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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Hörentwicklung von Kindern bei einseitiger Hörschädigung nach Cochlea-Implantation – eine Einzelfallstudie mittels EEG

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  • corresponding author presenting/speaker Niki Katerina Vavatzanidis - Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland; Sächsisches Cochlear Implant Centrum, HNO, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Anja Hahne - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, HNO, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, HNO, Universitätsklinikum Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP19

doi: 10.3205/13dgpp43, urn:nbn:de:0183-13dgpp430

Published: September 5, 2013

© 2013 Vavatzanidis et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Einseitig hörgeschädigte Kinder, die auf dem Gegenohr über Normalgehör verfügen, werden erst seit Kurzem mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt. Dementsprechend gibt es nur wenige Studien zur Hörentwicklung dieser Gruppe [1], [5]. Diese reflektieren die Versorgung positiv, allerdings handelt es sich um die Versorgung einer spät erworbenen Hörschädigung. Tierexperimentelle Evidenz legt nahe, dass eine bereits früh bestehende unilaterale Taubheit massive kortikale Umstrukturierungen zur Folge hat [2]. Bei Kindern mit prä- oder perinataler Hörschädigung ist der Hörgewinn bei CI-Versorgung im späten Kindesalter daher ungewiss.

Die Studie präsentiert den Einzelfall eines vermutlich kongenital hörgeschädigten Jungen, dessen auditive Verarbeitung unterschiedlicher Vokallängen nach CI-Versorgung anhand der Mismatch Negativity (MMN), einer elektrophysiologischen Komponente, untersucht wird.

Material und Methoden: Der Proband ist links normalhörend und rechts vermutlich seit Geburt an Taubheit grenzend hörgeschädigt. Die CI-Versorgung erfolgte mit 12 Jahren. Die EEG-Messungen fanden in der Woche der Erstanpassung, sowie nach zwei bzw. vier Monaten Tragedauer statt. Kurze und lange Silben wurden der normalhörenden und der implantierten Seite jeweils getrennt in einem Oddball-Paradigma präsentiert.

Ergebnisse: Während die Daten der normalhörenden Seite eine Unterscheidung zwischen kurzen und langen Silben bezeugen, ist ein solcher Effekt für die CI-versorgte Seite über alle Messzeitpunkte hinweg nicht zu finden.

Diskussion: Basale Fähigkeiten der Sprachverarbeitung wie die Differenzierung unterschiedlicher Vokallängen waren im vorliegenden Fall einer späten CI-Versorgung bei kongenitaler, unilateraler Taubheit nach vier Monaten Rehabilitationszeit nicht feststellbar. Die Ergebnisse passen zu der Einschätzung des Probanden, der zu den jeweiligen Messzeitpunkten angab, mit dem CI keinen tatsächlichen Toneindruck zu haben sondern lediglich zu „fühlen“. Die Studie wird fortgesetzt, um den weiteren Entwicklungsverlauf und ggf. den Übergang vom „Fühlen“ zum Hören zu erfassen.


Text

Hintergrund

Einseitig hörgeschädigte Kinder, die auf dem Gegenohr über Normalgehör verfügen, werden erst seit Kurzem in Einzelfällen mit einem Cochlea-Implantat (CI) versorgt. Die wenigen bisherigen Studien zur Hörentwicklung dieser Gruppe [1], [5] reflektieren die Versorgung positiv, allerdings handelt es sich in diesen Fällen um die Versorgung einer spät erworbenen, postlingualen Hörschädigung. Insbesondere bei prälingualen Hörschädigungen kann der auditorische Kortex von anderen Modalitäten, z.B. für die visuelle Information des Lippenlesens, rekrutiert werden und bei erfolgreicher Übernahme den Erfolg einer CI-Versorgung mindern [3], [4]. Auch bei unilateraler Taubheit besteht tierexperimentelle Evidenz für massive kortikale Umstrukturierungen [2]. Bei Kindern mit prä- oder perinataler Hörschädigung ist der Hörgewinn daher ungewiss, wenn die CI-Versorgung erst im späten Kindesalter erfolgt. Zwar könnten unilateral hörgeschädigte Kinder anders als bilateral Hörgeschädigte davon profitieren, dass die kortikalen Netzwerke zur Lautsprachverarbeitung durch die hörende Seite vorhanden sind, die Frage ist jedoch, ob die bislang taube Seite darin einbezogen werden kann.

Im Folgenden wird der Fall eines einseitig hörgeschädigten Jungen und dessen postoperativer Entwicklung in der auditiven Verarbeitung sprachlicher Merkmale nach CI-Versorgung vorgestellt. Gegenstand der Untersuchung ist die Entwicklung der Diskriminationsfähigkeit von kurzen und langen Vokalen über die Zeit. Unterschiede in der Vokallänge können semantisch relevant sein (z.B. „Kahn“ vs. „kann“), als auch eine Voraussetzung für weitere sprachliche Merkmale darstellen, z.B. Betonung.

Material und Methoden

Der Proband ist männlich, links normalhörend und rechts vermutlich seit Geburt an Taubheit grenzend hörgeschädigt. Nach mehrjähriger CROS-Versorgung erfolgte auf eigenen Wunsch mit 12 Jahren die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat. Erfasst wurde die Diskriminationsfähigkeit mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG), um ein objektives und direktes Maß der neuronalen Reaktion zu erhalten. Dies geschah mittels der Mismatch Negativity (MMN), einer elektrophysiologischen, aufmerksamkeitsunabhängigen Komponente, deren Präsenz ein Nachweis für die Unterscheidungsfähigkeit des betreffenden auditorischen Merkmals ist.

Die EEG-Messungen fanden in der Woche der Erstanpassung, sowie nach zwei bzw. vier Monaten Tragedauer statt. Die Silbe /ba/ wurde mit kurzem und langem Vokal der normalhörenden und der implantierten Seite jeweils getrennt in einem Oddball-Paradigma präsentiert, d.h. eine der beiden Silben wurde als Standardstimulus mit einer Frequenz von 5/6 präsentiert, während die andere Silbe mit einer Frequenz von 1/6 den devianten Stimulus darstellt. Für die Darstellung des MMN-Effekts wird die Differenzkurve gebildet, indem die elektrophysiologische Reaktion auf den Standardstimulus von der Reaktion auf den devianten Stimulus abgezogen wird.

Ergebnisse

Die Daten der normalhörenden Seite zeigen für die lange Silbe einen deutlichen Unterschied zwischen der Präsentation als devianten vs. der Präsentation als Standardstimulus, was sich in einer Negativierung bei ca. 300 ms äußert (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Ein solcher Effekt ist für die CI-versorgte Seite zu keinem der Messzeitpunkte zu finden.

Diskussion

Basale Fähigkeiten der Sprachverarbeitung wie die Differenzierung unterschiedlicher Vokallängen waren im vorliegenden Fall einer späten CI-Versorgung bei kongenitaler, unilateraler Taubheit nach vier Monaten Rehabilitationszeit nicht feststellbar. Im Kontrast dazu stehen die Daten von Kindern, die vor dem vierten Lebensjahr implantiert und mit demselben Paradigma gemessen wurden [6]. Diese zeigen ab dem vierten Monat nach Erstaktivierung einen signifikanten Unterschied in der Verarbeitung kurzer vs. langer Vokale. Die Ergebnisse passen zu der Einschätzung des Probanden, der zu den jeweiligen Messzeitpunkten angab, mit dem CI keinen tatsächlichen Toneindruck zu haben sondern die Stimulation lediglich zu „fühlen“. Die Studie wird fortgesetzt, um den weiteren Entwicklungsverlauf und ggf. den Übergang vom „Fühlen“ zum Hören zu erfassen.

Fazit

Die vorliegenden Daten unterstützen zunächst die Vermutung einer durch crossmodale Plastizität bedingten kortikalen Veränderung der betroffenen Seite. Die fortlaufende Untersuchung des Falls und weitere Untersuchungen von Fällen einseitig prälingual ertaubter Kinder mit später CI-Versorgung sind jedoch vonnöten, um zu erkennen, ob das kindliche bzw. adoleszente Gehirn noch plastisch genug ist, um trotz der späten auditorischen Stimulation eine lautsprachliche Verarbeitung auf der bislang tauben Seite zu erlangen.


Literatur

1.
Hassepass F, Aschendorff A, Wesarg T, Kröger S, Laszig R, Beck RL, et al. Unilateral Deafness in Children. Otol Neurotol. Januar 2013;34(1):53-60. DOI: 10.1097/MAO.0b013e31827850f0 External link
2.
Kral A, Hubka P, Heid S, Tillein J. Single-sided deafness leads to unilateral aural preference within an early sensitive period. Brain. 2013 Jan;136(Pt 1):180-93. DOI: 10.1093/brain/aws305 External link
3.
Nishimura H, Doi K, Iwaki T, Hashikawa K, Oku N, Teratani T, Hasegawa T, Watanabe A, Nishimura T, Kubo T. Neural plasticity detected in short- and long-term cochlear implant users using PET. Neuroreport. 2000 Mar 20;11(4):811-5.
4.
Nishimura H, Hashikawa K, Doi K, Iwaki T, Watanabe Y, Kusuoka H, Nishimura T, Kubo T. Sign language 'heard' in the auditory cortex. Nature. 1999 Jan 14;397(6715):116.
5.
Plontke SK, Heider C, Koesling S, Hess S, Bieseke L, Goetze G, Rahne T. Cochlear implantation in a child with posttraumatic single-sided deafness. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2013 May;270(5):1757-61. DOI: 10.1007/s00405-013-2350-2 External link
6.
Vavatzanidis NK, Hahne A, Mürbe D. Zur Diskriminationsfähigkeit sprachrelevanter Information bei jungen Cochlear-Implant-Kindern: eine EEG-Studie. In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP); 2. Dreiländertagung D-A-CH; Zürich; 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppP19. DOI: 10.3205/11dgpp65 External link