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30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

20.09. - 22.09.2013, Bochum

Lassen sich Kinder mit AVWS und gleichzeitiger Sprachentwicklungsstörung (SSES) von Kindern mit AVWS ohne SSES testdiagnostisch trennen?

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  • corresponding author presenting/speaker Christiane Kiese-Himmel - Phoniatrisch/Paedaudiologische Psychologie, Institut Medizinische Psychologie u. Medizinische Soziologie, Göttingen, Deutschland
  • author Andreas Nickisch - Abtg.Höre-Sprache-Cochleaimplantate, kbo-Kinderzentrum München, München, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 30. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Bochum, 20.-22.09.2013. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2013. DocP4

doi: 10.3205/13dgpp18, urn:nbn:de:0183-13dgpp185

Published: September 5, 2013

© 2013 Kiese-Himmel et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Es ist empirisch belegt, dass bei Regelgrundschülern im 2. Schuljahr bereits wenige Prüfdimensionen eine zuverlässige Klassifikation in die Diagnosegruppen „AVWS“ vs. „Non-AVWS“ erlauben [2].

Material und Methoden: Anhand des Datensatzes einer Vorstudie an Zweiklässlern [1] sollte geprüft werden, ob die Trennung der Diagnosegruppen „AVWS“ sowie „Spezifische Sprachentwicklungsstörung [SSES]+AVWS-Symptomatik“ von „Non-AVWS“ wie auch die Gruppentrennung untereinander durch schrittweise Diskriminanzanalysen (mit 10 primären Prüfdimensionen) gelingt. Studienkollektive: 24 Kinder mit monosymptomatischer AVWS (mittl. Alter 7,7 Jahre, SD 0,75); 21 Kinder mit SSES+AVWS-Symptomatik (mittl. Alter 8,0 Jahre, SD 0,55); 48 Non-AVWS-Kinder (mittl. Alter 7,6 Jahre, SD 0,49).

Ergebnisse: Eine Trennung jeder klinischen Gruppe von der Non-AVWS-Gruppe gelang optimal. AVWS-Kinder wurden von Non-AVWS-Kindern durch 4 Prüfdimensionen signifikant unterschieden, Kinder mit SSES+AVWS-Symptomatik durch zwei. Hingegen ließen sich AVWS-Kinder diskriminanzanalytisch von solchen mit SSES+AVWS-Symptomatik nur unter Hinzuziehung einer sprachrezeptiven Variablen, dem „Verstehen grammatischer Strukturformen“ statistisch bedeutsam trennen – nicht allein über die auditive Testbatterie.

Diskussion: Zur Beantwortung der Frage, ob eine trennscharfe Diskrimination von Kindern mit AVWS von solchen mit SSES+AVWS-Symptomatik durch eine pädaudiologische Testbatterie überhaupt möglich ist, bedarf es weiterer Studien.


Text

Einleitung

In einem kontrollierten Gruppenvergleich an Regelschülern im 3. und 4. Grundschuljahr mit bzw. ohne AVWS [3] vermochten drei von insgesamt zehn standardisierten diagnostischen Tests (Variablen) Kinder mit monosymptomatischer AVWS signifikant von ihren Altersgefährten ohne AVWS in 94% aller Fälle zu trennen: 1. Phonologisches Kurzzeitgedächtnis für sinnleere Silbensequenzen; 2. Wortverstehen im Störgeräusch; 3. Phonemdifferenzierung.

Kein deutlicher Leistungsunterschied hingegen konnte an Zweitklässlern mit monosymptomatischer AVWS wie auch an solchen mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SSES) und assoziierter AVWS-Symptomatik testdiagnostisch nachgewiesen werden [1]. Dieser Datensatz wurde nun auch diskriminanzanalytisch ausgewertet, um zu prüfen, ob sich die genannten Diagnosen auf Basis einer oder mehrerer intervallskalierter Merkmale vorhersagen lassen.

Studienkollektive, Material und Methode

  • Klinische Gruppe „AVWS“: 24 Kinder; mittleres Alter 7,7 Jahre (SD 0,75)
  • Klinische Gruppe „Spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES)+AVWS-
    Symptomatik“: 21 Kinder; mittleres Alter 8,0 Jahre (SD 0,55)
  • Kontrollgruppe „Non-AVWS“: 48 normal entwickelte Kinder; mittleres Alter 7,6 Jahre (SD 0,49), monolingual deutschsprachig, nicht aktuell bzw. anamnestisch sprachentwicklungsgestört, keine Hinweise auf Lese-Rechtschreibschwäche.

Die diagnostischen Tests waren: Uttenweiler-Test; Subtests Lautdifferenzierung, Kinästhetik und Phonemanalyse (jeweils aus Heidelberger Lautdifferenzierungstest); Göttinger Sprachaudiometrie II im Störgeräusch; Hannoverscher Binauraler Summationstest; Zahlenfolgengedächtnis (Psycholinguistischer Entwicklungstest); Mottiertest; Subtest Imitation grammatischer Strukturen (Heidelberger Sprachentwicklungstest); Subtest Laute Verbinden (Psycholinguistischer Entwicklungstest).

Statistische Auswertung: Schrittweise Diskriminanzanalyse der einzelnen Diagnosegruppen, d.h. AVWS vs. Non-AVWS; SSES+AVWS-Symptomatik vs. Non-AVWS; AVWS vs. SSES+AVWS-Symptomatik (maximale Signifikanz F-Wert für die Aufnahme 0,10, für den Ausschluss 0,15; Irrtumswahrscheinlichkeit p=0,05).

Ergebnisse

AVWS-Kinder wurden von unauffälligen Kindern (Non-AVWS) in 98,6% der Fälle signifikant durch folgende Variablen getrennt: 1. Phonologisches Kurzzeitgedächtnis für sinnleere Silbensequenzen; 2. Phonologisches Satzbehalten; 3. Wortverstehen im Störgeräusch und 4. Dichotisches Wortpaarverstehen (siehe Tabelle 1 [Tab. 1] und Tabelle 2 [Tab. 2]).

Kinder mit SSES+AVWS-Symptomatik wurden von unauffälligen Kindern (Non-AVWS) in 97,1% der Fälle signifikant getrennt durch die Variablen: 1. Phonologisches Satzbehalten und 2. Phonologisches Kurzzeitgedächtnis für Zahlenfolgen (siehe Tabelle 3 [Tab. 3] und Tabelle 2 [Tab. 2] ).

Die klinischen Gruppen „AVWS“ und „SSES+AVWS-Symptomatik“ unterschieden sich diskriminanzanalytisch zunächst nicht. Nur unter Hinzunahme einer rezeptiv-sprachdiagnostischen Variable (Subtest „Verstehen grammatischer Strukturen“ aus dem Heidelberger Sprachentwicklungstest) war eine Trennung in zumindest 84,4% aller Fälle statistisch bedeutsam möglich, gefolgt vom 2. Phonologischen Kurzzeitgedächtnis für sinnleere Silbensequenzen und 3. Phonologischem Kurzzeitgedächtnis für Zahlenfolgen (Tabelle 4 [Tab. 4] und Tabelle 2 [Tab. 2]).

Diskussion

Zur Beantwortung der Frage, ob eine trennscharfe Zuordnung von Kindern mit „AVWS“ von Kindern mit „SSES+AVWS-Symptomatik“ testdiagnostisch überhaupt gelingen kann, bedarf es weiterer Studien. Möglicherweise handelt es sich nicht um distinkte Störungsbilder, möglicherweise war aber auch unsere Testbatterie zu sprachlastig.

In jedem Fall ist bei einer AVWS-Diagnostik die umfangreiche Beurteilung der Sprachkompetenzen der Kinder unverzichtbar, um abzuwägen, ob individuell die Symptomatik der AVWS oder diejenige der SSES vorrangig bedeutsam ist oder beides in gleichem Maß zutrifft. Nur unter diesen Voraussetzungen lässt sich aus den diagnostischen Befunden eine adäquate therapeutische Relevanz ableiten sowie ein individuell angemessener Behandlungsplan erstellen.


Literatur

1.
Kiese-Himmel C, Nickisch A. Kurzfristiges Satzbehalten bei Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstorungen. Laryngorhinootologie. 2013 Apr;92(4):251-5. DOI: 10.1055/s-0032-1327623 External link
2.
Nickisch A, Gohde K, Kiese-Himmel C. AVWS von Regelschülern im 2. Schuljahr: Welche Tests trennen auffällige von unauffälligen Kindern? Laryngol Rhinol Otol. E-First: 6. Febr 2012. DOI:10.1055/s-0031-1299758 External link
3.
Nickisch A, Kiese-Himmel C. Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsleistungen 8- bis 10-Jähriger: Welche Tests trennen aufällige von unauffälligen Kindern? Laryngorhinootologie. 2009 Jul;88(7):469-76. DOI: 10.1055/s-0028-1119403 External link