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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Sprachverständlichkeit von Kindern mit Schwerhörigkeit

Poster

  • corresponding author presenting/speaker Caroline Diziol - Phoniatrie und Pädaudiologie Uniklinik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Nina Ospelt - Phoniatrie und Pädaudiologie Uniklinik Freiburg, Freiburg, Deutschland
  • Tobias Bocklet - Universität Erlangen-Nürnberg, Fachbereich Informatik, Erlangen, Deutschland
  • Elmar Nöth - Universität Erlangen-Nürnberg, Fachbereich Informatik, Erlangen, Deutschland
  • author Erwin Löhle - Phoniatrie und Pädaudiologie Uniklinik Freiburg, Freiburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP8

doi: 10.3205/13dgpp25, urn:nbn:de:0183-13dgpp254

Published: September 5, 2013

© 2013 Diziol et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: In dieser Studie wurde die Verständlichkeit hörgeschädigter Schüler mit Hilfe des Spracherkennungsprogramms PEAKS mit einem auditiven Urteil verglichen. Zudem wurde untersucht, welche Faktoren Einfluss auf die Verständlichkeit dieser Schüler nehmen.

Material und Methoden: 194 Schülern des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte Stegen wurden hinsichtlich ihrer Verständlichkeit mit Hilfe von PEAKS untersucht. Die durchschnittliche Verständlichkeit wurde sowohl automatisch von PEAKS (Worterkennungsrate WR) als auch durch eine Linguistin in einem auditiven Urteil (Likert-Skala 1–5) erfasst.

Ergebnisse: Die WR und das auditive Urteil der Linguistin korrelierten moderat miteinander. Schüler weiterführender Schulen sprachen signifikant verständlicher als Grundschüler. Zwischen den Schülern weiterführender Schulformen gab es dagegen keine signifikanten Differenzen. Mädchen waren verständlicher als Jungen. Schüler mit Hörschädigung erzielten eine schlechtere WR als eine Kontrollgruppe sowie eine signifikant bessere Verständlichkeit als Schüler mit einer vollständigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, die in Freiburg operiert wurde.

Diskussion: In dieser Studie konnte eine gute Kriteriumsvalidität zwischen der WR von PEAKS und einem auditiven Urteil festgestellt werden. PEAKS kann damit auch für Schüler mit Hörschädigung als effektive und ökonomische Alternative zur aufwendigen menschlichen Beurteilung in Wissenschaft und Therapie genutzt werden.


Text

Hintergrund

Kommunikation ist der Schlüssel zu erfolgreicher sozialer Integration in die Gesellschaft. Dafür ist nicht zuletzt eine gute Sprachverständlichkeit unabdingbar, deren Erwerb beispielsweise für Menschen mit Schwerhörigkeit erschwert ist. Während inzwischen die Sprachverständlichkeit von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKG-Spalten) wiederholt untersucht und das Spracherkennungsprogramm PEAKS (Program for the Evaluation and Analysis of all Kinds of Speech disorders) als objektive Quantifizierung der Verständlichkeit dieser Patientengruppe bestätigt wurde, liegen diesbezüglich wenig Erkenntnisse für Kinder mit Schwerhörigkeit vor.

Material und Methoden

194 Schüler (M=13,30 Jahre, SD=3,40; m=114; w=80) des Bildungs- und Beratungszentrums für Hörgeschädigte Stegen (BBZ Stegen) wurden hinsichtlich ihrer Sprachverständlichkeit mit Hilfe des Spracherkennungsprogramms PEAKS untersucht. PEAKS ist im Internet frei zugänglich und wurde mit Erwachsenen und Kindern ohne Sprechstörung trainiert. Nach Aufnahme des Sprachmaterials berechnet es u.a. die Worterkennungsrate (WR), also die Prozentzahl korrekt erkannter Wörter.

Die Schüler des BBZ benannten für die Studie 99 Wörter auf 33 Folien des Tests Psycho-Linguistische Analyse kindlicher Störungen (PLAKSS). Dieser Test erfasst alle deutschen Phoneme in allen Positionen eines Wortes. Die durchschnittliche Sprachverständlichkeit wurde sowohl automatisch vom Programm PEAKS als auch durch eine Linguistin in einem auditiven Urteil erfasst. Die Linguistin bewertete dabei jedes Wort auf einer 5er Likert-Skala (1 = hervorragend; 5 = unverständlich). Für jeden Patienten wurde dann der Mittelwert der Bewertung berechnet.

Die Sprachverständlichkeit der Schüler wurde zudem mit den Ergebnissen von zwei medizinischen Dissertationen verglichen. Für die erste Dissertation wurden 72 Kinder mit LKG-Spalte (M=8,7 Jahre; SD=3,0) die die Spaltsprechstunde an der Universität Erlangen-Nürnberg besuchten sowie 159 gesunde Kinder ohne Spaltfehlbildung (M=9,1 Jahre; SD=2,9 Jahre) mit der gleichen Methode untersucht. In der zweiten Dissertation wurden 51 Kinder (M=9,71 Jahre; M=3,4) mit LKG-Spalte untersucht, die die Spaltsprechstunde in Freiburg besuchten.

Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe von Excel mit der Pearson Korrelation, einfaktoriellen Varianzanalyse und Mittelwertvergleich.

Ergebnisse

Die WR und das auditive Urteil der Linguistin für die Kinder des BBZ Stegen korrelierten moderat miteinander (r=–0,71). Die Korrelation ist negativ, da ein hoher WR-Wert sowie ein niedriger Wert auf der Likert-Skala eine gute Verständlichkeit kennzeichnen.

Schüler weiterführender Schulen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium; Tabelle 1 [Tab. 1]) sprachen signifikant verständlicher als Grundschüler (t=8,86; p=0,000001). Zwischen den Schülern weiterführender Schulformen gab es dagegen keine signifikanten Differenzen (F=1,43; p=0,24). Die Mädchen der Stichprobe sprachen signifikant verständlicher als Jungen (t=–3,44; P=0,0007).

Im Vergleich mit den untersuchten Kindern mit LKG-Spalte der Erlangen-Nürnberg Gruppe zeigte die alterskorrigierte Stichprobe dieser Studie (Grundschüler, n=72; Alter: M=10,44 Jahre, SD=1,37; WR: M=54,24, SD=13,2) eine bessere Sprachverständlichkeit (t=–2,47; p=0,02). Sie waren weniger verständlich im Vergleich mit der Normalhörenden Kontrollgruppe (t=5,14; p=0,0000005). Es zeigte sich dagegen kein Unterschied in der Sprachverständlichkeit zwischen Kindern mit LKG-Spalte der Freiburger Gruppe mit den Grundschülern dieser Studie (t=–1,22; p=0,22).

Diskussion

Es besteht nicht nur bei Normalhörenden und Kindern mit LKG-Spalte, sondern auch bei Kindern mit Schwerhörigkeit eine gute Kriteriumsvalidität zwischen der Worterkennungsrate von PEAKS und der Verständlichkeitsüberprüfung durch eine Linguistin. Die Schüler, die in der Stichprobe weiterführende Schulen besuchten waren verständlicher als jüngere Schüler, wie es auch in vorigen Studien gezeigt werden konnte. Die Mädchen waren signifikant verständlicher als die Jungen. In der Freiburger Dissertation erzielten die Mädchen ebenfalls ein leicht besseres Ergebnis, der Geschlechtereinfluss war hier jedoch nicht signifikant.

Kinder mit Schwerhörigkeit waren in der Sprachverständlichkeit den Kindern mit LKG-Spalte aus Erlangen-Nürnberg überlegen. Dies kann möglicherweise auf den bei den LKG-Kindern betroffenen Produktionsort der Sprache zurückgeführt werden. Wie erwartet waren die Schüler mit Schwerhörigkeit im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe weniger verständlich.

Fazit

PEAKS kann auch bei Schülern mit Schwerhörigkeit als effektive und ökonomische Alternative zur aufwendigen menschlichen Beurteilung in Wissenschaft und Therapie genutzt werden. Kinder mit Schwerhörigkeit sind im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe weniger verständlich und sollten daher bei der sozialen Integration in die Gesellschaft besonders unterstützt werden.


Literatur

1.
Dames F, Maier A, Schützenberger A, Stelzle F, Holst A, Nöth E, Eysholdt U, Schuster M. Sprachverständlichkeit von Kindern mit bilateralen und unilateralen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten. Laryngorhinootologie. 2009 Nov;88(11):723-8. DOI: 10.1055/s-0029-1225639 External link
2.
Gottges J. Craniofacial Clefts: Objectifying Speech Assessment using Automatic Speech Recognition [Inaugurale Dissertation]. Freiburg; 2012.
3.
Maier A, Haderlein T, Eysholdt U, Rosanowski F, Batliner A, Schuster M, Nöth E. PEAKS – A system for the automatic evaluation of voice and speech disorders. Speech Communication. 2009;51(5):2589-602. DOI: 10.1016/j.specom.2009.01.004 External link