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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Semantische Verarbeitung von Musikexzerpten nach Cochlea-Implantation: Elektrophysiologische Evidenz

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  • corresponding author presenting/speaker Lisa Bruns - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Anja Hahne - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Dresden, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Sächsisches Cochlear Implant Centrum, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Dresden, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP9

doi: 10.3205/13dgpp26, urn:nbn:de:0183-13dgpp263

Published: September 5, 2013

© 2013 Bruns et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Musikwahrnehmung von Cochlea-Implantat (CI)-Trägern ist, insbesondere bei postlingual ertaubten Patienten, subjektiv häufig längerfristig eingeschränkt. Das subjektive Musikempfinden wurde bisher jedoch nicht ausreichend objektiviert. Über die veränderte semantische Verarbeitung von Wörtern nach vorausgehenden musikalischen Stimuli kann das Empfinden von Musik gemessen werden [2]. Inwiefern dieser musikalisch-semantische Bezug auch von CI-Trägern wahrgenommen werden kann, untersucht diese Studie.

Material und Methoden: Bei 44 postlingual ertaubten CI-Trägern (Altersdurchschnitt 64 Jahre, 23 weiblich) wurden die Ereigniskorrelierten Potentiale (EKPs) im EEG im Vergleich mit prälingual Ertaubten und Normalhörenden untersucht. Auf ein akustisch präsentiertes komplexes Musikstück folgte dabei jeweils ein visuell präsentiertes Wort. Dieses stand entweder in einem semantischen Kontext zum vorher gehörten Musikstück (kongruent) oder nicht (inkongruent). Der Unterschied in der Wortverarbeitung zwischen kongruenten und inkongruenten Stimuli, der sich im N400-Effekt des EKPs zeigt, gibt Aufschluss darüber, wie die Musik wahrgenommen wurde.

Ergebnisse: In der EKP-Mittelung aller CI-Träger zeigte sich tendenziell eine fronto-central betonte Negativierung für die semantisch inkongruenten Stimuli im Vergleich zu den kongruenten Stimuli. Patienten, welche die (In-)Kongruenz von Wort und Musik häufig richtig beurteilt hatten (≥70%, N=8), zeigten – ähnlich wie Normalhörende – einen signifikanten N400-Effekt auf der Cz-Elektrode.

Diskussion: Einigen CI-Trägern ist es möglich, bedeutungstragende Informationen in komplexen Musikstücken wahrzunehmen. Welche Faktoren diese Wahrnehmungsfähigkeit beeinflussen, wird anhand von Korrelationen mit Sprachverständnisparametern, der individuellen musikalischen Diskriminationsfähigkeit, Vorerfahrung sowie der Höranamnese weiter untersucht werden.


Text

Hintergrund

Die Musikwahrnehmung von Cochlea-Implantat (CI)-Trägern ist, insbesondere bei postlingual hörgeschädigten Patienten, subjektiv häufig längerfristig eingeschränkt. Vor allem die Wahrnehmung komplexer Musikstücke mit vielen simultanen Klanginformationen wird als schwierig empfunden [4]. Seit der Kindheit stark hörgeschädigte (prälingual hörgeschädigte) CI-Träger hingegen berichten aufgrund ihrer Hörgeschichte oft positiv über den durch das Implantat vermittelten neuen Musikeindruck. Bisher untersuchten Studien die Musikwahrnehmung von CI-Trägern vor allem mittels Fragebogentestung und Diskriminationstests [3]. Diese bieten jedoch keine ausreichende Objektivierung des musikalischen Empfindens. Es ist bekannt, dass bei Normalhörenden die Wortverarbeitung durch vorausgehende musikalische Stimuli beeinflusst werden kann. Die semantische Integration eines Wortes ist dabei erleichtert, wenn vorhergehende Musik dieselbe semantische Konzeptebene angesprochen hat [2]. Inwiefern dieser musikalisch-semantische Bezug auch von CI-Trägern empfunden werden kann, untersucht diese Studie.

Material und Methoden

Bei 44 postlingual und 10 prälingual hörgeschädigten CI-Trägern wurden die Ereigniskorrelierten Potentiale (EKPs) im EEG vergleichend mit Normalhörenden (NH) untersucht (CI-Tragedauer mind. 6 Monate; postl.: Altersdurchschnitt: 64 Jahre, 23 weiblich; präl.: Altersdurchschnitt: 35 Jahre, 3 weiblich; NH: N=34, Altersdurchschnitt: 66 Jahre, 19 weiblich). Dabei wurden neun Skalpelektrodenpositionen nach dem 10-20-System aufgezeichnet. Es wurden ca. 10-sekündige komplexe Musikstücke akustisch präsentiert, denen jeweils ein visuell präsentiertes Wort folgte. Dieses stand entweder in einem semantischen Kontext zum vorher gehörten Musikstück (kongruent) oder nicht (inkongruent). Jedes Wort wurde jeweils einmal nach einem kongruenten und einem inkongruenten Musikstück präsentiert. Außerdem wurde jedes Musikstück zweimal präsentiert, einmal von einem kongruenten und einmal von einem inkongruenten Wort gefolgt. (Stimuli von Koelsch et al., [2]). Die Probanden waren dazu aufgefordert, per Knopfdruck ihre persönliche Einschätzung über die (In-)Kongruenz der Stimuli abzugeben. Die EKPs wurden auf einer Länge von 1000 ms nach dem Wort-Onset, bezogen auf eine 200 ms-Prästimulus-Baseline, gemittelt. Der Unterschied in der semantischen Wortverarbeitung zwischen kongruenten und inkongruenten Stimuli zeigte sich dabei im N400-Effekt des EKPs, welches durch die Wörter evoziert wurde. Er gibt Aufschluss darüber, wie die vorhergehende Musik wahrgenommen werden konnte. Neben den elektrophysiologischen Parametern wurden verschiedene Einflussfaktoren betrachtet. Die akustische Diskriminationsfähigkeit wurde mittels eines musikalischen Diskriminationstests (MuSIC-Test von MedEl, [1]) erfasst. Dieser untersuchte die Domänen Tonhöhen-, Rhythmus-, Melodie-, und Akkorddiskrimination sowie Instrumentenidentifikation. Außerdem wurden mittels Fragebögen Hintergrundinformationen zu Musikerfahrung, persönlicher Einschätzung des Musikempfindens sowie zur Höranamnese aufgenommen.

Ergebnisse

Die CI-Träger schätzten behavioral im Mittel 63% der Stimuli korrekt ein, wobei die NH mit 79% richtigen Antworten signifikant höhere Werte erreichten (t(87)=-10.55, p<.0001). Die Antworten beider Gruppen lagen über dem Zufallsniveau (Chance level=59%; CI-Träger: t(51)=3.89, p<.0001; NH: t(33)=17.8, p<.0001). Die EKP-Mittelung aller CI-Träger zeigte tendenziell eine fronto-central betonte Negativierung für die semantisch inkongruenten Stimuli im Vergleich zu den kongruenten Stimuli. Betrachtete man nur die postlingual hörgeschädigten Patienten und mittelte man nur die EKPs der richtig eingeschätzten Stimuli, zeigte sich ein signifikanter N400-Effekt auf der Cz-Elektrode (t(43)=2.04, p<.05) (s. Abbildung 1a [Abb. 1]). In der Mittelung aller prälingual Hörgeschädigten fand sich hingegen keinen Unterschied zwischen den Bedingungen (s. Abbildung 1b [Abb. 1]), wobei jedoch drei Einzelpersonen unter den prälingual Hörgeschädigten deskriptiv einen N400-Effekt zeigten. Es erfolgte eine Auswertung des Antwortverhaltens, um den Zusammenhang zwischen den behavioralen Angaben und den EKP-Effekten zu prüfen. Patienten, welche die (In-)Kongruenz von Wort und Musik häufig richtig beurteilt hatten (mind. 70%, N=8) zeigten einen signifikanten N400-Effekt auf der Cz-Elektrode (t(7)=2.69, p<.03). Die Probanden der altersgematchten Kontrollgruppe zeigten in der Mittelung der EKPs aller richtig beantworteten Stimuli centroparietal einen N400-Effekt. Im musikalischen Diskriminationstest zeigte sich ein Defizit der CI-Träger in allen Domänen im Vergleich zu NH (zweiseitiger t-Test, Faktoren Testergebnis [Subdomäne] und Gruppe [Patient/NH], p<.006). Innerhalb der Patientengruppe fand sich jedoch keine Korrelation zwischen Testergebnissen und dem N400-Effekt auf Cz. Ein Fragebogen zur Einschätzung des Musikempfindens der CI-Träger zeigte, dass nur 35% der postlingual Hörgeschädigten im Gegensatz zu 60% der prälingual Hörgeschädigten Musik häufig als Genuss empfanden (Korrelation der Faktoren Musikgenuss und Ertaubung [prä-/postlingual]: r=–.28, p<.05). Der Musikgenuss war außerdem mit der Häufigkeit des Musikhörens der Patienten korreliert (r=.57, p<.01). Erste Analysen der möglichen Hintergrundfaktoren innerhalb der Patientengruppe zeigten keinen Einfluss von Alter, Geschlecht, aktuellem oder früherem Musizieren beziehungsweise individuell durchgeführtem Musikhörtraining sowie Implantattyp auf den N400-Effekt. Bei den Kontrollpersonen zeigte sich eine Korrelation zwischen dem N400-Effekt auf der Cz-Elektrode und der Musikerfahrung der Probanden (r=.44, p<.01).

Diskussion und Fazit

Einigen CI-Trägern ist es trotz eines eingeschränkten Diskriminationsvermögens möglich, bedeutungstragende Informationen in komplexen Musikstücken wahrzunehmen. Dabei findet man vor allem in der Gruppe der postlingual Hörgeschädigten einen größeren Anteil an Patienten, welche einen N400-Effekt als Zeichen der semantischen Integration von Musikstimuli aufweisen. Besonders deutlich wird der Effekt bei Patienten, welche die Stimuli, ähnlich wie Normalhörende, häufig richtig einschätzten. Interessanterweise ist diese musikalisch-semantische Verbindung jedoch nicht nur postlingual Hörgeschädigten, sondern ebenso einigen prälingual hörgeschädigten Patienten möglich. Es wird daher im Folgenden besonders interessieren, eventuelle Abhängigkeiten zwischen der Ausprägung des Musikempfindens und Sprachverständnisparametern bzw. Höranamnese zu untersuchen. Außerdem stellt sich die Frage, ob die persönliche Musikeinschätzung der CI-Träger hier eine Rolle spielt. Es ist festzuhalten, dass es mit dem durch ein Cochlea-Implantat vermittelten Höreindruck möglich sein kann, semantische Informationen in komplexen Musikstücken zu verstehen, was sich im N400-Effekt zeigt. Welche Aspekte dieses Vermögen beeinflussen, werden weitere Untersuchungen zeigen.

Acknowledgements

Die Studie wurde durch die Else Kröner-Fresenius-Stiftung im Rahmen eines Promotionskollegs gefördert


Literatur

1.
Brockmeier SJ, Fitzgerald D, Searle O, Fitzgerald H, Grasmeder M, Hilbig S, Vermiere K, Peterreins M, Heydner S, Arnold W. The MuSIC perception test: a novel battery for testing music perception of cochlear implant users. Cochlear Implants Int. 2011;12(1):10-20.
2.
Koelsch S, Kasper E, Sammler D, Schulze K, Gunter T, Friederici AD. Music, language and meaning: brain signatures of semantic processing. Nat Neurosci. 2004; 7(3):302:7.
3.
Looi V, Gfeller K, Driscoll V. Music appreciation and training for cochlear implant recipients: a review. Semin Hear. 2012;33(4):307-334.
4.
Migirov L, Kronenberg J, Henkin Y. Self-reported listening habits and enjoyment of music among adult cochlear implant recipients. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2009;118(5):350-5.