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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Frequenzerniedrigung – wie viel Höhen braucht das Kind?

Vortrag

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocHV13

doi: 10.3205/13dgpp79, urn:nbn:de:0183-13dgpp790

Published: September 5, 2013

© 2013 Limberger.
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Zusammenfassung

Frequenzerniedrigung ist in der Praxis ein Instrument, das ermöglicht, dass in einem Hörsystem die hohen Frequenzen in einem niedrigeren Frequenzbereich hörbar gemacht werden.

Dazu existieren momentan 3 verschiedene Techniken, die lineare Frequenztransposition, die nichtlineare Frequenzkompression und die sog. Frequenzübersetzung.

Der Vortrag gibt einen Überblick über die verschiedenen Techniken und deren Funktion sowie eine Zusammenfassung des derzeitigen wissenschaftlichen Stands und des Konsenses im Bereich der Kinderanpassung. Welche Kinder profitieren davon, wie kann die Einstellung sinnvoll validiert und verifiziert werden? Weiterhin setzt er sich aber auch mit dem Eingriff in sprachliche Strukturen wie z.B. die Formanten auseinander und versucht einen Brückenschlag in die Neurophysiologie, um zu verstehen, welche Veränderungen u.U. in den neuronalen Strukturen damit einhergehen. Wie wirkt sich damit eine Frequenzerniedrigung vermutlich auf eine später folgende Cochlea-Implantat-Versorgung aus?


Text

Der Funktionsverlust äußerer Haarzellen lässt sich mit klassischen kompressiven Anpassstrategien versorgen. In Folge des Verlusts der Haarzellfunktion verlieren sich jedoch auch, vor allem zunehmend mit der Dauer der Schwerhörigkeit, neuronale Verknüpfungen, die sich als Korrelat in einem Ganglienzellverlust und Untergang von efferenten Verbindungen zeigt [3]. Dieses neurophysiologische Korrelat fasst man unter dem Begriff Deprivation zusammen. In wie weit eine akustische Verstärkung mit oder ohne Kompression hier sinnvoll ist, muss noch diskutiert werden. Eine weitere Form des Hörverlustes stellt den kompletten Verlust von inneren und äußeren Haarzellen dar, der von Brian Moore als sog. „Dead Region“ bezeichnet wurde, was im Deutschen etwa mit einer „inaktiven cochleären Region“ übersetzt werden kann. Hier fehlt insbesondere das sensorische Erfolgsorgan für den akustischen Reiz, die innere Haarzelle. Eine akustische Anregung in Form eines verstärkten Signals ist hier wenig hilfreich, da kein Sensor mehr vorhanden ist, im Gegenteil eine Verstärkung führt hier eher zu einer Verschlechterung des Sprachverstehens [5].

Zum Ausgleich dieser Hochtonschwerhörigkeiten kommen aus dem Gesagten verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Zum einen kann mit breitbandigen Systemen versucht werden, die notwendige Verstärkung anzubieten, um damit diese Sprachanteile wieder hörbar zu machen.

Ist dies nicht möglich, wird in der Praxis zunehmend, eine Frequenzerniedrigung eingesetzt. Insbesondere unter der Tatsache, dass die sensorische Zelle, also die innere Haarzelle, nicht mehr vorhanden ist und daher auch das akustische Signal nicht adäquat weitergeleitet werden kann. Dabei wird das akustische Signal in einem tieferen Frequenzbereich hörbar gemacht und es so vielen Schwerhörigen ermöglicht, hochfrequente Laute wieder wahrzunehmen und damit auch wieder besser verstehen zu können. Es existieren hierzu momentan 3 verschiedene Techniken, die hohen Frequenzen in den tieferen Frequenzbereich zu verlagern. Die lineare Frequenztransposition, die nichtlineare Frequenzkompression und die sog. Frequenzübersetzung oder -translation.

Bei der nichtlinearen Frequenzkompression (NLFC) werden die Frequenzen oberhalb einer definierten Grenzfrequenz mit einem entsprechenden Faktor komprimiert [1]. Bei der linearen Frequenztransposition (LFT) werden die hohen Frequenzen ab der sog. Startfrequenz in den tiefen Frequenzbereich transpositioniert, wobei die Zielfrequenz um eine Oktave in die Quellfrequenz verschoben wird [4]. Bei der Frequenztranslation wird ab einer definierten Frequenz maximale Pegel im Hochtonbereich detektiert, diese werden reproduziert und das Produkt im tiefen Frequenzbereich zusätzlich angeboten, die Quellfrequenz wird demnach „geklont“ und in den tiefen Frequenzbereich reproduziert (Galster et al. 2011).

Diskutiert werden müssen in diesem Zusammenhang die Veränderungen, die diese Verschiebungen auf das Sprachsignal haben. Alle Autoren, die sich mit Frequenzerniedrigungsverfahren auseinander setzten, bemerken, dass eine recht lange Eingewöhnungszeit an den veränderten Klang notwendig ist. Insbesondere bei der Frequenzkompression werden auch Formantenstrukturen, die vor allem für die Vokalerkennung wichtig sind, verändert. Besonders die ersten beiden Formanten sind für das Verstehen von Formanten notwendig [6].

Es erhebt sich also die Frage, welche Kinder mit Hörverlusten profitieren von einer Frequenzerniedrigung? Wie kann der Einsatz einer solchen Technik sinnvoll verifiziert und validiert werden?

Die Hörsystemauswahl für das Kind richtet sich unter anderem zunächst danach, ob der zu verstärkende Frequenzbereich ohne ein Erniedrigungsverfahren verstärkt werden kann. Ist dies nicht sichergestellt, muss ein Gerät mit einem Erniedrigungsverfahren gewählt werden.

Eine weitere Frage, die sich derzeit aber nicht eindeutig beantworten lässt, ist, ob spezielle Tests auch schon im Kindesalter notwendig und möglich sind, um z.B. eine „dead Region“ zu erkennen.

Gerade bei Kindern, die sich noch im Spracherwerb befinden ist es jedoch wichtig alle Laute hörbar zu machen, jedoch muss sichergestellt werden, dass tieffrequentere Laute nicht verzerrt oder undeutlich werden.

Zunächst muss über eine Verifikationsmessung sichergestellt werden, dass hochfrequente Laute wie /s/ oder /sch/ hörbar sind, jedoch gut voneinander unterschieden werden können. Eine gute Möglichkeit bietet hierzu die Messbox Verifit (Audioscan, vertrieben durch Auritec GmbH, Hamburg), welche ein Sprachsignal anbietet bei dem tiefere Frequenzen um 30 dB abgesenkt werden und das interessierende Frequenzband (1/3 Oktavband) belassen wird (Abbildung 1 [Abb. 1]). So kann auf einen Blick nachvollzogen werden, ob die interessierende Frequenz oberhalb der Hörschwelle liegt oder nicht.

Wünschenswert wäre es außerdem auch mit Hilfe von Validierungsmaßnahmen, z.B. einem Phonemtest (z. B. A§E® [2], Phonemtest (Phonak AG, Stäfa, Schweiz)), die Hörbarkeit der Konsonanten sicherzustellen, jedoch auch zu überprüfen, ob tiefe Frequenzen, also Vokale nach wie vor gut verstanden werden.


Literatur

1.
Glista D, Scollie S, Bagatto M, Seewald R, Parsa V, Johnson A. Evaluation of nonlinear frequency compression: clinical outcomes. Int J Audiol. 2009;48(9):632-44. DOI: 10.1080/14992020902971349 External link
2.
Govaerts PJ, Daemers K, Yperman M, De Beukelaer C, De Saegher G, De Ceulaer G. Auditory speech sounds evaluation (A§E®): a new test to assess detection, discrimination and identification in hearing impairment. Cochlear Implants Int. 2006 Jun;7(2):92-106. DOI: 10.1002/cii.302 External link
3.
Kujawa SG, Liberman MC. Adding insult to injury: cochlear nerve degeneration after "temporary" noise-induced hearing loss. J Neurosci. 2009 Nov;29(45):14077-85. DOI: 10.1523/JNEUROSCI.2845-09.2009 External link
4.
Kuk F, Keenan D, Korhonen P, Lau CC. Efficacy of linear frequency transposition on consonant identification in quiet and in noise. J Am Acad Audiol. 2009 Sept;20(8):465-79. DOI: 10.3766/jaaa.20.8.2 External link
5.
Moore BC. Dead regions in the cochlea: conceptual foundations, diagnosis, and clinical applications. Ear Hear. 2004 Apr;5(2):96-116.
6.
Sommers MS, Kewley-Port D. Modeling formant frequency discrimination of female vowels. J Acoust Soc Am. 1996 Jun;99(6):3770-81. DOI: 10.1121/1.414972 External link