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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Hörstörung bei Barakat Syndrom (Hypoparathyroidismus, Schallempfindungsschwerhörigkeit, Nierendysplasie)

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Anja Pollak-Hainz - Schwerpunkt Kommunikationsstörungen der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik, Mainz, Deutschland
  • Oliver Bartsch - Institut für Humangenetik, Mainz, Deutschland
  • Ulrich Zechner - Institut für Humangenetik, Mainz, Deutschland
  • Annerose Keilmann - Schwerpunkt Kommunikationsstörungen der Hals-, Nasen-, Ohrenklinik und Poliklinik, Mainz, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP13

doi: 10.3205/13dgpp34, urn:nbn:de:0183-13dgpp340

Published: September 5, 2013

© 2013 Pollak-Hainz et al.
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Zusammenfassung

Einleitung: Beim Barakat-Syndrom (HDR-Syndrom) bestehen zwei oder drei Merkmale der HDR Triade Hypoparathyreoidismus, Schallempfindungsschwerhörigkeit und Nierendysplasie, sowie gelegentlich Fehlbildungen von Uterus und Vagina. Die Ursache ist eine Mutation im GATA3-Gen (Glutamyl Aminotransferase-Untereinheit A) (Chromosom 10p15). Der Erbgang ist autosomal-dominant. Das Syndrom ist extrem selten.

Fallbericht: Eine Mutter (28 Jahre) und ihre Söhne (5 Jahre, 3 Jahre und 10 Monate) wiesen eine beidseitige symmetrische sensorineurale Schwerhörigkeit und medizinisch wenig relevante urogenitale Fehlbildungen auf. Ein Hypoparathyreoidismus wurde nicht beobachtet. Alle Betroffenen zeigten als Ursache eine heterozygote Mutation im GATA3-Gen. Bei der Mutter bestand eine mittel-hochgradige Schwerhörigkeit, sie trug seit dem 6. Lebensjahr Hörgeräte. Beim ältesten Sohn wurde im 4. Lebensjahr eine geringgradige Schwerhörigkeit diagnostiziert und Hörgeräte angepasst. Beim 2. und 3. Sohn wurde schon im Neugeborenenhörscreening und der Konfirmationsdiagnostik eine mittelgradige Hörstörung festgestellt, sie erhielten im 3. Lebensmonat Hörgeräte. Lediglich der älteste Sohn benötigte eine logopädische Therapie.

Diskussion: Die Familie bestätigt die große Variabilität der klinischen Symptome bei HDR-Syndrom. Bezüglich der Schwerhörigkeit lag bei der überwiegenden Zahl der in der Literatur beschriebenen Fälle eine beidseitige mittel-hochgradige sensorineurale Schwerhörigkeit vor. Weiterhin zeigt sich der hohe Wert von frühzeitiger adäquater Hördiagnostik, Hörsystemversorgung und humangenetischer Untersuchung, um Entwicklungsstörungen und Folgeerkrankungen zu vermeiden.


Text

Einleitung

Beim Barakat-Syndrom (Hypoparathyroidism, Deafness, Renal Dysplasia, HDR-Syndrom) bestehen zwei oder drei Merkmale der HDR Triade Hypoparathyreoidismus, Schallempfindungsschwerhörigkeit und Nierendysplasie, sowie gelegentlich Fehlbildungen von Uterus und Vagina. Die Ursache ist eine Mutation im GATA3-Gen (Glutamyl Aminotransferase-Untereinheit A) (Chromosom 10p15). Der Erbgang ist autosomal-dominant. Das Syndrom ist extrem selten. Es wurden erst etwa 30 Fälle mit Mutationen im GATA3-Gen [5], [6] berichtet, sowie weitere Fälle aufgrund von Deletionen von Chromosom 10p14-pter (DiGeorge critical region II). Über den natürlichen Verlauf der Erkrankung ist bisher wenig bekannt. Bezüglich der Schwerhörigkeit lag bei der überwiegenden Zahl der in der Literatur beschriebenen Fälle eine beidseitige mittel-hochgradige sensorineurale Schwerhörigkeit ausgeprägter im Hochtonbereich als im Tieftonbereich vor [1], [3], [4], [5]. Jedoch wird in Einzelfällen von einer Taubheit berichtet. Die Mehrzahl der Patienten werden über Krampfanfälle bei Hypocalziämie durch den Hypoparathyroidismus oder renale Komplikationen auffällig [1], [2], [5], [7], [8].

Fallbericht

Wir berichten über eine Familie mit 3 Söhnen im Alter von 6 und 3 Jahren sowie 10 Monaten. Bei der Mutter (28 Jahre) und allen Söhnen besteht eine beidseitige symmetrische sensorineurale Schwerhörigkeit und medizinisch wenig relevante urogenitale Fehlbildungen (Duplikation der Vagina und des Uterus, Kelchzysten bei der Mutter; Nierendysplasie bei den Söhnen). Ein Hypoparathyreoidismus wurde nicht beobachtet. Der Vater ist gesund. Alle Betroffenen zeigten als Ursache eine heterozygote Mutation im GATA3-Gen.

Die Mutter trug seit dem 6. Lebensjahr Hörgeräte. Während bei ihr mit 14 Jahren noch eine beidseitige geringgradige Schwerhörigkeit bestand, liegt mittlerweile mit 28 Jahren eine hochgradige bzw. hochgradige bis an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vor. Sie wurde zuletzt vor 2 Jahren mit Hörgeräten als offenes System mit Dome versorgt. Sie empfindet den derzeitigen Hörgewinn als unzureichend, leidet an rezidivierenden Gehörgangsentzündungen und kann häufig ein Hörsystem nicht tragen. Messungen ergaben, dass die Verstärkung der aktuell verordneten Hörgeräte noch ausreichend ist. Es wurde die Umrüstung auf einen Powerhörer mit einem Gehörgangszapfen aus antiallergischem Material sowie Veränderungen Verstärkung im Hoch- und Tieftonbereich empfohlen. Von einer anderweitig empfohlenen Versorgung mit einer Vibrant Sound Bridge wurde aufgrund der bisher beobachteten und zukünftig zu erwartenden Progredienz der Schwerhörigkeit abgeraten, da die Schwerhörigkeit voraussichtlich bald außerhalb des Indikationsbereichs für eine Vibrant Sound Bridge liegen wird.

Obwohl bei der Mutter eine Hörstörung bekannt ist, wurde beim ältesten Sohn kein Neugeborenenhörscreening durchgeführt. Erst im 4. Lebensjahr wurde eine beidseitige geringgradige sensorineurale Schwerhörigkeit diagnostiziert und die Erstversorgung mit Hörsystemen vorgenommen.

Der Junge besuchte einen Regelkindergarten, nutzte dort ein FM-System und erhielt Logopädie, Ergotherapie und Hörfrühförderung. Bei den letzten Untersuchungen zur Sprachentwicklung zeigte sich kein Rückstand mehr, sodass die logopädische Therapie beendet wurde. Es sei der Besuch einer Regelschule geplant. Die letzten 3 beurteilbaren Jahre zeigte sich eine leichte Progredienz der Hörstörung von gering-mittelgradig zu einer mittelgradigen Hörstörung. Beim zweiten und dritten Sohn wurde schon im Neugeborenenhörscreening und der Konfirmationsdiagnostik eine gering- bis mittelgradige Hörstörung festgestellt, sie erhielten im dritten Lebensmonat Hörgeräte. Die Hörgeräteakzeptanz war bei ihnen von Anfang an gut. Es ließen sich zwischenzeitlich Tubenbelüftungsstörungen oder Paukenergüsse feststellen, die ohne operative Intervention rückläufig waren. Der mittlere Sohn besucht einen Regelkindergarten und erhält regelmäßig Schwerhörigenfrühförderung. Bei bisher regelrecht verlaufender Sprachentwicklung und lediglich inkonstanter Rhinophonia aperta wurde bisher keine logopädische Therapie erforderlich. Auch bei ihm zeigte sich bereits eine diskrete Progredienz der Hörstörung. Beim jüngsten Sohn lässt sich aufgrund des Alters über die Progredienz keine Aussage treffen. Seine allgemeine Entwicklung verläuft unauffällig. Alle drei Söhne sind entsprechend der aktuellen pädaudiologischen Standards mit konventionellen Hinter-dem-Ohr-Hörgeräten als geschlossenes System mit Ohrpassstück versorgt und zeigen alle eine gute Akzeptanz. Der Verstärkungsbereich im Verhältnis zur langsamen Progredienz war bisher ausreichend, sodass bei keinem Kind eine vorzeitige Umversorgung vorgenommen werden musste.

Diskussion

Der Fall dieser Familie bestätigt die große Variabilität der klinischen Symptome bei HDR-Syndrom. Bezüglich der Schwerhörigkeit lag bei der überwiegenden Zahl der in der Literatur beschriebenen Fälle eine langsam progrediente beidseitige mittel-hochgradige sensorineurale Schwerhörigkeit vor, die in den hohen Frequenzen ausgeprägter war als in den tiefen. Bei der verhältnismäßig jungen Mutter (28 Jahre) der hier beschriebenen Familie hat sich innerhalb der beurteilbaren letzten 14 Jahre der Hörverlust von gering-mittelgradig auf hochgradig bzw. hochgradig bis an Taubheit grenzend erhöht. Es wurde von noch keinem Fall berichtet, bei dem eine konventionelle Hörsystemversorgung nicht ausreichend war und eine Cochlea-Implantat-Versorgung indiziert war. Es bleibt abzuwarten, in welcher Geschwindigkeit die Schwerhörigkeit bei der Familie voranschreitet, die Option zur Cochlea-Implantat-Versorgung bleibt offen. Sehr häufig wurde weiterhin ein Hypoparathyroidismus beobachtet. Über das Auftreten der vollständigen Triade des HDR-Syndroms wurden unterschiedliche Zahlen angegeben [1], [3], [4], [5], [7]. Weiterhin zeigt sich der hohe Wert von frühzeitiger adäquater Hördiagnostik, Hörsystemversorgung und humangenetischer Untersuchung, um Entwicklungsstörungen vor allem der Sprache und irreversiblen Folgeerkrankungen, wie häufig bei spät erkannten Fällen beschrieben [4], [5], [7] zu vermeiden.


Literatur

1.
Al-Shibli A, Al Attrach I, Willems PJ. Novel DNA mutation in the GATA3 gene in an Emirati boy with HDR syndrome and hypomagnesemia. Pediatr Nephrol. 2011 Jul;26(7):1167-70. DOI: 10.1007/s00467-011-1835-8 External link
2.
Bakarat AJ. Hypoparathyroidism, sensorineural deafness, and renal disease. Orphanet Encyclopedia. March 2006.
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Bilous RW, Murty G, Parkinson DB, Thakker RV, Coulthard MG, Burn J, Mathias D, Kendall-Taylor P. Brief report: autosomal dominant familial hypoparathyroidism, sensorineural deafness, and renal dysplasia. N Engl J Med. 1992 Oct 8;327(15):1069-74.
4.
Ferraris S, Del Monaco AG, Garelli E, Carando A, De Vito B, Pappi P, Lala R, Ponzone A. HDR syndrome: a novel "de novo" mutation in GATA3 gene. Am J Med Genet A. 2009 Feb 15;149A(4):770-5. DOI: 10.1002/ajmg.a.32689 External link
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Fukami M, Muroya K, Miyake T, Iso M, Kato F, Yokoi H, Suzuki Y, Tsubouchi K, Nakagomi Y, Kikuchi N, Horikawa R, Ogata T. GATA3 abnormalities in six patients with HDR syndrome. Endocr J. 2011;58(2):117-21.
6.
Hernández AM, Villamar M, Roselló L, Moreno-Pelayo MA, Moreno F, Del Castillo I. Novel mutation in the gene encoding the GATA3 transcription factor in a Spanish familial case of hypoparathyroidism, deafness, and renal dysplasia (HDR) syndrome with female genital tract malformations. Am J Med Genet A. 2007 Apr 1;143(7):757-62.
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Nakamura A, Fujiwara F, Hasegawa Y, Ishizu K, Mabe A, Nakagawa H, Nagasaki K, Jo W, Tajima T. Molecular analysis of the GATA3 gene in five Japanese patients with HDR syndrome. Endocr J. 2011;58(2):123-30.
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Ranjbar-Omrani G, Zamiri N, Sabayan B, Mohammadzadeh A. Concomitant hypoparathyroidism, sensorineural deafness, and renal agenesis: a case of Barakat syndrome. Arch Iran Med. 2008 May;11(3):337-40. DOI: 08113/AIM.0019 External link