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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Homozygote c.35delG Mutation im Connexin 26 Gen bei einem ehemaligen Frühgeborenen mit Trisomie 21

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Gitta Pantel - Phoniatrie und Pädaudiologie, Cochlear Implant Centrum an der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Eva Fischer-Krall - Phoniatrie und Pädaudiologie, Cochlear Implant Centrum an der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Barbara Streicher - Cochlear Implant Centrum an der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Uniklinik Köln, Köln, Deutschland
  • author Ruth Lang-Roth - Phoniatrie und Pädaudiologie, Cochlear Implant Centrum an der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Uniklinik Köln, Köln, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP14

doi: 10.3205/13dgpp36, urn:nbn:de:0183-13dgpp369

Published: September 5, 2013

© 2013 Pantel et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Trisomie 21 ist assoziiert mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine Hörminderung. Die in der Literatur angegebenen Häufigkeiten betragen 38–82%. Die Schwerhörigkeiten sind jedoch überwiegend gering- bis mittelgradige Schallleitungs- oder kombinierte Schwerhörigkeiten [6].

Mutationen im Connexin 26 Gen sind ursächlich für bis zu 60% der nicht syndromalen genetisch determinierten Schwerhörigkeiten [8].

Frühgeburtlichkeit, ein Geburtsgewicht von unter 1.500g sowie die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung gelten unter anderem als Risikofaktoren für eine Schwerhörigkeit bei Neugeborenen. So ist die Prävalenz dauerhafter Hörstörungen bei Kindern einer neonatologischen Intensivstation mit 3,2% mehr als 30x höher als in der Normalbevölkerung [4].

Material und Methoden: Wir berichten über ein ehemaliges Frühgeborenes Kind mit Trisomie 21, das uns nach auffälligem Neugeborenen-Hörscreening vorgestellt wurde.

Ergebnisse: Die Diagnostik ergab eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit. Aufgrund der für eine Trisomie 21 untypischen hochgradigen Schwerhörigkeit wurde eine genetische Diagnostik veranlasst, welche eine homozygote c.35delG Mutation im Connexin 26 Gen zeigte. Somit ist davon auszugehen, dass die Hörstörung weder durch die Trisomie 21 noch durch die Frühgeburtlichkeit sondern hierdurch zu erklären ist.

Diskussion: In diesem Fall handelt es sich um eine Kombination mehrerer voneinander unabhängiger genetischer Defekte. Die Möglichkeit einer solchen Assoziation sollte bei der Betreuung von Kindern mit einer Trisomie 21 im klinischen Alltag bedacht werden und daher bei einer für eine Trisomie untypischen hochgradigen Schwerhörigkeit eine entsprechende genetische Diagnostik durchgeführt werden, um die betroffenen Familien entsprechend begleiten und beraten zu können.


Text

Hintergrund

Die Trisomie 21 ist mit einer Inzidenz von ca. 1:700 Geburten die häufigste genetische Erkrankung. Kinder mit Trisomie 21 haben verglichen mit der Normalbevölkerung ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Hörstörung. Die in der Literatur angegebene Häufigkeit reicht von 38% bis 82%. Die überwiegende Anzahl der beobachteten Schwerhörigkeiten sind Schallleitungschwerhörigkeiten und gering- bis mittelgradig in der Ausprägung [11]. Nur 4% bis 20% der Kinder mit Trisomie 21 leiden an einer sensorineuralen Schwerhörigkeit [3]. Hochgradige Schwerhörigkeiten werden beobachtet, sind aber selten und meist kombinierte Hörstörungen [1], [11].

Die Prävalenz von Hörstörungen bei Neugeborenen beträgt etwa 1–2:1.000 [10]. Hiervon haben knapp die Hälfte eine genetische Ursache. Von den genetischen Hörstörungen sind etwa 70% nicht syndromal, d.h. die Hörstörung ist nicht Teil eines übergeordneten Syndroms. Von diesen werden etwa drei Viertel der Fälle autosomal rezessiv vererbt. Trotz einer außerordentlich großen genetischen Heterogenität überwiegen Mutationen im Connexin 26 Gen und sind ursächlich für bis zu 60% dieser Hörstörungen [8]. Je nach Genotyp können daraus, zum Teil progrediente Hörstörungen aller Schweregrade resultieren [2].

Frühgeburtlichkeit, ein Geburtsgewicht von unter 1500 g sowie die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung gelten unter anderem als Risikofaktoren für eine Schwerhörigkeit bei Neugeborenen. So ist die Prävalenz dauerhafter Hörstörungen bei Kindern einer neonatologischen Intensivstation mit 3,2% mehr als 30x höher als in der Normalbevölkerung. Insbesondere extreme Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 750 g haben ein wesentlich erhöhtes Risiko einer Hörstörung. So wurde in einem Studienkollektiv in Mexiko eine Prävalenz von 6,2% für diese Gruppe beschrieben. Hierbei gelten die Anzahl der Beatmungstage, die Gabe von Furosemid sowie eine bronchopulmonale Dysplasie als besondere Risikofaktoren [4], [5]. Auf der anderen Seite ist in der Literatur für Frühgeborene aber auch eine Verbesserung der Hörschwelle mit zunehmendem Alter und somit fortgeschrittener Reifung der Hörbahn beschrieben. Dies gilt insbesondere für Kinder, die vor der 28. SSW geboren wurden [4], [9].

Material und Methoden

Wir berichten über ein Kind mit Trisomie 21, das uns nach auffälligem Neugeborenen-Hörscreening zur Konfirmationsdiagnostik vorgestellt wurde. M.C. ist ein ehemaliges Frühgeborenes der 29. SSW und wurde uns erstmals im Alter von korrigiert dreieinhalb Monaten vorgestellt.

Ergebnisse

Die BERA im Spontanschlaf zeigte eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bds. sowie eine Reifungs-/Verarbeitungsstörung auf Hirnstammebene bds.. Bei V.a. Paukenergüsse sowie für eine Trisomie 21 untypischer hochgradiger, an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit wurde eine Parazentese/Paukendraingeneinlage sowie eine Adenotomie durchgeführt und die BERA in Narkose wiederholt. Hier bestätigte sich die hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit bds.. Daraufhin wurde im Alter von korrigiert viereinhalb Monaten eine beiderseitige Hörgeräteversorgung mit Phonak Naida SIII UP eingeleitet. Aufgrund des für eine Trisomie 21 untypischen Ausmaßes der Hörstörung wurde zudem eine genetische Diagnostik veranlasst, welche eine homozygote c35delG Mutation im Connexin 26 Gen zeigte. Somit ist die bei M.C. bestehende Hörstörung weder durch die Trisomie 21 noch durch die Frühgeburtlichkeit sondern hierdurch zu erklären. Da sich mit Hörgeräten keine ausreichenden Hörreaktionen erreichen ließen und bei nachgewiesener Connexin-bedingter Schwerhörigkeit trotz der Frühgeburtlichkeit auch nicht mit einer relevanten Verbesserung der Hörschwelle durch fortschreitende Reifung zu rechnen war, erfolgte im Alter von korrigiert elfeinhalb Monaten schließlich die Cochlear-Implantation rechts. Hierunter macht M.C. erfreuliche Fortschritte und wird in Bälde auch auf der linken Seite ein Cochlear-Implantat erhalten.

Diskussion

Eine Trisomie 21 ist assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Schwerhörigkeiten. Diese sind in der überwiegenden Anzahl der Fälle gering- bis mittelgradige Schallleitungs- oder kombinierte Schwerhörigkeiten [1], [11]. In unserem Fall zeigte die BERA im Spontanschlaf jedoch eine hochgradige, an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beidseits. Auch hochgradige Schwerhörigkeiten und Taubheiten werden in der Literatur beschrieben, es handelt sich hierbei jedoch um seltene Fälle und meist um kombinierte oder einseitige Schwerhörigkeiten [1], [6], [11].

Als zusätzliches Risiko für eine Hörstörung bestand in unserem Fall eine Frühgeburtlichkeit der 29.SSW. Für Frühgeborene einer neonatologischen Intensivstation wird in der Literatur eine Prävalenz persistierender Hörstörungen von 3,2% angegeben [4], [5]. In der Literatur sind aber auch Verbesserungen der Hörschwelle mit zunehmender Reifung der Hörbahn beschrieben [4], [7], [9]. Infolgedessen empfehlen Hof et al. bei Frühgeborenen frühestens im Alter von korrigiert 9–10 Monaten eine Cochlear Implantation durchzuführen, da es bis dahin reifungsbedingt selbst bei hochgradigen Schwerhörigkeiten zur Verbesserung, eventuell sogar zur Normalisierung der Hörschwelle kommen kann [4].

Im Gegensatz hierzu ist bei nachgewiesener Connexin 26 Mutation keine Verbesserung der Hörschwelle zu erwarten, sodass hier auch eine frühzeitige Cochlear-Implantation durchgeführt werden kann. Ferner finden sich in der Literatur Hinweise, dass Patienten mit einer Connexin 26 Mutation bessere Ergebnisse nach Cochlear-Implantation erzielen als Patienten mit einer Hörstörung unklarer Ätiologie. Dies wird auf die erhaltene Funktion nicht nur des Hörnerven, sondern auch der Zellen des Ganglion spirale zurückgeführt [13].

Letztlich liegt bei unserer Patientin eine Kombination von mehreren voneinander unabhängigen Gendefekten vor, wobei die Mutation im Connexin 26 Gen als ursächlich für die beobachtete Hörstörung anzusehen ist. In der Literatur findet sich nur ein Fallbericht, in dem eine solche beschrieben ist. Hier trat ebenfalls eine hochgradige Schwerhörigkeit bei einem Jungen mit Trisomie 21 auf. Neben einer positiven Familienanamnese war die hochgradige Schwerhörigkeit Anlass eine genetische Diagnostik durchzuführen, welche ebenfalls eine homozygote c35delG Mutation im Connexin 26 Gen zeigte [12]. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Dunkelziffer solcher Fälle höher ist, da bei der Mehrheit der Kinder mit bekannter Trisomie 21 beim Nachweis einer Hörstörung keine weitere genetische Diagnostik bezüglich einer Mutation des Connexin 26 Gens erfolgt, da die Ursache der Hörstörung scheinbar bekannt ist.

Fazit

Auch bei Erkrankungen wie Trisomie 21 oder Frühgeburtlichkeit, welche bereits eine Hörstörung erklären können, sollte die Möglichkeit einer assoziierten Mutation im Connexin-26 Gen bedacht werden, und bei beidseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit eine entsprechende genetische Diagnostik nach sich ziehen.

Da bei einer Connexin bedingten Schwerhörigkeit nicht mit einer reifungsbedingten Verbesserung der Hörschwelle gerechnet werden kann, kann auch eine frühzeitige Cochlear-Implantation erfolgen. Somit hat der Nachweis einer solchen Mutation nicht nur Konsequenzen für die betroffene Familie sondern auch für das therapeutische Konzept des schwerhörigen Kindes.


Literatur

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