesehen. Es erfolgte mit Hilfe eines „custom design“ Agilent Anreicherungskit die Anreicherung und Sequenzierung auf ein Panel von 95 bekannten Schwerhörigkeitsgenen. Die Hochdurchsatzsequenzierung erfolgte auf dem SOLiD 5500xl System. Gefundene Varianten wurden anschließend mittels Sanger Sequenzierung validiert, um das Ergebnis durch eine unabhängige, etablierte Methode abzusichern.

Ergebnisse

Bei 7 der 120 Patienten (5,8%) fand sich eine homozygote Mutation in GJB2. Bei einem Patient (0,8%) in GJB6. Bei weiteren 67 Patienten (55,8%), die mittels Paneldiagnostik untersucht wurden, konnte die Ursache der Schwerhörigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit identifiziert werden. In 53 % der Fälle lag ein autosomal dominanter (Mutationen in 17 Genen) und in 45% ein autosomal rezessiver Erbgang (Mutationen in insgesamt 12 Genen) vor. Bei einem Patienten fand sich ein x-chromosomaler Erbgang. Es fanden sich 21 Mutationen in 9 Genen für Syndromale Schwerhörigkeit. Die phänotypische Korrelation hinsichtlich eines syndromalen Zusammenhangs bei den entsprechenden Patienten steht derzeit zum Teil noch aus.

Diskussion

Betrachtet man alle Patienten aus der Paneldiagnostik und die mit Mutationen in GJB2 bzw. GJB6 zusammen wurde eine Aufklärungsrate von 62,5% erreicht. Diese liegt damit etwa zehnfach höher als bei der ausschließlichen Diagnostik für Connexine. Es kann somit in nahezu 2/3 der Fälle eine ätiologische Aufklärung eines Hörverlusts auf genetischer Grundlage geleistet werden. Die Aufklärung einer genetischen Ursache kann somit die klinische Diagnose sichern. Die ätiologische Aufklärung kann bei der Beratung im Weiteren auch bezüglich der prognostischen Abschätzung unterstützen. Auch kann eine zielgerichtete Untersuchung weiteren Familienmitgliedern angeboten werden. Auf Basis der heute zur Verfügung stehenden therapeutischen Verfahren kann die Beratung für eine Intervention (z.B. Versorgung mit Cochlea-Implantat) gestützt werden. In die Zukunft betrachtet kann die Diagnostik langfristig die Grundlage für die Anwendung neuer therapeutischer Ansätze sein.

Die simultane Hochdurchsatzsequenzierung in Form eines spezifischen Diagnostikpanels für alle derzeit bekannten Schwerhörigkeitsgene erlaubt eine umfassende genetische Diagnostik und kann bei Bekanntwerden neuer Schwerhörigkeitsgene entsprechend erweitert werden. Der Vorteil eines spezifischen Diagnostikpanels für Schwerhörigkeit liegt darin, dass ausschließlich die mit Schwerhörigkeit in Zusammenhang stehenden Gene untersucht werden. Zwar kann in ungelösten Fällen im Einzelfall durch den Einsatz exomweiter Sequenzierung darüber hinaus auch die Detektionen von Mutationen in bisher nicht bekannten Genen für Schwerhörigkeit ermöglicht werden, allerdings können hier auch über die Schwerhörigkeit hinaus gehende genetische Erkrankungen aufgedeckt werden.

Fazit

Der methodische Fortschritt im Bereich der „Next-Generation-Sequencing“ erlaubt die gleichzeitige Analyse aller bekannten Schwerhörigkeitsgene in Form eines krankheitsspezifischen Diagnostikpanels für Schwerhörigkeit. Die Aufklärungsrate (unter Einbeziehung der Fälle mit Mutationen in GJB2, GJB3 und GJB&) liegt derzeit bei 2/3 der Fälle und wird in Zukunft möglicherweise weiter ansteigen.

Anmerkung

Der Erstautor weist auf folgenden Interessenskonflikt hin: Dr. Sarah Fehr und Dr. Moritz Menzel sind Angestellte der CeGat GmbH, Tübingen; Dr. Dr. Saskia Biskup ist Gründerin und Geschäftsführerin der CeGat GmbH, Tübingen.


Literatur

1.
Morton CC, Nance WE: Newborn hearing screening – A silent revolution. N Engl J Med. 2006;354:2151-64. DOI: 10.1056/NEJMra050700 External link
2.
Shearer A, DeLuca A, Hildebrand M, Taylor K, Gurrola II J, Scherer S, Scheetz T, Smith R. Comprehensive genetic testing for hereditary hearing loss using massively parallel sequencing. Proc Natl Acad Sci U S A. 2010;107(49):21104-9. DOI: 10.1073/pnas.1012989107  External link
3.
Kothiyal P, Cox S, Ebert J, Husami A, Kenna MA, Greinwald JH, Aronow BJ, Rehm HL. High-throughput detection of mutations responsible for childhood hearing loss using resequencing microarrays. BMC Biotechnol. 2010;10:10. DOI: 10.1186/1472-6750-10-10 External link
4.
Lin X, Tang W, Ahmad S, Lu J, Colby C, Zhu J, Yu Q. Applications of targeted gene capture and next-generation sequencing technologies in studies of human deafness and other genetic disabilities. Hearing Research. 2012 Jun;288(1-2):67-76. DOI: 10.1016/j.heares.2012.01.004  External link