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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

ERKI – Erfassung des Richtungshörens bei Kindern – Entwicklung eines verbesserten Verfahrens durch Nutzung virtueller Quellen zur Erfassung des Richtungshörens bei Kindern am Mainzer-Kindertisch

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Karsten Plotz - JADE Hochschule Oldenburg, Abt. Technik und Gesundheit für Menschen TGM, Oldenburg, Deutschland
  • author Katharina Schmidt - JADE Hochschule Oldenburg, Abt. Technik und Gesundheit für Menschen TGM, Oldenburg, Deutschland
  • author Sven Kissner - JADE Hochschule Oldenburg, Abt. Technik und Gesundheit für Menschen TGM, Oldenburg, Deutschland
  • author Claudia Geldermann - JADE Hochschule Oldenburg, Abt. Technik und Gesundheit für Menschen TGM, Oldenburg, Deutschland
  • author Jörg Bitzer - JADE Hochschule Oldenburg, Abt. Technik und Gesundheit für Menschen TGM, Oldenburg, Deutschland
  • author Rainer Schönweiler - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV39

doi: 10.3205/13dgpp81, urn:nbn:de:0183-13dgpp819

Published: September 5, 2013

© 2013 Plotz et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Einer der zentral-auditiven Prozesse des binauralen Hörens stellt die Richtungswahrnehmung von Schallereignissen oder akustische Lokalisation dar. Dabei nutzt das Hörsystem die Unterschiede der in beiden Ohren eintreffenden Signale einer entfernten Schallquelle, um deren Richtung in der Horizontalen zu bestimmen. Die beiden Ohrsignale unterscheiden sich dabei im Pegel, in der Laufzeit und in der Phase. Diese Lokalisation hängt einerseits von akustischen Parametern ab. Hochfrequente Signale können schlechter lokalisiert werden, als tieffrequente. Das Hörsystem nutzt im Hochtonbereich eher die Pegelunterschiede beider Ohrsignale (ILD) und im Tieftonbereich eher die Laufzeitunterschiede (ITD), um die Richtung zu errechnen.

Apparaturen zur Messung der akustischen Lokalisation bei Kindern existieren nur in spezialisierten Einrichtungen. Ziel des Projektes ist die Entwicklung einer nachrüstbaren Untersuchungseinheit, die mittels virtueller Schallquellen auf der Basis der Mainzer-Kindertische eine Evaluation des Richtungshörens bei Kindern (ERKI) ermöglicht. Eine wesentliche Fragestellung ist daher, eine geeignete Methode zur Durchführung von Lokalisationsexperimenten bei Kindern zu finden. Hierfür sind zwei Probleme zu lösen.

Zum einen ist die Information wohin die Testperson blickt zum Zeitpunkt des Stimulus sehr wichtig. Erwachsene können instruiert werden, starr nach vorne zu blicken. Bei Kindern ist geplant, die Kopfausrichtung durch geeignete Bildverarbeitung zu bestimmen und den Stimulus nur auszulösen wenn der Kopf korrekt ausgerichtet ist.

Eine weitere Fragestellung, die beantwortet werden soll ist, ob visuelles Feedback notwendig ist. Die Testperson erhält auf der halbkreisförmigen Sichtblende eine Rückmeldung über die Zeigerichtung.

Material und Methoden: Der Messaufbau wird präsentiert. Geeignete Stimulusparameter werden vorgestellt.

Ergebnisse: Ergebnisse der Evaluationsmessungen an normalhörenden jungen Erwachsenen werden präsentiert.

Diskussion: ERKI ist ein 2-jähriges Projekt des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung EFRE und ist bewilligt bis Ende 2014. Es werden Referenzwerte des Richtungshörens virtueller Schallquellen getrennt nach Geschlecht, Klassenstufen 1–4 und Stimulusparameter erhoben.


Text

Hintergrund

Einer der zentral-auditiven Prozesse des binauralen Hörens stellt die Richtungswahrnehmung von Schallereignissen oder akustische Lokalisation dar. Dabei nutzt das Hörsystem die Unterschiede der in beiden Ohren eintreffenden Signale einer entfernten Schallquelle, um deren Richtung in der Horizontalen zu bestimmen. Die beiden Ohrsignale unterscheiden sich dabei im Pegel, in der Laufzeit und in der Phase. Diese Lokalisation hängt einerseits von akustischen Parametern ab. Hochfrequente Signale können schlechter lokalisiert werden, als tieffrequente. Das Hörsystem nutzt im Hochtonbereich eher die Pegelunterschiede beider Ohrsignale (ILD) und im Tieftonbereich eher die Laufzeitunterschiede (ITD), um die Richtung zu errechnen. Apparaturen zur Messung der akustischen Lokalisation bei Kindern existieren nur in spezialisierten Einrichtungen. Ziel dieses Projektes ist die Entwicklung einer nachrüstbaren Untersuchungseinheit, die mittels virtueller Schallquellen auf der Basis der Mainzer-Kindertische eine Evaluation des Richtungshörens bei Kindern (ERKI) ermöglicht.

Material und Methoden

Teil 1: optische Erfassung

Kopf- und Zeigebewegungen der Probanden werden fortlaufend mithilfe eines Kamerasystems im infraroten Spektrum in Echtzeit (ca. 20–30 frame per second) erfasst. Für eine robuste Bildauswertung sind die zu beobachtenden Objekte mit diskreten Merkmalen ausgestattet. Das kindgerechte Zeigeinstrument trägt sog. retroreflektierende Marker, welche vom Kamerasystem beobachtet werden. Auf dem Kopf wird eine leichte, aber formstabile Kopfbedeckung mit mindestens fünf signalisierten Punkten getragen. Das Akustiksignal kann erst abgegeben werden, wenn eine Kopfposition mit max. Abweichung von 5° in X-Richtung (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]) eingenommen wird. Aus den Bildmessungen werden über einen räumlichen Rückwärtsschnitt die Objektpunkte berechnet, aus denen die benötigten Richtungs- und Positionsangaben ableitbar sind.

Teil 2: Messaufbau

Der verwendete Messaufbau beruht auf dem Mainzer Kindertisch mit fünf Lautsprechern (0°, ±45°, ±90°; (r=1 m)). Die Lautsprecher sind durch halbkreisförmig gespannten Akustikstoff (Vorhang) verdeckt. Die Positionen der Schallquellen (real und virtuell) sind durch Nummern an der Sichtblende markiert (X-Richtung ist 0°, links und rechts jeweils 1 bis 18 in einer Auflösung von ±5°). Die wahrgenommene Position einer Schallquelle wird vom Probanden über ein Android-Tablet angegeben. Die virtuellen Quellen werden durch Laufzeit (LSTD) oder Pegelunterschiede (LSLD) zwischen den zwei den Zielwinkel einschließenden Lautsprechern (LS) erzeugt. Bei LSLD wird der zur Seite hin zunehmende ‚median-shift‘ kompensiert, indem der Pegel des jeweils äußeren Lautsprechers proportional zunimmt. Als Breitband-Stimuli wurden weißes und rosa Rauschen (300 ms), gepulstes rosa Rauschen (3×50 ms, unterbrochen von jeweils 50 ms Stille) sowie ein 300 ms langer Ausschnitt aus dem International Speech Test Signal [ISTS] verwendet. Die Signale wurden jeweils mit einer 5 ms langen Flanke eines Hann-Fensters ein- und ausgeblendet. In dem zweiten Versuch wurden Bandpass-Reize verwendet (Tiefpass a: 0,2–1,6 kHz sowie Hochpass b: 1,6–10 kHz), wobei bei Positionierung mittels LSTD mit (a), bei LSLD mittels (b) gefiltert wurde. Das ISTS wurde aufgrund seiner spektralen Eigenschaften nur mit (a) gefiltert. Kalibriert wurde am Bezugspunkt breitbandig auf einer Referenzpegel von 65 dB SPL.

Teil 3: Durchführung

Breitband-Stimuli hörten 16 normalhörende Probanden (zehn weibliche und sechs männliche). Das Durchschnittsalter lag bei 26 Jahren. Am Experiment mit den gefilterten Stimuli nahmen 25 normalhörende Probanden (14 weibliche und elf männliche), mit einem Durchschnittsalter von 26 Jahren, teil.

Bei beiden Experimenten erfolgte der Testdurchlauf mit rosa Rauschen. Im Anschluss wurden die Messungen mit einer festgelegten Stimulusreihenfolge (weißes Rauschen – rosa Rauschen – gepulstes rosa Rauschen – ISTS) durchgeführt. Alternierend wird mit weißem Rauschen oder in umgekehrter Reihenfolge mit ISTS begonnen. Ein Messdurchlauf besteht aus 74 (bzw. bei Verwendung des HP gefilterten ISTS aus 37) Trials, welche randomisiert dargeboten werden. So werden für jeden Stimulus die 37 Winkel für LSLD und LSTD im vorderen Halbkreis (–90° bis +90° in 5° Schritten) lokalisiert.

Ergebnisse

Für die Darstellung der Ergebnisse (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]) wurden die 37 Winkel in 13 Winkelgruppen zusammengefasst. Dabei stellen die Realschallquellen jeweils eine eigene Winkelgruppe dar. Die Phantomschallquellen wurden in Gruppen mit jeweils vier Winkeln aufgeteilt.

Lokalisation einer Schallquelle im vorderen Bereich ist genauer als lateral. Im Vergleich zeigen die Stimuli die ungefilterten Stimuli um die 0°-Position jeweils die geringsten Standardabweichungen. Bei den gefilterten Stimuli werden die Abweichungen zu den Seiten hin größer. Besonders die Unterschiede bei den Realschallquellen ±90° sind auffällig. Bei den LSLD-generierten Stimuli liegen größere Abweichungen zwischen ungefilterten und gefilterten Stimuli vor. Die mittels LSTD-generierten Stimuli zeigen ähnliche Standardabweichungen zwischen ±50°. Oberhalb dessen liegt ein Sprung in lateraler Richtung vor.

Die statistische Auswertung erfolgte, getrennt nach ungefilterten und gefilterten Stimuli, in SPSS. Unter Annahme einer Normalverteilung der Daten wird als statistischer Test eine dreifaktorielle ANOVA mit Messwiederholungen durchgeführt. Als Faktoren werden die Erzeugungsart (LSTD, LSLD), die Stimulusart (weißes Rauschen, rosa Rauschen, gepulstes rosa Rauschen, ISTS) und die verschiedenen Winkelgruppen betrachtet. Hierbei wurde das Signifikanzniveau auf p<0,05 festgelegt und beim paarweisen Vergleich (t-Test) eine Bonferroni-Korrektur angewendet. Gegebenenfalls wurden die Freiheitsgrade unter Abschätzung der Sphärizität nach Greenhouse-Geisser korrigiert. Die Auswertung der gefilterten Stimuli erfolgte ohne das ISTS-Signal.

Bei den ungefilterten Stimuli konnten keine signifikanten Unterschiede sowohl zwischen den Erzeugungsarten (LSLD und LSTD; F(1; 15)=2,071; p=0,171), als auch zwischen den vier Stimuli (F(1,52; 22,804)=0,585; p=0,52) nachgewiesen werden. Lediglich die Winkelgruppen zeigten signifikante Unterschiede (F(2,312; 34,685)=15,715; p<0,001).

Im Vergleich dazu zeigt der paarweise Vergleich der Erzeugungsarten von gefilterten Stimuli einen signifikanten Einfluss (p=0,001) der Erzeugungsarten auf die Lokalisationsleistung von Phantomschallquellen (F(1; 24)=15,597; p=0,001). Des Weiteren liegen auch signifikante Unterschiede zwischen den Stimuli vor, wenn diese gefiltert werden (F(2; 48)=5,429; p=0,007). So ergab der paarweise Vergleich von weißem und rosa Rauschen ein Signifikanzniveau von p=0,001. Hingegen unterschied sich das gepulste rosa Rauschen nicht signifikant von den anderen zwei Stimuli (weißes Rauschen vs. gepulstes rosa Rauschen: p=0,763; rosa Rauschen vs. gepulstes rosa Rauschen: p=0,202). Wie schon bei den Daten der ungefilterten Stimuli, konnten auch bei den Winkelgruppen der gefilterten Stimuli signifikante Unterschiede nachgewiesen werden (F(12; 288)=21,336; p<0,001).

Diskussion

Die Ergebnisse zeigen, dass Lokalisationsangaben mit einer Auflösung von ca. 10° im vorderen Halbkreis an einem konventionellen Mainzer-Kindertisch messbar sind. Im Rahmen der AVWS-Diagnostik steht noch kein ubiquitär verfügbares Mess-Verfahren zur Verfügung, obwohl die einschlägigen Leitlinien dies empfehlen. Die nächsten Projektschritte werden die automatisierte, optische Erfassung der kindlichen Richtungsangaben und die Erhebung von Referenzwerten für die Lokalisation virtueller Quellen an Grundschulkindern zum Ziel haben.


Literatur

1.
Pulkki V. Virtual source positioning using vector base amplitude panning. J. Audio Eng Soc. 1997;45(6):456–66.
2.
Pulkki V. Compensating Displacement of Amplitude Panned Virtual Sources. 22nd AES Conference on Virtual, Synthetic and Entertainment Audio. 2002.
3.
Wittek H, Theile G. The Recording Angle – Based on Localisation Curves. In: Proceedings 112th AES Convention. Munich, Germany. 2002. Preprint No.5568.