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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Oberflächenmyographie als Biofeedback-Verfahren für Dysphagiepatienten: Bestimmung der optimalen Elektrodenpositionen und -anzahl

Vortrag

  • corresponding author presenting/speaker Petra Pluschinski - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt a.M., Deutschland
  • author Yevgen Zaretsky - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt a.M., Deutschland
  • author Robert Sader - Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt a.M., Deutschland
  • author Peter Birkholz - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum Aachen, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
  • author Rizwan Mumtaz - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum Aachen, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
  • author Christiane Neuschaefer-Rube - Klinik für Phoniatrie, Pädaudiologie und Kommunikationsstörungen, Universitätsklinikum Aachen, RWTH Aachen, Aachen, Deutschland
  • author Christiane Hey - Schwerpunkt für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt a.M., Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocV29

doi: 10.3205/13dgpp66, urn:nbn:de:0183-13dgpp665

Published: September 5, 2013

© 2013 Pluschinski et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Oberflächenelektromyographie (sEMG) ermöglicht non-invasiv, die biomechanische Muskelaktivität während des Schluckens zu visualisieren. Die sEMG eignet sich daher ideal als Biofeedback-Verfahren für schluckgestörte Patienten, wird bislang jedoch nur mittels zwei paralaryngeal angebrachter Elektroden zur Erarbeitung des Mendelsohn-Manövers angewendet. Ziel dieser Studie ist es, (1) den kompletten oropharyngealen Schluckverlauf via sEMG zu erfassen und (2) für dieses Ziel die optimale Elektrodenanzahl und -positionen zu bestimmen.

Material und Methoden: Bei 16 gesunden Probanden, 11 weiblich, 5 männlich (21–62 Jahre, Durchschnitt: 32 Jahre), wurden 42 sEMG-Elektrodenpaare an den als schluckrelevant geltenden Regionen des Gesichtes, Mundbodens und Halses platziert. EMG-Signale wurden für 50 randomisierte Schlucke unterschiedlicher Boluskonsistenzen und -volumina aufgezeichnet. Zum Vergleich wurden die abgeleiteten Kurven nach Gleichrichtung und Glättung hinsichtlich geometrischer Parameter ausgewertet.

Ergebnisse: Mit insgesamt 16 Elektrodenpaaren, die die stärksten Signale in vier festgelegten Regionen lieferten (Orbicularis oris, Masseter, submental und paralaryngeal), war eine Ableitung des kompletten Schluckverlaufs bei allen Probanden erfolgreich möglich. Diese 16 Elektrodenpaare lieferten signifikant höhere Werte (p<.01) in allen erfassten geometrischen Parametern (Integral, Latenz, Schwerpunkt, Anstiegs- und Abstiegsflanke, Amplitude) im Vergleich mit den restlichen 26 Paaren im Mann-Whitney U-Test. Darüber hinaus ließen sich Probanden in drei Gruppen hinsichtlich Aktivitäten in den vier Regionen einteilen, mit signifikanten Unterschieden in Integralwerten zwischen den Gruppen (p<.01) im Kruskal-Wallis-Test.

Diskussion: Mittels sEMG ist die Erfassung des komplexen oropharyngealen Schluckvorganges möglich. Eine Zuordnung der abgeleiteten Kurven zu schluckrelevanten Teilbewegungen wird Gegenstand weiterer Studien sein.


Text

Hintergrund

Der Schluckvorgang, gesteuert über Kortex, Hirnstamm und Hirnnerven, erfordert eine optimale räumliche und zeitliche Koordination von 25 Muskelpaaren. Eine Störung innerhalb dieses Ablaufes kann aspirationsbedingt schwerwiegende Komorbiditäten nach sich ziehen. Die beiden derzeit weltweit als Goldstandard definierten Diagnostikverfahren, die fiberendoskopische Evaluation des Schluckvorganges bzw. Videofluoroskopie, liefern nur eingeschränkt Informationen über die zeitliche Koordination und Intensität von Muskelaktivitäten. Die Oberflächenelektromyographie (sEMG) hingegen ermöglicht non-invasiv, die biomechanische Muskelaktivität während des Schluckens zu visualisieren. Damit eignen sich sEMG-Ableitungen auch ideal als Biofeedback-Verfahren für schluckgestörte Patienten, werden bislang jedoch nur mittels zweier paralaryngeal bzw. submental angebrachter Elektroden zur Erarbeitung des Mendelsohn-Manövers bzw. des „Effortful Swallow“ angewendet [1], [2], [3]. Ziel dieser Studie ist es, (1) den kompletten oropharyngealen Schluckverlauf via sEMG zu erfassen und (2) für dieses Ziel die optimale Elektrodenanzahl und -position zu bestimmen.

Material und Methoden

Bei 16 gesunden Probanden, 11 weiblich, 5 männlich (21–62 Jahre, Median: 27 Jahre), wurden 42 sEMG-Elektrodenpaare an vier als schluckrelevant geltenden Regionen, nämlich Masseter, Orbicularis oris, Mundboden und Hals, platziert (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]). Die sEMG-Signale wurden für 50 randomisierte Schlucke unterschiedlicher Boluskonsistenzen und -volumina, jeweils 5 Schlucke pro Einheit, aufgezeichnet. An den gemittelten Kurven wurden On- und Offset sowie die Amplitude eines Schluckes markiert. Pro Boluskonsistenz und -volumen wurden für die Beschreibung der abgeleiteten sEMG-Kurvenmorphologie die geometrischen Parameter Integral, Latenz, Schwerpunkt, Anstiegs- und Abstiegsflanke errechnet.

Statistische Analyse

Zur Analyse, ob generell signifikante Unterschiede in den sEMG-Kurvenmorphologien, abgeleitet über 42 Elektrodenpaare an 4 Regionen, zu verzeichnen sind, wurden für die sechs geometrischen Parameter Kruskall-Wallis-Tests durchgeführt. Anhand der Kurvenmorphologie aller Messungen wurden die 16 besten Kanäle auf die vier definierten Regionen aufgeteilt (Mann-Whitney U-Test).

Die Identifizierung potentiell unterschiedlicher Schluckmuster erfolgte mittels Kruskal-Wallis-Testungen. Der Nachweis, dass die gewählten 16 Elektrodenpaare in gleichem Maß in der Lage sind, die herauskristallisierten Schluckmuster abzubilden, erfolgte mittels Berechnung des phi-Koeffizienten.

Ergebnisse

Die Unterschiede der sEMG-Kurvenmorphologien zwischen 42 Kanälen erwiesen sich für alle geometrischen Parameter als hochsignifikant (ps<.001). Eine Ableitung von sEMG-Signalen entlang des kompletten Schluckverlaufs war mit 16 Elektrodenpaaren, aufgeteilt auf vier Regionen, hinreichend möglich (s. Abbildung 2 [Abb. 2]). Diese 16 Elektrodenpaare zeigten verglichen mit den verbleibenden 26 in Bezug auf alle geometrischen Parameter signifikant höhere Werte (ps<.01), auch für einzelne Konsistenzen und Volumina (ps<.05).

Interessanterweise zeigten alle Probanden eine Dominanz einer der vier schluckrelevanten Regionen. Die Probanden ließen sich so in drei Gruppen aufteilen mit überwiegender sEMG-Aktivität in 1) Orbicularis oris, 2) Masseter und 3) Mundbodenregion (ps<.01 in Bezug auf Integralwerte der sEMG-Ableitung, Kruskall-Wallis-Test).

Die gewählten 16 Elektrodenpaare berücksichtigen die drei Probandengruppen gleichermaßen mit φ=0.5 in allen drei Fällen.

Diskussion

Mittels sEMG ist die Erfassung des komplexen oropharyngealen Schluckvorganges an insgesamt 16 Elektrodenpositionen, verteilt über die schluckrelevanten Strukturen an den Muskelgruppen Orbicularis oris, Masseter, Mundboden und Hals, hinsichtlich Zeitverläufe und Intensität möglich. Trotz einer kleinen Fallzahl ließen sich drei Probandengruppen mit individuellen Schluckmustern identifizieren. Die Zuordnung der abgeleiteten Kurven zu schluckrelevanten physiologischen Teilbewegungen mittels geeigneter Verfahren wird Gegenstand weiterer Studien sein.


Literatur

1.
Crary MA, Carnaby (Mann) GD, Groher ME. Biomechanical correlates of surface electromyography signals obtained during swallowing by healthy adults. J Speech Lang Hear Res. 2006;49:186-93. DOI: 10.1044/1092-4388(2006/015) External link
2.
Ding R, Larson CR, Logemann JA, Rademaker AW. Surface electromyographic and electroglottographic studies in normal studies under two swallow conditions: Normal and during the Mendelsohn maneuver. Dysphagia. 2002;17:1-12. DOI: 10.1007/s00455-001-0095-3 External link
3.
Wheeler-Hegland, K, Rosenbek J, Sapienza C. Submental sEMG and hyoidmovement during Mendelsohn-Maneuver, effortful swallow, and experiatory muscle strength training. Journal of Speech, Language, and Hearing Research. 2008;51:1072-87. DOI: 10.1044/1092-4388(2008/07-0016) External link