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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Familiäre Schwerhörigkeit mit Keratoma hereditaria mutilans

Poster

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Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP11

doi: 10.3205/13dgpp28, urn:nbn:de:0183-13dgpp289

Published: September 5, 2013

© 2013 Läßig et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Kombination einer sensorineuralen Schwerhörigkeit und Hyperkeratosen der Extremitäten ist selten und hat aufgrund der schweren Beeinträchtigungen einen hohen Krankheitswert. Differentialdiagnostisch muss an Mutationen im GJB2-Gen, u.a. das Bart-Pumphrey Syndrom, das KID-Syndrom (Keratitis-ichthyosis-deafness), die Ichthyosis hystrix, das HID-Syndrom (Hystrix-like ichthyosis-deafness) sowie Vohwinkel-Syndrom, gedacht werden.

Material und Methoden: Ein im Neugeborenen-Hörscreening aufgefallenes Mädchen nicht konsanguiner türkischer Eltern wies zusätzlich zur Schwerhörigkeit Keratosen an Händen und Füßen auf. Der Vater war schon im Kindesalter mit Hörsystemen versorgt worden und wies ebenfalls an Händen und Füßen Verhornungen mit teilweise sehr schmerzhaften ringförmigen Einschnürungen der Kleinfinger auf. Im Alter von 4 Monaten erfolgte die pädaudiologische Diagnostik und Erstversorgung mit Hörsystemen. Akustisch evozierte Potentiale ließen sich bei guten Mittelohrverhältnissen in der Click-BERA rechts bei 50 dB und links bei 55 dB, in der Notched Noise BERA bei 0,5/1/2/4 kHz rechts bei 40/40/50/50 dB und links bei 40/50/50/60 dB nachweisen. Die TEOAE waren bds. nicht reproduzierbar nachweisbar. Später stellte sich tonaudiometrisch eine geringgradige Schwerhörigkeit bds. dar. Das Sprachverstehen lag im Göttinger II bei 55/65/80 dB mit 30/80/90%. Zusätzlich lag eine Sprachentwicklungsstörung schweren Grades vor. Im Rahmen der molekulargenetischen Diagnostik wurde das GJB2-Gen (Connexin 26) untersucht.

Ergebnisse: Bei Vater und Tochter wurde eine einzige autosomal dominante Mutation p.D66H (c.196>C) im heterozygoten Zustand im GJB2-Gen nachgewiesen. Somit konnte das Vorliegen eines Vohwinkel-Syndroms (OMIM #124500) gesichert werden.

Diskussion: Die Mutation D66H ist eine in der Literatur bekannte typische Ursache des Vohwinkel-Syndroms, das – ungewöhnlich für das GJB2-Gen – autosomal dominant vererbt wird. Fast alle anderen GJB2-Mutationen verursachen rezessiv-erbliche Hörstörungen. Eine frühe pädaudiologische Diagnostik inklusive humangenetischer Untersuchung ist bei ungewöhnlichen Symptomkonstellationen unerlässlich und ermöglicht eine sichere Diagnose und der Familie eine bessere Familienplanung (ggf. vorgeburtliche Diagnostik).


Text

Einleitung

Die Kombination einer sensorineuralen Schwerhörigkeit und Hyperkeratosen der Extremitäten ist selten und hat aufgrund der schweren Beeinträchtigungen einen hohen Krankheitswert. Differentialdiagnostisch muss an congenitale Schwerhörigkeiten mit Mutationen im GJB2-Gen wie u.a. das Bart-Pumphrey Syndrom, das KID-Syndrom (Keratitis-ichthyosis-deafness), die Ichthyosis hystrix und HID-Syndrom (Hystrix-like ichthyosis-deafness) und das Vohwinkel-Syndrom gedacht werden [1], [2], [3].

Methode

Wir berichten über ein im Neugeborenen-Hörscreening aufgefallenes Mädchen, welches Keratosen an Händen und Füßen aufwies. Familienanamnestisch bestand bei türkischem Migrationshintergrund keine Konsanguinität. Der Vater berichtete, dass er schon im Kindesalter mit Hörsystemen versorgt wurde und an seinen Händen und Füßen Verhornungen mit teilweise sehr schmerzhaften ringförmigen Einschnürungen der Kleinfinger (Pseudo-Ainhum, ähnlich Dactylolysis Spontanea) vorliegen (Abbildung 1 [Abb. 1]). Der Urgroßvater väterlicherseits sei ebenfalls schwerhörig gewesen.

Im Alter von 4 Monaten erfolgte die pädaudiologische Diagnostik und Erstversorgung mit Hörsystemen (Phonak Nios micro III bds.).

Im Rahmen der humangenetischen, molekulargenetischen Diagnostik wurde für das einzige kodierende Exon (Exon 2) des, für das Connexin 26 Protein kodierende GJB2-Gen zunächst ein PCR-Amplifikation und anschließend eine Sequenzierung des PCR-Produkts durchgeführt.

Ergebnisse

Akustisch evozierte Potentiale ließen sich bei guten Mittelohrverhältnissen in der Click-BERA rechts bei 50 dB und links bei 55 dB sowie in der Notched Noise BERA bei 0,5/1/2/4 kHz rechts bei 40/40/50/50 dB und links bei 40/50/50/60 dB nachweisen. Die TEOAE waren bds. nicht reproduzierbar nachweisbar. Im Alter von 5 Jahren stellte sich tonaudiometrisch eine geringgradige Schwerhörigkeit bds. dar (Abbildung 2 [Abb. 2]). Das Sprachverstehen lag im Göttinger Kindertest II bei 55/65/80 dB mit 30/80/90%. Zusätzlich lag im Alter von 4,06 Jahren eine Sprachentwicklungsstörung schweren Grades mit Einschränkungen im Sprachverständnis (TROG-D: T-Wert <29), Dysgrammatismus schwersten Grades und multipler Dyslalie (/k/, /r/, /ch2/) und Konsonantenverbindungsschwäche vor.

Das Mädchen besucht halbtags einen Regelkindergarten und erhalte seit ca. 2 Jahren eine bis zu 2x wöchentliche ambulante logopädische Therapie sowie eine Schwerhörigenfrühförderung über die zuständige Schwerhörigenschule.

Es wurde eine einzige autosomal dominante Mutation p.D66H (c.196>C) im heterozygoten Zustand sowohl beim Vater als auch bei der Tochter nachgewiesen. Weitere Veränderungen im GJB2-Gen waren nicht feststellbar.

Somit konnte in der Familie das Vorliegen eines Vohwinkel-Syndroms gesichert werden.

Diskussion und Zusammenfassung

Eine frühe pädaudiologische Diagnostik inklusive humangenetischer Untersuchung ist bei ungewöhnlichen Symptomkonstellationen unerlässlich. Da die Wiederholungswahrscheinlichkeit in unserem Fall bei 50% liegt und eine Heilung momentan nicht möglich ist, kann bei Familienwunsch nun nach Bestimmung der Mutation eine vorgeburtliche Diagnostik oder PID (Präimplantationsdiagnostik) ermöglicht werden.

Die Behandlung der Keratodermie ist schwierig und beinhaltet topische Keratolytika und systemische Retinoide. Durch das Tragen von Gummihandschuhen können die Pachydermien aufweichen und besser abgelöst werden.


Literatur

1.
Dippold S, Butsch F, Schopf R, Keilmann A. Vohwinkel-Syndrom: Schwerhörigkeit und Keratosen an Hand und Fuß [Vohwinkel syndrome: Hearing loss and keratoderma on the hands and feet]. HNO. 2013 Jul;61(7): 617-9. DOI: 10.1007/s00106-012-2607-x External link
2.
Lee JY, In SI, Kim HJ, Jeong SY, Choung YH, Kim YC. Hereditary Palmoplantar Keratoderma and Deafness Resulting from Genetic Mutation of Connexin 26. J Korean Med Sci. 2010 Oct;25(10):1539-42. DOI: 10.3346/jkms.2010.25.10.1539 External link
3.
Heathcote K, Syrris P, Carter ND, Patton MA. A connexin 26 mutation causes a syndrome of sensorineural hearing loss and palmoplantar hyperkeratosis. J Med Genet. 2000 Jan;37:50-1. DOI: 10.1136/jmg.37.1.50 External link